Interview mit Eliza Hittman: Die Großstadt als Zufluchtshafen
Als hätte es Eliza Hittman geahnt: Donald Trump bestellte eine erzkonservative Abtreibungsgegnerin zur Höchstrichterin auf Lebenszeit. Die Höchstrichter treffen wichtige Entscheidungen zu Gesetzen – wie zum Beispiel dem Recht auf Abtreibung.
Was es für Frauen bedeutet, diese Wahlfreiheit nicht zu haben, erzählt die New Yorker Regisseurin Eliza Hittman in ihrem superben Teenage-Film „Niemals Selten Manchmal Immer“ (derzeit im Kino), mit dem sie auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde.
Niemals selten manchmal immer
Ein 17-jähriges Mädchen namens Autumn wird ungewollt schwanger. Sie lebt in einer verschlafenen Kleinstadt in Pennsylvania, wo Minderjährige ohne Zustimmung der Eltern nicht abtreiben dürfen. Eine Internetrecherche führt sie zu einer Abtreibungsklinik in New York. Gemeinsam mit ihrer Cousine fährt sie in die Großstadt.
Eliza Hittman ist berühmt für ihren einfühlsamen, aber coolen Erzählstil. Sie drehte – wie zuletzt auch ihren Film „Beach Rats“ – auf 16-mm-Film, was den Anblick von „Niemals Selten Manchmal Immer“ auf der Leinwand umso atemberaubender macht. Trotz des emotional so belastenden Themas verglimmt Hittmans inniges Frauenporträt nie zum tranigen Problemfilm, sondern entwickelt eine innere Schönheit und Kraft.
Die Regisseurin nimmt ausschließlich die Perspektive der beiden Cousinen ein, erzählt von deren Erlebnissen in beengten Provinzverhältnissen, von übergriffigen Männern und bevormundenden Frauen. Gleichzeitig aber hält sie die Energie eines Teenagerfilms aufrecht, der von Jugend, Widerständigkeit und dem Wunsch nach Selbstbestimmung berichtet.
Ein Gespräch mit Eliza Hittman über Trump, die Erfahrungswelt junger Frauen und ihre spezielle Liebe zum analogen Film.
KURIER: Frau Hittman, warum wollten Sie einen Film über Abtreibung drehen?
Eliza Hittman: Ich begann erstmals 2012 über diesen Film nachzudenken. Ich las in der Zeitung vom Tod einer Frau, die starb, nachdem man ihr in Galway, in Irland, eine lebensrettende Abtreibung verwehrt hatte. Das hat mich schwer erschüttert. Ich habe dann ein Buch namens „Irelands hidden diaspora“ gelesen und recherchiert, wie Frauen in verzweifelter Situation über das irische Meer nach London und wieder zurückgereist sind – alles an einem Tag. Ich hatte zuvor noch niemals davon gehört und stellte mir vor, wie einsam so eine Reise wohl sein musste. Wer kann sie sich leisten – und unter welchen Umständen?
Sie erwähnen Irland, aber „Niemals Selten Manchmal Immer“ spielt eindeutig in den USA. Was hat Sie bewogen, mit Ihrer Geschichte zu übersiedeln?
Zuerst schrieb ich ein Drehbuch, das in Irland spielte, aber dann dachte ich mir: Ich bin diese kleine Filmemacherin aus Brooklyn – wer wird mich schon einen Film in Irland drehen lassen? Daher begann ich über ein amerikanisches Äquivalent nachzudenken. Frauen in ländlichen Umgebungen in Amerika müssen ebenfalls große Distanzen überwinden, um die Möglichkeit zu einer Abtreibung zu bekommen. New York war in der Hinsicht immer ein sicherer Hafen für hilfesuchende Frauen. Ich habe mich mit meinem Partner ins Auto gesetzt und wir sind drei Stunden aus New York hinaus gefahren. Schließlich fanden wir uns in einer Kohlebergbauregion wieder. Es fühlte sich wie eine Zeitreise an und ich beschloss: Hier beginnt meine Geschichte.
Sie sagten, Sie haben bereits 2012 über diese Geschichte nachgedacht. Warum kommt der Film erst jetzt?
Naja, irgendwie ließ sich für das Projekt nicht sehr viel Energie generieren. Ich glaube, das lag daran, dass wir damals in der Obama-Ära lebten und uns in einer falschen Hoffnung von Fortschritt und Liberalismus wogen. Abtreibungsdiskussionen standen nicht auf der Agenda. Dann wurde Trump zum Präsidenten gewählt und ich dachte: Jetzt ist dieser Film wichtig und dringend. Jetzt werde ich ihn machen.
Ist es Ihnen gelungen, mit betroffenen Mädchen über ihre Erfahrungen zu sprechen?
Nein. Das ging nicht, weil diese jungen Frauen ihre Geschichten nicht erzählen. Ich kann ja nicht in eine Klinik hinein marschieren und die Leute dort um ein Interview bitten. Insofern musste ich mich in meinen Recherchen auf die Geschichten der Sozialarbeiterinnen stützen, die mir von ihren Erfahrungen erzählt haben. Ich habe mich zu ihnen ins Büro gesetzt und gesagt: „Stellt euch vor, ich wäre eine Minderjährige und wollte abtreiben: Wie würdet ihr euch verhalten? Was würdet ihr von mir wissen wollen, und wie würdet ihr versuchen, mir zu helfen?“ So habe ich viele Geschichten über Patientinnen erfahren.
Sie erzählen ausschließlich aus der Perspektive der beiden jungen Mädchen.
Ja, denn ich wollte, dass sich das Publikum in die Situation der beiden hineinversetzen kann. Als junge Frau besteht ein großer Teil des „Coming-of-Age“-Prozesses darin, mit den Blicken von Männern umzugehen. Und genau das wollte ich in kleinen Mikroszenen darstellen – etwa, wenn eines der Mädchen, das im Supermarkt arbeitet, freundlich zu einem Kunden ist und der das gleich als Flirten missversteht und versucht, sie anzumachen. Ich glaube, dass der Umgang mit diesen Situationen ein ganz wichtiger Bestandteil von weiblicher Erfahrung ist: Männer dringen uneingeladen in die Welt junger Frauen ein. Ich kenne das aus Erfahrung, insofern war es leicht, diese Szenen zu schreiben.
Sie drehen immer auf analogem Film. Was fasziniert Sie an diesem Material?
Ich liebe 16-mm-Film, und zwar ganz besonders deshalb, weil meine Filme von Stagnation und von stagnierenden Communities handeln. Für mich hat Film eine „Out-of-Time“-Qualität, mit der ich spiele. Film ist das beste Medium, um menschliche Gefühle zu dokumentieren. Eine so emotionale Szene wie die, wo das junge Mädchen über ihre sexuelle Vorgeschichte befragt wird, hätte digital nie dieselbe Intensität gehabt. Die Art und Weise, wie ihre Wangen die Farbe wechseln, ist von so einer Wahrheit, die man meines Erachtens digital nicht erreicht hätte.
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