Interview mit The Prodigy: Schlafentzug statt Rotwein-Rausch

Interview mit The Prodigy: Schlafentzug statt Rotwein-Rausch
Songwriter Liam Howlett erzählt, wie er sich für die neue CD motivierte und dabei fast verrückt machte.

Ein, zwei Nächte nicht schlafen und ab ins Studio! So erarbeitete Liam Howlett, Songwriter von The Prodigy das neue Album „No Tourists“. Nicht, weil er nicht schlafen konnte, sondern weil er sein Bewusstsein erweitern wollte.

„Ich muss mich immer in neue, extreme Situationen hinein treiben, um kreativ sein zu können“, erklärt Howlett im KURIER-Interview. „ Schlafentzug war dafür sehr interessant. Denn um zwei Uhr Früh, wenn du die Nacht davor nicht geschlafen hast, fühlst du intensiver. Beim vorigen Album war es Rotwein, da habe ich wirklich die ganze Zeit viel getrunken. Diesmal aber überhaupt nichts, denn das ist mir langweilig geworden. Ich bin auch nicht der Typ, der dann an so etwas hängen bleibt und ein Problem kriegt. Ich kann so etwas genauso leicht anfangen wie aufhören. Aber natürlich muss man aufpassen, denn damit kann man sich komplett verrückt machen.“

Wahnsinn

Nah dran, sagt Howlett, sei er diesmal am Wahnsinn gewesen. Aber eigentlich ist er das bei jeder Album-Produktion. „Ich mache dann nichts anderes mehr, denke für Monate nur an die Songs und steigere mich komplett rein.“

Auch Drogen hat Howlett schon probiert, um das Bewusstsein zu erweitern. Schließlich kam die Inspiration für die Bandgründung 1990 aus der Rave-Kultur. Aber für den kreativen Prozess hat er das schon vor längerer Zeit ausgeschlossen. „Ich habe versucht, auf Ecstasy zu schreiben. Es schien cool zu sein, während ich es tat. Aber als ich mir das nüchtern anhörte, war es nur ein Haufen Scheiße.“

Interview mit The Prodigy: Schlafentzug statt Rotwein-Rausch

Songwriter und Produzent Liam Howlett (Mitte) und seine Frontmänner Keith "Maxim" Palmer (li.) und Keith Flint.

Auch Musik hört Howlett wenig, um Inspiration für neue Songs zu finden. Auf keinen Fall elektronische, die ist ihm zu langweilig geworden: „Jeder kann heute mit dem Computer sehr leicht Musik machen. Aber das hat dazu geführt, dass die Leute sehr faul geworden sind, sich nur auf den ausgetretenen Pfaden bewegen und keine Originalität und Eigenständigkeit mehr reinbringen.“

Klassik-Fan

Eigentlich hört er nur mehr die russischen Klassiker, weil Werke von Rachmaninow und Tschaikowsky eine unglaubliche Spannung haben. Die Liebe zur Klassik ist ein Überbleibsel aus der Kindheit. Fünf Jahre lernte er klassisches Klavier, galt als talentiert. Aber: „Dass ich ein guter Pianist bin, ist ein Mythos. Ich habe damit begonnen, weil mein Vater das wollte und konnte es dann auch ganz gut. Aber als ich 14 war, waren alle meine Freunde draußen auf ihren BMX-Rädern, und ich wollte das auch machen. Also wünschte ich mir von meinen Vater zum Geburtstag, mit dem Klavierspielen aufzuhören, und bin stattdessen Rad gefahren.“

Auch als Teenager war ihm die Spannung in der Musik schon das Wichtigste. Und sie ist es bis heute geblieben. Auch „No Tourists“ ist deshalb etwas, „das dir in die Magengrube donnert, aber auch ein Lächeln transportiert“, wie Howlett den Prodigy-Sound beschreibt.

Der hat sich seit den Durchbruchs-Hits „Firestarter“ und „Breathe“ von 1997 nicht stark verändert. Auch die Texte sind nach wie vor minimalistisch, von wenigen, oft wiederholten Worten geprägt. Aber: „Wenn das vielleicht auch nicht so leicht zu erkennen ist, sie haben trotzdem Tiefgang.“

Als Beispiel führt Howlett „Champions Of London“ an, das auf das Problem der in den letzten Jahren in London aufgekommenen mit Messern bewaffneten Jugendbanden eingeht. „Ich habe einen 14-jährigen Sohn, deshalb war mir das ein Anliegen. Aber ich beschreibe keine Messerstechereien, sondern die Aufteilung von London in Banden-Territorien, Leute, die sich dort als der Champion aufbauen. Und wie man deshalb vorsichtig sein muss, wenn man in ein anderes Gebiet geht.“

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