Wie ist Glazer am Set? Lässt er eigene Ideen, Improvisation zu?
Er ist leidenschaftlich. Er lud uns ein, ein Teil dieses Projekts zu werden, gemeinsam daran zu arbeiten. Er hat uns sehr viele Freiheiten gegeben, wir haben auch sehr viel improvisiert. Was man letztendlich sieht im Film, sind alles geschriebene Zeilen. Aber um zu den Zeilen zu kommen, hatte wir die Möglichkeit, durch Improvisation die richtige Tonalität zu finden. Jonathan war ja fast dokumentarisch auf der Suche nach Normalität. Wir hatten alle Zeit der Welt, durften auch langweilig sein, einfach nur da sein und dann gucken, wie sprechen wir die Sätze vom Drehbuch. Das war wirklich toll.
War das wichtig, dass Glazer ein Brite ist, den Blick von außen hatte? Weil er hat ja einen ganz anderen Blickwinkel als ein Deutscher. Absolut. Das war interessant und spannend. Glazer ist ein Ausnahmekünstler. Er sagte am Set, dass Kunst eine universelle Sprache ist und uns alle verbindet und wir alle sie verstehen können. Egal, welche Sprache wir sprechen. Da hatte ich das Gefühl, dass sich das in dieser Arbeit auch widerspiegelt, weil er sagt, dass dieses Paar, das wir da spielen, ein geschichtlich verbrieftes Paar ist, aber gleichzeitig ein Besipiel für uns alle weltweit für die Möglichkeit, wozu wir Menschen alle fähig sind. Wie weit wir verdrängen können, welche Entscheidungen wir treffen, wie wir bereit sind, Gewalt und Verbrechen an anderen Menschen auszuüben oder sie zu tolerieren. Ich glaube, diese urmenschliche Dunkelheit, die uns umgibt, war ein wichtiger Punkt. Ich fand es auch toll, dass wir mit einem polnischen Team gearbeitet haben. Wir waren deutsche Schauspieler, ein englisches Team, ein paar aus Amerika. Eine universelle Zusammenarbeit an diesem Thema. Wir Deutsche, Sandra und ich und alle anderen auch, haben diese Verantwortung gespürt und konnten sie auch einbringen. Aber die Sichtweise war schon die eines wirklichen Ausnahmekünstlers.
Was den Horror verstärkt, ist die Tonspur. Dass man die Grausamkeiten und das Morden nicht sieht, sondern nur hört, was das Grausames vor sich geht und sich in seiner Fantasie die Bilder dazu denken kann.
Wir haben in vollkommener Stille gedreht, wussten aber, dass es die Tonspur dazu geben wird. Das war total wichtig, um das Verhalten von Höß und seiner Frau zu spüren. Wozu wir fähig sind. Jeder fragt sich ja, wie können die sich nur so normal verhalten, wenn sie die ganze Zeit diese permanente Geräuschkulisse hatten. Diese Gerüche, die ja auch da sein mussten. Dass man dieses Spannungsverhältnis spürt im Film, war wichtig. Als wir den fertigen Film das erste Mal gesehen haben, war das natürlich Wahnsinn. Die Tonspur ist eigentlich der heimliche Hauptdarsteller des Films. Das, was du nicht siehst, ist das, was am meisten dieses unheimliche, unangenehme Gefühl macht, wenn man den Film anschaut.
Bereitet es Ihnen Angst und Sorge, dass die Rechtsextremen derzeit wieder in ganz Europa Aufwind haben? Dass der politische Wind sich wieder in eine gefährliche Richtung drehen könnte? Dass die Menschen das Böse, das auf uns zukommt, nicht sehen wollen?
Ich habe da schon Ängste und bin froh, dass jetzt sehr viele Menschen auf die Straße gehen. Dass man das Gefühl hat, es gibt schon ein Bewusstsein, aus den Fehlern der Geschichte zu lernen. Ich habe auch die Hoffnung, dass wir in unseren Ländern, in Österreich und Deutschland, ein Rechtssystem haben, das nicht so einfach ausgehebelt werden kann. Aber es macht mir schon Angst, wie weit auch im eigenen Bekanntenkreis Menschen gehen und sagen; Ja, ich wähle eine Partei, obwohl ich weiß, dass dort rechtsradikale Strömungen sind und ich akzeptiere das. Da frage ich mich, ob das nicht schon der erste Schritt der Ignoranz ist. Deswegen finde ich es toll, dass es die Kunst gibt, die uns immer wieder erinnern und inspirieren sollte. Dass es ein ganz schmaler Grat ist, wie schnell das gehen kann, dass ein System sich ändert und dass Menschen bereit sind, das zu tolerieren.
Wurde das Skript im Lauf des Drehs verändert im Vergleich zum Original?
Es gab eine Szene, wo Rudolf Höß betrunken ist - und ich war noch nie betrunken in meinem Leben. Jonathan hat die Szene dann rausgenommen und etwas anderes geschrieben, weil er sagte, er wollte nicht, dass ich so tue, als ob ich betrunken bin. Und so haben wir versucht, die Szenen und Charaktere noch gemeinsam zu modifizieren. Wir konnten im gemeinsamen Austausch am Drehbuch weiterarbeiten, was ich ganz toll fand. Das Drehbuch war fantastisch, es hat mich erinnert an so „Das weiße Band“ von Michael Haneke. Da gab’s eigentlich keine Fragen. Aber im Gegensatz zu Haneke, der ja schon ganz präzise wusste, wann er wie schneidet und wie er das auflöst, war Jonathan eher wie ein Suchender. Er sagte, vielleicht gibt es etwas, das wir erst, wenn wir es machen, heraus finden. Lasst es uns rausfinden, lasst uns Variationen machen und ich entscheide dann in der Postproduktion, was ich davon nutze und wie ich die Geschichte und die Figuren erzähle. Also mussten wir das sehr in seine Hände geben und ihm vertrauen.
Am Ende gibt es eine Schlüsselszene, wo Sie - auch aus Ekel vor sich selbst - kotzen müssen. Wie haben Sie diese Szene empfunden?
Ich hatte sehr viel Angst vor dieser Szene, weil ich seit 25 Jahren nicht mehr erbrochen habe und wusste, dass Jonathan auf der Suche nach Authentizität war. Ich war wirklich bereit, an meine Grenzen zu gehen, meine Ängste zu überwinden. Wir hatten dann auch darüber gesprochen, was ist denn dieser Zustand. Es ist ja nicht wirklich eine Krankheit, die Höß hat. Der Körper rebelliert, er möchte diese Seele abstoßen. Es ist wie ein Kampf Körper gegen Seele. Wenn ich jetzt den Film sehe, finde ich, man spürt das, dass das mehr ist als nur eine Krankheit. Dass es wirklich tiefgehend ist. Und Jonathan hat ja dann den großartigen Cut gemacht, dass ich in die Dunkelheit gucke und man sieht plötzlich die Realität. Man springt in die Zukunft und springt dann wieder zurück zu Höß. So stand es nicht im Drehbuch, aber als ich das gesehen haben, dachte ich, wow, das ist so toll, weil wir fragen uns dann, reflektiert dieser Mensch? Lernt er aus seinen Fehlern? Aber er geht ja noch weiter, er geht noch tiefer in die Dunkelheit. Ich glaube, dass dieser Mensch nie fähig war zu reflektieren, was eigentlich seine Schuld war. Er hat sich auch nie entschuldigt. Wie Hedwig Höß. Die hat immer nur erzählt, nein, ich wusste nichts, das ist nicht passiert. Aber ich stand in dem Haus, ich stand in dem Kinderzimmer. Du konntest über die Mauer gucken, du hast direkt auf die Gaskammer 1 geguckt. Da kannst du nicht sagen, ich wusste nichts. Die haben dieses System für ihre eigene Gier, für ein besseres Leben genutzt und wussten ganz genau, was sie dort taten.
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