Zehn Jahre Vice: "Ein Magazin fürs Scheißhäusl"

Zwei Grinsekatzen aus dem Vice-Universum: David Bogner (links) und Stefan Häckel.
Das einstige Hipster-Magazin mit teils fragwürdigen Geschichten hat sich über die Jahre zu einem seriösen Medienunternehmen gewandelt.

Die Österreich-Ausgabe des Vice-Magazins feiert heute, Donnerstag, sein zehnjähriges Jubiläum mit einer Party im Wiener Club Grelle Forelle. Das 2007 von Niko Alm und Stefan Häckel nach Österreich geholte Magazin hat seinen Ursprung im kanadischen Montreal. Dort wurde es 1994 von drei arbeitslosen Freunden als Voice of Montreal ins Leben gerufen. Ein Streit mit dem damaligen Verleger zwei Jahre später sorgte für die Umbenennung zu Vice (zu Deutsch: Laster). Die Redaktion kehrte Montreal den Rücken und zog nach New York. Der Rest ist eine bis heute anhaltende Erfolgsgeschichte – ein Märchen über einen Außenseiter, der es ins Zentrum des globalen medialen Geschehens geschafft hat.

Zehn Jahre Vice: "Ein Magazin fürs Scheißhäusl"
Vice/Alen Zukanovic
Heute istVice Mediaein internationales Medienunternehmen, das global agiert, zahlreiche Online-Plattformen bespielt (u. a.Noisey, Motherboard, i-D, Munchies) und in 30 Ländern Redaktionen hat, die ein kostenloses Magazin mit einer weltweiten Auflage von rund 1,2 Millionen Stück produzieren.

Masterausgabe

Die Idee hinter dem Magazin ist folgende, wie David Bogner, Geschäftsführer von Vice Österreich, im KURIER-Interview erklärt: „Das Headquarter in den USA gibt ein Thema für eine Ausgabe vor, danach schicken die Redaktionen ihre Inhalte und Vorschläge nach New York, wo danach unter der Leitung der Chefredakteurin Ellis Jones entschieden wird, welche Geschichten in der 200-seitigen Masterausgabe gedruckt werden. Aus diesem Pool wählen wir die Geschichten für die Österreich-Ausgabe und ergänzen das mit lokalen Inhalten.“

Nun ist es bereits zehn Jahre her, als Vice in Österreich als Vier-Mann-Redaktion ins Leben gerufen wurde. Niko Alm, der bis vor Kurzem noch für die Neos im Nationalrat saß und mittlerweile für Red Bull an einer Anti-Fake-News-Plattform arbeitet, legte 2016 die Geschäftsführung zurück. Geblieben ist Stefan Häckel als alleiniger operativer Geschäftsführer der Vice Cee, die die Märkte Österreich, Schweiz und Polen abdeckt. In Österreich wird das Magazin und die Homepage vice.at von einer 40-köpfigen Redaktion mit Inhalten gefüttert. Schwerpunkt ist Wien, wo auch 50 Prozent der Auflage verteilt wird – zielgruppengerecht in angesagten Bars und Boutiquen.
26.000 Stück verlassen hierzulande seit 2007 monatlich die Druckerei. „Wir sind wahrscheinlich das stabilste Printmedium Österreichs“, kommentiert Stefan Häckel im Interview die stabile Auflage schelmisch.

Keine Tabus

Was aber ist Vice eigentlich? Es ist, gedruckt und im Netz, ein Sammelsurium von unterschiedlichen Geschichten („Darum sind Betrunkene und Kleinkinder so brutal ehrlich“), „Hangover-News“ für Menschen, die das Wochenende verschlafen oder durchgefeiert haben und pseudojournalistischen Reportagen wie „Zu Facebook-Fotos zu masturbieren, ist das letzte Tabu“. Aber es gibt auch spannende Dokumentationen aus Kriegsregionen, ausführlich und hervorragend recherchierte Artikel über Asyl, Migration, soziale Missstände und fremdenfeindliche Politik. Der Inhalt ist dabei stets persönlich eingefärbt, geprägt von den Redakteuren, die sich für die Geschichten, für die besondere Schlagzeile mehr als nur den sprichwörtlichen Arsch aufreißen („Ich habe mir Kokain in den Arsch blasen lassen, damit ihr es nicht tun müsst“). Ja, auch solche Geschichten werden veröffentlicht.

Die Vice-Redakteure machten in den vergangenen Jahren also einige absurde Selbstversuche, die ihnen und ihren Leser einiges abverlangten. Geht es nach den Verantwortlichen, ist man nun aber erwachsen geworden, reifer. Man wolle in Zukunft ein seriöses Nachrichtenmagazin sein. Wie und in welcher Aufmachung die Nachrichten vermittelt werden, soll sich stark von anderen Medien unterscheiden. Provokation und politische Unkorrektheit spiele dabei aber keine Rolle mehr. „Provokation um der Provokation willen machen wir nicht mehr. Früher war das Anecken noch Teil des Konzepts, dabei haben wir auch oft danebengegriffen“, gibt David Bogner zu. Aber Neues probieren, dabei scheitern und daraus lernen sei Teil der Unternehmensstrategie.

Eine Paywall für das Online-Angebot, wie sie andere Medien vermehrt einführen, gehört aber nicht zu den Experimenten, auf die man sich einlassen will. "Der Punkt ist: Die meisten Verleger – ich nehme uns da selber nicht aus - haben das Internet auf dieser Basis noch nicht kapiert." Nur Jeff Bezos hätte mit der Washington Post gezeigt, wie es ginge. "Was hat er gemacht? Er hat 200 Datenanalysten eingestellt, keine Journalisten. Er hat die journalistische Mannschaft gelassen wie sie ist und hat im Hintergrund alles umgebaut. Jetzt hat er sein eigenes digitales Ökosystem mit dem er auch Geld verdient."

Bei dem von Vice seit einiger Zeit forcierten Wandel zum seriösen Nachrichtenportal „bleiben Sex, Drugs, Rock ’n’ Roll weiterhin wesentliche Themenaspekte“, so Häckel.
„Uns interessieren noch immer dieselben Geschichten wie vor zehn Jahren, nur dass wir in der Gesamtheit eher ein Newsmedium geworden sind – so unsere Eigenwahrnehmung und unser Anspruch. Wir wollen nicht die New York Times werden, aber denselben Ansprüchen genügen. Wir wollen nicht hören, dass wir keine ordentlichen Journalisten sind.“ Man bilde einfach nur die Absurdität der Welt ab. Für Vice-Leser ist es also normal, dass ein Artikel über Analsex gleichberechtigt neben einer Reportage über die FPÖ steht. Qualitätsjournalismus schließe ja Unterhaltung nicht aus, so Häckel.

KURIER: Wie würden Sie die Idee hinter dem Vice-Magazin beschreiben?
David Bogner: Die Idee des Magazins ist folgende: Das Headquarter in den USA gibt ein Thema für eine Ausgabe vor, danach schicken Redaktionen aus über 30 Ländern Content nach New York, wo danach unter der Leitung der Chefredakteurin Ellis Jones Alice entschieden wird, welche Geschichten in der 200-seitigen Masterausgabe gedruckt werden. Aus diesem Pool wählen wir dann die Geschichten für die Österreich-Ausgabe. Das Ganze wird dann mit lokalen Inhalten ergänzt.

Stefan Häckel: Wir fangen bei einer neuen Ausgabe nicht mit 84 leeren Seiten an, müssen uns also nicht jedes Mal fragen, mit welchen Themen und Geschichten wir das Magazin füllen. Der grundsätzliche Gedanke hinter diesem Konzept ist, dass die Millennials global gleich oder ähnlich ticken, sich annährend für die gleichen Geschichten, Produkte interessieren. Jedes Land, in dem das Magazin dann erhältlich ist, hat natürlich den Eigenanspruch, Themen zu generieren, Ideen einfließen zulassen und Geschichten zu schreiben, die nicht nur für das eigenen Land, sondern für die globale Leserschaft interessant sein könnte. Wir können, müssen aber keine Geschichten beisteuern.

Wie hat sich das Magazin in den vergangenen zehn Jahren geändert?
Bogner: Früher waren die Themen noch provokanter, die Modestrecken waren anders aufgezogen und wir hatten noch „Do‘s and Dont’s“. Unter Ellis Jones, der aktuellen und ersten Chefredakteurin in der Vice-Geschichte, ist es ein anderes Magazin als jenes, das damals Jesse Pearson gemacht hat, der von 2002 bis 2010 Chefredakteur war.

Häckel: Vice Österreich ist jetzt zehn Jahre alt und genauso fühlt es sich auch an: Ein bisschen reifer und klüger, aber noch lange nicht erwachsen. In den letzten Jahren haben wir viel gelernt.

Wie wichtig ist dem Magazin heutzutage Provokation und politische Unkorrektheit?
Bogner: Das Thema ist für uns, das Magazin vorbei. Provokation um der Provokation willen machen wir nicht mehr. Früher war das Anecken natürlich noch Teil des Konzepts, dabei haben wir auch oft danebengegriffen. Artikel wie „Ich habe mir Koks in den Arsch geblasen, damit ihr das nicht tun müsst“ oder die oft zitierte „Auf LSD auf dem Weihnachtsmarkt“ wird aktuell nicht mehr so produziert.

Häckel: Sex, Drugs, Rock and Roll sind weiterhin wesentliche Themenaspekte, aber der Zugang ist ein anderer. Uns interessieren noch immer dieselben Geschichten wie noch vor zehn Jahren, nur dass wir in der Gesamtheit eher ein Newsmedium geworden sind – so unsere Eigenwahrnehmung und unser Anspruch. Wir wollen nicht die New York Times werden, aber denselben Ansprüchen genügen. Wir wollen nicht hören, dass wir keine ordentlichen Journalisten sind, unsere Fakten und Thesen nicht stimmen.

Zehn Jahre Vice: "Ein Magazin fürs Scheißhäusl"
Vice/Plutonium

Wie schwer ist der Spagat zwischen qualitativ hochwertigen, aufwändig recherchierten Reportagen und Artikeln und trashigen Geschichten?
Häckel: Vice-Gründer Shane Smith hat vor kurzem einmal gesagt, wir bilden die Absurdität der Welt ab. Es ist kein Widerspruch, alle Themen haben ihrer Berechtigung. Diese Dinge finden alle im echten Leben statt. Warum sollte ich dann nicht darüber berichten? Ein Medium, das mehrere Lebensbereiche abdeckt. Qualitätsjournalismus schließt ja Unterhaltung nicht aus.

Bogner: Was vielleicht von vielen Menschen als Trash wahrgenommen wird, ist Teil der Realität. Sex zum Beispiel. Das ist ein Thema, das ja so gut wie alle betrifft. Darüber sollte man dann auch schreiben dürfen. Wir machen das aber nicht in der Art und Weise wie das die Sexkolumnisten Senta Berger in der Sonntagskrone macht, sondern wählen einen komplett anderen Zugang. Genauso wie Sex sind auch Drogen ein Thema. Drogen waren schon immer Teil der Gesellschaft. Das ist ja nichts Neues.

Gibt es bei den Artikeln ethische und moralische Grenzen?
Bogner: Wir wollen nicht auf irgendwelche Leute hinhauen, die ganz unten in der sozialen Leiter stehen. "Sei kein Arschloch", das ist die oberste Prämisse. Früher waren wir in dieser Angelegenheit noch unsensibler, aber das wollen wir nicht mehr sein. Unsere Verantwortung als Medium wahrnehmen und sich dabei auch nicht den Mund verbieten lassen. Menschen eine Stimme geben, die keine haben. Dorthin schauen, wo andere nicht hinschauen. Dorthin gehen, wo andere nicht hingehen. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Geschichte über die Drogeneskalation entlang der U6 verweisen. Alle Medien haben darüber berichtet und teilweise skandalisiert, aber wir wollten von den Dealern selbst erfahren, wie sie die Situation erleben. Und damit grenzen wir uns zu anderen Medien bewusst ab.

Häckel: Wir versuchen eben Geschichten zu bringen, Themen aufzugreifen, die man sonst nirgendwo lesen kann. Oder wir versuchen zu bereits laufenden Diskursen eine andere, zusätzliche Perspektive zu liefern. Wir machen Journalismus für Menschen, die unsere Lebenseinstellung teilen. Wir versuchen nicht mehr in Altersgruppen zu denken, denn man kann 70 Jahre und weltoffen, aber auch 15 und extrem konservativ und reaktionär sein. Wir versuchen eine Mischung aus Information und Unterhaltung zu bieten, dabei kennen wir keine Tabus und Grenzen.

Gibt es bei euch einen Wettkampf um die bessere, coolere, skandalösere Headline?
Bogner:
Nein, überhaupt nicht. Es geht darum, gute Geschichten zu machen. Es gibt auch kein Bezahlsystem, dass jemand, der mehr Klicks macht, besser bezahlt wird. Ich glaube, die intrinsische Motivation von allen Schreibern ist es, gute Geschichten zu produzieren. Da geht es nicht darum skandalöse Headlines. Ich glaube, das kommt auch aus dieser Freiheit heraus, die Leute können das machen was ihnen wichtig erscheint, was ihnen taugt, und so kommen die guten Geschichten raus.

Welche Geschichten würdet ihr nicht mehr oder anders machen?

Bogner: Natürlich gibt es Geschichten, die wir heute anders und gar nicht mehr produzieren würden.

Welche?
Bogner: Da fallen mir jetzt keine ein (lacht).

Häckel: Wir haben in den vergangenen zehn Jahren ganz viele kleine Fehler gemacht, die uns wohl davon abgehalten haben, einen ganz großen Fehler zu begehen. Wir versuchen reflektierte junge Menschen zu sein und wollen Dinge ausprobieren. Dabei dürfen wir auch scheitern - daraus muss man dann lernen und sich weiterentwickeln.

Ist das Scheitern Teil des Magazins?

Bogner: Ja sicher. Sachen ausprobieren und lernen.

Häckel: Wichtiger als das Scheitern ist die offene Kultur, in der dann Scheitern passieren kann. Fehler zugeben, darüber reden und daraus lernen. Das ist das Ziel. In der heutigen Gesellschaft kommt es aber leider meistens vor, dass man übers Scheitern nicht mehr reden darf.

Wie wichtig sind Ihnen neue Formate?
Bogner
: Sehr wichtig. Neue Sachen ausprobieren, scheitern, und besser machen. Man darf einfach nur nicht stehenbleiben.

Kommen wir zu Finanzierung. Schießt der US-amerikanische Mutterkonzern eigentlich Geld zu?
2007 haben wir als Franchise-Nehmer angefangen, haben vom US-amerikanischen Headquarter nie Geld bekommen, sondern als Lizenznehmer Geld abliefern müssen. 2013 hat VICE die Lizenzländer zurückgekauft. Wir haben keinen Investor, den reichen amerikanischen Onkel gibt es nicht. Wir finanzieren uns selber über Anzeigen und andere Möglichkeiten, da das klassische Anzeigengeschäft ja bekanntlich tot ist. Und die Finanzierung durch das Internet ist auch nicht einfach. Aber das muss ich Ihnen ja nicht erzählen.

Heißt das, man muss die „Gratis-Kultur“ überdenken?
Häckel:
Laufend. Man muss sich ja nur anschauen, wie sich der Markt bewegt. Jetzt macht zum Beispiel der Spiegel seinen Daily - ein digitale Tageszeitung. Wir überlegen schon länger, ob wir sowas auch machen. Was wir ganz sicher nicht machen ist, über das Vice-Universum eine Paywall zu stülpen und zu sagen, ab jetzt kostet es etwas. Oder, dass wir die bestehende Inhalte und Plattformen hernehmen und diese zu filetieren beginnen. Wenn, dann kann es nur so laufen, dass es ein komplett neues Angebot gibt, für das man dann was zahlen muss, wenn man es möchte. Aber wir sind da weit weg von einer Umsetzung. Aber es sind Dinge, die uns auf einer Businessstrategieebene interessieren, mit denen wir uns beschäftigen und über die wir reden, wie alle anderen auch.

Zehn Jahre Vice: "Ein Magazin fürs Scheißhäusl"
Vice

Eine Paywall ist also kein Thema für euch?
Bogner:
Das widerspricht einfach auch meiner Vorstellung vom Internet im Jahr 2017.

Häckel: Und es ist für uns insofern ein bisschen komisch, da sich das dann nach dieser alten Medienmache-Denke anfühlt: „Hilfe, mein teuer produzierter journalistischer Content wird immer teurer, ich bekomm zu wenig Geld über die Einnahmen zurück, deshalb muss ich jetzt halt Geld am Kunden- und Lesermarkt lukrieren.“

Dann gibt es Medien wie zum Beispiel die Washington Post oder New York Times, die das sehr gut machen. Wir alle lesen das, wir alle werden neidisch und alle wollen das irgendwie kopieren. Der Punkt ist aber, die meisten Verleger – ich nehme uns da selber nicht aus - haben das Internet auf dieser Basis noch nicht kapiert. Jeff Bezos hat das Ding gekauft und alle sagen: „Boah, der Internet Milliardär glaubt an ein klassisches Medium, das ist doch der Vertrauensbeweis gegenüber dieser alteingesessenen Kultur.“ Was hat er wirklich gemacht? Er hat 200 Datenanalysten eingestellt, keine Journalisten. Er hat die journalistische Mannschaft gelassen wie sie ist und hat im Hintergrund alles umgebaut. Jetzt hat er sein eigenes digitales Ökosystem mit dem er auch Geld verdient. Ich habe letztens sogar gelesen, die Washington Post verdient pro zahlenden Kunden mittlerweile mehr, als die New York Times. Jetzt sitzen alle da und denken: „Bist du deppad, wie macht er das? Warum macht er das?“ Weil er halt von Anfang an das Business und das Internet kapiert hat. Das ist ein komplett anderer Zugang, deshalb ist auch die klassische Paywall-Diskussion sinnlos.

Wohin soll sich Vice entwickeln?
Häckel
: Wir wollen die größte weltweit unabhängige Jugendmedienmarke werden.

Die Jugendmedien, die es nicht mehr gibt?
Nennen wir es Youth-Media-Brand: Jugend ist dabei für uns eher das Mindset und weniger die Demografie. Das wollen wir prinzipiell werden.

Wir würden uns als Zwischenergebnis extrem freuen, wenn wir das Nummer eins Add-on-Medium werden. Wir verstehen wenn Leute sagen: „Meine primäre Newsquelle ist irgendein klassisches Medium, dem ich schon immer vertraue oder mit dem ich groß geworden bin. Aber als zweites schau ich bei Vice nach.“

Wie ist es mit den Verträgen gelöst? Gibt es Kollektivverträge?

Bogner: Bezahlung von Angestellten ist immer ein Thema und wir versuchen fair und gut zu bezahlen - ganz unabhängig vom Kollektivvertrag.

Das heißt, es gibt keinen Kollektivvertrag?
Bogner
: Wir sind im Kollektivvertrag „Werbung- und Marketing“. Kollektivverträge sind superwichtig, aber uns ist es halt wichtiger, fair und anständig zu bezahlen. Dass es den Leuten gut geht.

Was ist fair und anständig?
Bogner:
Das hängt von der jeweiligen Qualifikation ab und wie lange der Redakteur, die Redakteurin schon dabei ist.

Je länger der Artikel, desto mehr Geld gibt es?

Bogner: Wir versuchen eigentlich nach Aufwand zu bezahlen. Also wenn du für einen kurzen Text sehr lange recherchiert hast, wollen wir mehr bezahlen, als für einen langen Text, der zum Beispiel ein Kommentar oder ein persönliches Erlebnis ist.

Ihr habt die Kommentarfunktion unter euren Artikeln abgedreht. Warum?
Bogner:
Weil es sinnlos ist und nichts Wesentliches zur Verbesserung der Welt beiträgt. Für einige Medien ist es aber Teil des Geschäftsmodells.

Häckel: Es hat auch ein bisschen mit der Entwicklung von Facebook zu tun. Die Leute sagen „das Internet“ und meinen eigentlich eh nur Facebook. Mit dieser Empörungskultur und diesen Hasspostings können wir nichts anfangen. Es ist auch in der täglichen Arbeit schwer damit umzugehen. Besonders mit Menschen, die das Posten als Motivation sehen und jeden Tag ihren Scheißdreck online ablassen. Wir wollen diesen Leuten keine Plattform geben. Wir reden als Medienmacher ständig davon, dass wir den falschen Leuten die Öffentlichkeit geben. Und das Abdrehen der Kommentarfunktion unter unseren Artikeln ist ein kleiner Schritt, dem entgegenzuwirken.

Es ist schwer, einen Überblick über die Unternehmensstrukturen zu bekommen. Teil des Konzepts?

Häckel: Es wär fast genial, wenn es Teil des Konzepts wäre. In Wahrheit ist es aber Teil des Wachstums. Zusätzlich schaut das Wachstum in den USA anders aus als bei uns. In Österreich ist die Agentur aus Super-Fi hervorgegangen, die es schon vor Vice gegeben hat. 2013 haben die Amerikaner dann gesagt, ihr seid doch eh so gut befreundet, warum legen wir das nicht zusammen? Es gibt keinen Masterplan und keine Strategie, es ist einfach so gewachsen und wir haben auch lange gebraucht, um das zu entflechten. Jetzt gibt es noch zwei Marken: Vice und die Agentur Virtue.

Bogner: Es ist auch in den USA gewachsen, mittlerweile ist es dort ein Konglomerat. Dort haben wir gemeinsame Ressourcen, die wir auch nutzen können. Wenn wir es brauchen, können wir zum Beispiel auf Puls (eine Filmproduktionsfirma, Anm.) zurückgreifen.

Häckel: Das ist in Wahrheit die einzige Strategie, die wir haben: Wir wollen auf allen Plattformen vertreten sein. Dafür werden wir dann auch die Ressourcen im Hintergrund brauchen, die das produzieren können. Denn man wird nicht von der Straße weg Kameraleute rekrutieren können, sondern eine bestehende Filmproduktion nehmen, die man auch für Viceland heranziehen kann.

Soll es einen eigenen TV-Kanal geben?

Häckel: Natürlich ist lineare Distribution seit drei Jahren ein Thema, aber wir kennen auch die TV-Landschaft in Österreich oder der Schweiz. Viceland ist aber als Premium-Pay-TV-Sender konzipiert. Pay TV ist in Österreich ein kleiner Markt, da muss man sich dann gut überlegen, ob man das macht.

Mit Deutschland wäre der Markt aber wesentlich größer, gibt es da Gespräche?
Da gibt es natürlich Gespräche. Das Ding ist, man müsste das in Deutschland, Österreich und der Schweiz Free-to-Air machen. Da steckt dann viel Geld drin und viel Geld schreckt die Leute ab. Noch dazu haben wir gelernt, TV ist das langwierigste und langsamste Geschäft der Welt. Es gibt nie einen guten Zeitpunkt, um über TV zu reden und es dauert alles immer mindestens ein Jahr.

Gibt es eine Gewichtung bei den unterschiedlichen Bereichen - Online, TV, Print?
Bogner
: Die Relationen haben sich geändert. Online war 2007 ein sehr kleiner Bereich, es war eigentlich ein Printmagazin mit einer Website. Jetzt ist es ein Medienunternehmen mit einem Printmagazin.

Häckel: Am Anfang war die Printausgabe das größte Reichweitenmedium, jetzt ist online um das 15- bis 20-fache größer als Print. Die Gewichtung ist nach wie vor der gute Content, der dann über die entsprechenden Kanäle rausgeht. Und Print hat eine andere Ausrichtung. Es ist ein Coffee-Table-Format.

Bogner: Soll heißen: Es ist ein Magazin fürs Scheißhäusl (lacht).

Häckel: Ja, wenn wir Coffee-Table sagen, meinen wir Scheißhausmagazin – man liest uns gerne auf dem Klo. Was gut ist, denn das Papier des Magazins stinkt eh auch (lacht).

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