Nach Pandemien wurde die Popkultur umso berührungsintensiver
Am Freitag trafen Kulturschaffende und die neue Staatssekretärin Andrea Mayer aufeinander, und es darf als sicher angenommen werden: Stimmungsmäßig wird das eher das Gegenteil einer Coronaparty gewesen sein.
Aber so bitter es jetzt aussieht: Es wird, wenn man irgendetwas aus der Geschichte lernen kann, nicht so bleiben. Man ist versucht, sogar das hoffnungsfrohe Gegenteil auszurufen: Auf zumindest drei große Pandemien im 20. Jahrhundert folgten jeweils kulturelle Aufbruchsjahre, die bis heute nachwirken. Die Kultur ist von Corona besonders betroffen; man muss und darf aber berechtigt hoffen, dass sie nach Überwindung der akuten Not der Kulturschaffenden und nach Angstabbau im Publikum mit geschärftem Blick für ihre eigene Bedeutung zurückkehren wird.
Insbesondere in der Popkultur.
Denn auch wenn das eine nicht unmittelbar aus dem anderen hervorging: Auf die vorigen Grippepandemien folgten die Goldenen Zwanzigerjahre mit ihrem popkulturellen Erstaufbruch, der Rock ’n Roll – und die Geburt des Festivalzeitalters inklusive Woodstock.
Und, das muss man den Sorgen vor einer keimfreien Kultur der Zukunft durchaus entgegenhalten: Keine dieser drei Popkulturbewegungen waren von Berührungsangst geprägt. Im Gegenteil, freie Liebe, wer erinnert sich?
Vorangegangen waren ihnen aber jeweils schwere Pandemien mit Millionen Toten, die Spanische Grippe (1918), der neben Klimt und Schiele (ab 27. Mai wieder im Leopold Museum) auch viele weitere Kulturschaffende zum Opfer fielen, die Vogelgrippe in den 1950ern und die aus dieser mutierte, sogenannte „Hong-Kong-Grippe“ 1968.
Die letzten, eher unbekannten beiden verursachten jeweils ein bis vier Millionen Tote weltweit. Wenige Monate später aber tanzten die jungen Menschen schon wieder auf dem Grippevulkan, unbeirrt.
Natürlich hatten sowohl die Zwanziger als auch die Fünfziger und Sechziger ihre je eigenen, die Pandemie übertreffenden Kontexte und Konfliktquellen, aus denen sich die Popkultur stärker nährte als aus den Pandemien: Der Erste Weltkrieg mit dem Untergang der alten Ordnung; und dann die ins Wirtschaftswunder hineintraumatisierten Eltern der 50er Jahre, gegen die (und deren engen Moralbegriff) auch noch in den 60ern Revolution ausgerufen werden konnte. Auch das zeigt: Pandemieerfahrungen schreiben sich ins Generationengedächtnis, aber nicht als extremster Bezugspunkt.
Aus der Nische
Auf weniger offensichtliche Weise haben manche Kulturformen von Pandemien sogar profitiert: Die gerade aufkommende Tonträgerwirtschaft, die danach die Musik erst zum Milliardengeschäft machte, bekam von abgesagten US-Konzerten während der Spanischen Grippe Starthilfe. Lieber zu Hause hören.
Nicht ganz unähnlich ist es bei Corona: Streamingfernsehen etwa ist endgültig aus der Nische in den Mainstream gewachsen.
Schwer betroffen sind ausgerechnet jene Großkonzerte, die in den 60ern nach der damaligen Pandemie aufblühten. Und die Tanzclubs – deren Geschichte jedoch auch schon früh von einem Virus geprägt wurde. Die Aufbruchsphase der Disco-Ära, die viel mit der Befreiung von Minderheiten zu tun hatte, endete mit der AIDS-Krise. Nun ist die Clubszene von Corona in ihrer Existenz bedroht. Aber auf Disco folgte Techno.
Irgendjemand, irgendwo, macht schon Nachcoronakunst.
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