"Im Zentrum": Asylstreit, Halbwahrheiten und Videos

Strache tritt im ORF-Talk staatstragend auf, was ihn nicht daran hindert, mit zweifelhaften Beispielen Stimmung zu machen.

*Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des Fernsehabends*

Rechtzeitig vor der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft Österreichs ist das Migrationsthema wieder zur Causa prima in Europa geworden. Für Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ist das eine willkommene Gelegenheit, Lösungskompetenz zu vermitteln. Und nicht nur mit dem Wort von der „Achse der Willigen“ und dem Besuch bei den Visegrad-Staaten hat Kurz selbst an der Schraube mitgedreht. Vizekanzler Heinz-Christian (FPÖ) wiederum besuchte vergangene Woche seinen langjährigen Verbündeten Matteo Salvini von der Lega Nord, der mittlerweile Innenminister Italiens ist.

Auf welcher Seite die Bundesregierung im Asylstreit der beiden deutschen Unionsparteien steht, machte Strache auch bei „Im Zentrum“ am Sonntagabend klar:  Man erlebe, dass die Unzufriedenheit der deutschen Bevölkerung gegenüber der Kanzlerin Angela Merkel (CSU) immer größer werde. Wenn kein Umdenken stattfinde, könne das "ihr politisches Ende" sein. Es sei eine "Art Götterdämmerung" in Sicht, meinte Strache, der einmal mehr eine "sehr, sehr unverantwortliche Einladungspolitik" Merkels kritisierte. Es gebe in Europa immer mehr Menschen, die sich der Position der FPÖ anschließen - nämlich, "dass man Migration an den Außengrenzen stoppen muss".

Flüchtlinge als "Invasionsarmee" dargestellt

Bei dem ORF-Talk gab es dazu zwar durchaus abweichende Positionen, aber ein richtiges Streitgespräch kam dabei nicht heraus. Das hatte folgende Gründe:

Da war einmal die Expertenmeinung. Gerald Knaus vom Think Tank Europäische Stabilitätsinitiative hat 2016 den Türkei-Deal mitverhandelt, das ist jenes vor allem von Kanzlerin Merkel forcierte Abkommen mit der Türkei, das den Zustrom an Migranten nach Europa bisher am wirkungsvollsten eingedämmt hat. Offenbar weiß das auch Strache, und daher kam auch keine Provokation in Richtung Knaus. Der vertrat aber durchaus pointierte Standpunkte.

So kritisierte der Migrationsexperte, dass Flüchtlinge in Europa "als Invasionsarmee" dargestellt würden, wie etwa von der Orban-Regierung in Ungarn. Dabei würden auf den griechischen Inseln derzeit nicht mehr als 3.000 Flüchtlinge pro Monat ankommen. Wichtig seien faire schnelle Asylverfahren in Europa. Der Grundsatz des Türkei-Abkommens könne dabei als Vorbild dienen: Kein Migrant sollte ohne geregeltes Verfahren in sein Herkunftsland zurückgebracht werden. Die Länder an der EU-Außengrenze müssten entsprechende finanzielle Unterstützung bekommen.

Doskozil für "europäische Lösung"

Hans Peter Doskozil war bemüht, seine Kompetenz in der Migrationsfrage, die er sich als Verteidigungsminister und zuvor als Landespolizeidirektor im Burgenland aufgebaut hat, darzustellen. Aber in Konfrontation zu Strache ging der stv. Bundesparteivorsitzende der SPÖ überhaupt nicht. Da sprach aus ihm viel zu sehr der burgenländische Finanzlandesrat, der genau weiß, dass derzeit keine Wahlen zu schlagen sind und dass die SPÖ im Burgenland mit den Blauen gemeinsam im Regierungsboot sitzt.

Und so referierte Doskozil über Außengrenzschutz und Verfahrenszentren außerhalb der EU. Erst wenn dieses System funktioniere, könne man über eine Verteilung der Flüchtlinge sprechen. Für eine europäische Lösung, die Doskozil favorisiere, brauche es auch die Visegrad-Staaten.

Wenn Deutschland damit beginne, Flüchtlinge an der Grenze zurückzuweisen und Italien, wie angekündigt, keine mehr aufnehmen wolle, könne es dazu kommen, dass Österreich als Puffer herhalten müsse. Strache hingegen sprach von einem Dominoeffekt, der letztlich dafür sorge, dass Flüchtlinge bereits an den EU-Außengrenzen abgewiesen würden.

Grüne stellt Soldaten-Frage

Die deutsche Grün-Politikerin Ska Keller erinnerte in der Diskussionsrunde daran, dass die EU für Menschenrechte stehe. Sie finde es „fatal“, wenn „die Europäische Union mit all ihren Errungenschaften in Frage gestellt“ werde. Die Migrationspolitik vieler europäischer Staaten erschöpfe sich darin, Probleme an Staaten an der EU-Außengrenze und in den Krisenregionen auszulagern, sagte Keller.

Zwei Mal polemisierte die Ko-Fraktionschefin der Europäischen Grünen auch direkt gegen Strache: Dass die gesamte österreichische Bundesregierung dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder in Linz mit einem Extra-Kabinettstreffen die Ehre ewiesen habe, konnte Keller sichtlich wenig abgewinnen. "Vielleicht sollte sich dann auch die deutsche Bundesregierung mit dem Wiener Bürgermeister treffen, vielleicht ist das jetzt das neue Format?“, fragte sie.

Sie sei "sehr dafür", zu kontrollieren, wer ins Land komme. "Aber was wollen Sie eigentlich mit den Soldaten machen, die Sie da an die Grenze stellen?“, fragte Keller in Richtung Strache. Wenn eine Familie aus Syrien oder Eritrea komme und Schutz suche, sollten die Soldaten dann in letzter Konsequenz schießen, wie das Politiker der deutschen AfD bereits angedeutet hatten?

Strache erklärte ausweichend, Flüchtlinge hätten kein Recht, sich ihre Destination für Asyl auszusuchen, das hätten Politikerinnen wie Keller noch nicht verinnerlicht. Auf direkte Konfrontation schien es Strache aber nicht angelegt haben.

Strache: "Allahu akbar" an der Grenze und "Werbevideos"

Seine Doppelstrategie sieht derzeit folgendermaßen aus: Strache tritt als Vizekanzler in den großen Medien möglichst staatstragend auf, bedient aber zum Beispiel über Soziale Medien noch immer seine Kernklientel. Am Sonntag teilte er auf Facebook einen Boulevard-Bericht über ein Video, das Migranten an der kroatischen Grenze zeigen soll. "Allahu akbar" würden sie rufen und die Grenze "stürmen".

Strache erwähnte das Video auch kurz in der ORF-Diskussion, um zu unterstreichen, dass es für eine Entwarnung in der Migrationsfrage noch zu früh sei.

Und noch ein anderes, deutlich älteres Video erwähnte Strache. Er kritisierte, dass das deutsche Bundesasylamt (BAMF) vor der großen Migrationskrise mit Videos „quasi Werbung“ dafür gemacht habe, „nach Deutschland aufzubrechen“.

Stimmt so nicht: Es ist ein BAMF-Video von Anfang 2014, das mit positiven Bildern einen fiktiven irakischen Flüchtling bei der Erstaufnahme zeigt und dort als Info-Video dient. Es richtet sich vor allem an Migranten, die bereits in Deutschland angekommen sind. Ob es „im weltweiten Netz zum Werbefilm für das gelobte Deutschland“ geworden ist, wie die Tageszeitung Die Welt damals schrieb, ist hingegen nicht bewiesen.

Aber Strache ist das klarerweise einerlei. Die Botschaft war mit wenigen Worten platziert, und überdies kam bei "Im Zentrum" kein Widerspruch.

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