"Jahreszeiten" in der Wiener Staatsoper: So fern und so nah
von Silvia Kargl
Gewaltig ist schon allein die musikalische Darbietung von Joseph Haydns Oratorium „Die Jahreszeiten“, ein Werk, das wie die vorangegangene „Schöpfung“ musikalische wie inhaltliche Grenzen sprengt. In der Wiener Staatsoper kommt nun eine Choreografie von Ballettdirektor Martin Schläpfer dazu.
Freudiges Erwachen
In den Wochen nach der letzten Corona-Welle verbreitet eine Aufführung mit dem gesamten Ensemble des Wiener Staatsballetts aus Staats- und Volksoper, dem Staatsopernorchester, Arnold Schoenberg Chor und Gesangssolisten auf den ersten Blick ein freudiges Erwachen aus einer von Einschränkungen geprägten Zeit. Tatsächlich ist dieses künstlerische Zusammenwirken auf so hoher Ebene ein Ereignis.
Ungewöhnlich schon deshalb, weil diesmal die Musik an erster Stelle steht. Mit Adam Fischer steht nicht nur ein der Staatsoper seit vielen Jahren vertrauter Dirigent am Pult des Orchesters. Dass Fischer ein Haydn-Spezialist ist, war an diesem Abend in vielen Details zu erleben. Er vermittelt die Dynamik, die Nuancen der Arien, die unterschiedlichen Chorszenen bis zur Theatralik des Oratoriums auf mitreißende Weise.
Unterstützt wird er vom ausgezeichneten Arnold Schoenberg Chor unter der Leitung Erwin Ortners und von drei exzellenten Ensemblemitgliedern. Martin Häßler überzeugt als Pächter Simon mit seinem spezifischen Timbre. Edel auch Slávka Zámecníková als Simons Tochter Hanne und Josh Lovell als Bauer Lukas.
Ganz kann die Choreografie mit Schläpfers zeitgenössischem Ballettvokabular bei der Fülle musikalischer Formen nicht mithalten. Auf der Habenseite steht der Verzicht auf oberflächliche Effekte. Die Übergänge fließen erstaunlich gut ineinander, doch ist das visuelle Wechselspiel zwischen Solo, Pas de deux und verschieden großen Gruppen mit zunehmender Dauer ziemlich repetitiv.
Eigene Ebene
Der Tanz buchstabiert weder den Inhalt der Texte noch die Noten nach, stellt eine eigene Ebene dar. Dabei spiegeln sich Simon, Hanne und Lukas in den drei Ersten Solotänzern Davide Dato, Hyo-Jung Kang und Marcos Menha wider, wie oft bei Schläpfer bekommen sie auf sie abgestimmte Tanzporträts. „Die Jahreszeiten“ werden anhand von Schicksalen nachgezeichnet, so kommt das 220 Jahre alte Oratorium doch nahe.
Mylla Eks Ausstattung bleibt bewusst schlicht, lediglich die Kostüme sind manchmal farbenfroh. Spielerische, nahezu absurde, tierische Einflüsse kommen zur Choreografie, auch akrobatische Elemente, viele Sprünge und Drehungen. Die Rezitative werden im Tanz meist von Yuko Kato angeführt, die mit Pantomime und Zitaten aus der Gebärdensprache agiert.
Sehr schön anzusehen sind weitere viele kurze Soli, die Schläpfer für Tänzer wie Liudmila Konovalova und Masayu Kimoto kreiert hat. Beide dürfen neben ihren technischen Qualitäten auch einmal meditativ und gefühlsbetont agieren, neue Seiten zeigen.
Es gibt insgesamt viele starke Momente in diesem neuen Ballett, der große Bogen kommt aber immer von der Musik.
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