"Ich benehm’ mich jetzt anständig"

Joachim Meyerhoff und Michael Maertens über Georg Büchners Revolutionsdrama "Dantons Tod" im Burgtheater: "Es geht um die Frage, wie man den Wunsch, frei zu leben, gesellschaftlich umsetzen kann".
Die Burgschauspieler Joachim Meyerhoff und Michael Maertens über Georg Büchner, Karin Bergmann und den Veggie-Day.

In Georg Büchners Revolutionsdrama "Dantons Tod" (Premiere am 24. 10., Burgtheater) werden sie als Danton und Robespierre von Weggefährten zu Feinden. Im Interview sprechen die Schauspieler Joachim Meyerhoff und Michael Maertens über Politik, Geld und Freiheit; über die neue Burgtheater-Direktorin Karin Bergmann und über beabsichtigte und unbeabsichtigte Lacher.

KURIER: Was sagen Sie zu Ihrer neuen Chefin?

Joachim Meyerhoff: Ich freue mich sehr, war aber nicht überrascht. Das war ja naheliegend.

Michael Maertens: Wir kannten Karin Bergmann ja bereits und wussten, das ist jemand, mit dem man reden kann, die kann das. Man muss ihr die Chance geben, hier nicht nur aufzuräumen, sondern auch dem Haus auch ihren Stempel aufzudrücken. Deshalb ist das eine wunderbare Entscheidung.

Abgesehen von der neuen Direktorin: Merkt man, dass im Burgtheater jetzt andere Zeiten angebrochen sind? Dass man jetzt sparen muss?

Maertens: Ja, als in den Zeitungen stand, was für ein Minus wir haben ...

Hat Sie das schockiert?

Maertens: Ja, klar. Wenn man dann von diesen enormen Schulden liest, kriegt man einen Schreck und wahrscheinlich überlegt sich jeder, wie teuer der Teller ist, den er bei der Probe möglicherweise kaputt schlägt.

Herr Meyerhoff, da fällt einem die Robinson-Crusoe-Inszenierung ein, bei der Sie den Zuschauerraum zertrümmern.

Meyerhoff: Ich mach nichts mehr kaputt, ich benehm’ mich jetzt anständig (lacht). Aber Geld ist ja nicht das Herzstück, das kann man wieder in den Griff kriegen. Ein Verlust ist, wenn jemand wie Gert Voss stirbt. Das empfinde ich viel dramatischer. Das ist eine Zäsur.

Zum aktuellen Stück: Herr Maertens, wie passt Ihnen denn der Robespierre?

Maertens: Das ist eine der wenigen Figuren, bei der ich eine gewisse Hemmung habe. Er hat politisch so viel bewegt, von dem wir heute noch zehren. Da braucht man eine gewisse Hybris, um sich zu trauen, ihn zu spielen. Ich versuche alles, um zu vermeiden, mich zu identifizieren. Denn das wäre anmaßend.

Herr Meyerhoff, wie geht es Ihnen mit Danton?

Meyerhoff: Ich bin immer noch überrascht, dass ich das spiele. Würde man das Klischee mehr erfüllen, hätte man es möglicherweise leichter. Die Schwere des Mannes würde der Frustration der historischen Figur mehr Raum geben. Ich muss mir das eben erarbeiten. Das schätze ich an Jan Bosse: Dass man nicht immer das spielt, was man auf den ersten Blick spielen sollte. Dadurch ist man gefordert. Und es ist eine fantastische, sehr ambivalente Figur. Ich habe das Gefühl, Büchner selber hat den Überblick über die Figur total verloren. Es steckt viel von ihm selbst drin.

"Dantons Tod" ist ein sehr heutiges Stück, wenn man davon ausgeht, dass es um das Suchen nach Freiheit und das Eingeständnis von deren Grenzen geht. Maertens: Es geht um die Frage, wie man den Wunsch, frei zu leben, gesellschaftlich umsetzen kann.

Gerade Robespierre ist ein sehr ambivalenter Mann. Zu Beginn ist er gegen die Todesstrafe, dann führt er die Guillotine ein. War er jemals Idealist?

Maertens: Robespierre hat seine Ideale später verraten und ist ein Diktator geworden. Aber ich unterstelle beiden Figuren, dass sie zunächst für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit gekämpft haben. Sie wollten die Welt verändern. In der Frage, wie man das macht, trennten sich ihre Wege. Genau da sind wir im Stück.

Meyerhoff: Ein Schlüsselsatz ist: "Wo die Notwehr aufhört, fängt der Mord an." Es geht darum: Was ist der Preis, den man für die Veränderungen zahlen muss? Robespierres Preis ist, dass er völlig außer Kontrolle gerät. Es sagt, der Blutpegel muss steigen, um die Stabilität aufrecht zu erhalten. Danton hingegen sagt, jeder handelt seiner Natur gemäß. Das klingt zunächst toll, ist aber genau so eine extreme Handlungsweise. Büchner zeigt hier, wie sich zwei Extreme entwickeln, die der ursprünglichen Idee, nämlich dem Volk Brot zu geben, nicht mehr dienen. Sie ist beiden entglitten, durch persönliche Schwächen, und das ist es, was dieses Stück so groß macht.

Auch hier ist das Stück sehr modern: Danton ist zwar für die Freiheit des Einzelnen, aber der Staat soll sich bloß nicht einmischen.

Meyerhoff: Ja, ich finde es erstaunlich, dass Büchner das schreibt, denn das ist ja das, was in unserer Welt der Idealzustand ist. Wir fühlen uns frei. Doch gleichzeitig gibt es nun mit diesem Überwachungswahnsinn etwas, das uns unfrei macht. Ich finde es gerade jetzt hochkomplex, den Begriff der Freiheit zu diskutieren. Ich selbst fühle mich frei, aber das stimmt zunehmend nicht.

KURIER: Einerseits ist da die Überwachung, andererseits auch die Tagespolitik, wo es immer mehr um Verbote geht.
Meyerhoff:
Das Befreiende an diesem Stück ist, dass es um große Dinge geht. Und nicht um die „Fuzo“ in der „Mahü“.
Maertens: Um was? Was ist das?
Meyerhoff: Die Fußgängerzone in der Mariahilfer Straße. Es geht nicht um so grauenhafte Wortgebilde ...
Maertens: ... wie den fleischfreien Tag pro Woche ...
Meyerhoff: Ja, der „Veggie-Day“, mit dem sich die deutschen Grünen gekillt haben ... aber es geht hier um Größeres: Um die Französische Revolution. Da sind Dinge weggebrochen, die jahrhundertelang Bestand hatten: Kirche, Glaube, Adel. In diesem Stück merkt man, was es heißt, wenn eine Gesellschaft nicht weiß, wie sie handeln soll. Wenn es noch keine Grundmuster der Demokratie gibt. Das ist mehr als Tagespolitik.

Eine politische Frage, mit der wir sehr wohl konfrontiert sind, ist, ob und inwieweit Gewalt durch die gute Sache legitimiert wird.
Meyerhoff:
Es geht um Interventionen in dramatischen politischen Situationen. Thema IS: Darf, soll, muss Deutschland intervenieren? Welche politischen Mittel sind gerechtfertigt? Immer schon das Thema der deutschen Grünen, die ja, als sie in der politischen Verantwortung waren, ihr Ideal der Gewaltfreiheit über Bord werfen mussten: Ja, es gibt Situationen, wo Gewalt legitimiert ist, denn sonst sterben noch mehr Menschen. Die Gewaltausübung ist eines der schwersten den Menschen anvertrauten Güter. Es gibt da keine Gesetzmäßigkeit, nur den Einzelfall. Denken Sie an die Tyrannenmorde, etwa Ceauşescu: Es geht nicht, dass ein Volk, das Jahrzehntelang unter der Unterdrückung eines Diktators gelitten hat, sich ohne Gewalt befreit. Man würde es sich wünschen, es wäre ein Gründungsmoment des Rechtsstaates, dass der Diktator Robespierre einen fairen Prozess erhält, aber es ist nicht möglich. Stattdessen hat man ihn zum Schafott gebracht.

Das ja eigentlich aus humanitären Gründen erfunden wurde.
Meyerhoff:
Ja, so pervers ist diese Welt. Jetzt, ein paar Hundert Jahre später, ist dieses Symbol der Enthauptung, dieses archetypische Horrorfanal, wieder da. Das steckt alles in diesen Stück. Wirklich lustig ist es nicht. Es ist allerdings leichter, wenn man es spielt. Und Danton hat so genug von genau diesen Gesprächen, wie wir sie hier führen. Er geht lieber zu Prostituierten. Der Fatalismus der Geschichte.

Sie beide haben schon oft zusammengearbeitet ...
Maertens:
Eigentlich selten. Ich bin richtig aufgeregt, es macht mir großen Spaß, mit Joachim zu spielen. Allerdings haben wir auch diesmal kaum Szenen miteinander. In dieser Hinsicht ist der Robespierre eine undankbare Rolle, weil er sehr allein ist, im wahrsten Sinne des Wortes.

Schon Ihre zweite „undankbare“ Rolle in diesem Stück. Sie haben ja auch den Saint-Just gespielt, 1989 am Thalia Theater.
Maertens:
Damals hab ich das nicht so empfunden, da war ich noch so jung, da war es eine unglaubliche Ehre, neben Herrn Bechtolf und Herrn Kremer spielen zu dürfen. Diesmal fühle ich mich einsam.

Anders als zuletzt, wo es oft etwas zu lachen gab bei Ihnen.
Maertens:
Ja, manchmal bin ich selber überrascht, wenn die Leute lachen. Vielleicht kann man auch über Robespierre sehr lachen, das weiß ich gar nicht.

Das glaube ich Ihnen nicht, dass Sie überrascht sind, wenn die Leute lachen.
Maertens:
Das ist tatsächlich so. Man kann das nicht immer kalkulieren. Manchmal hofft man es, dann lacht aber keiner. Ich habe auch schon oft erlebt, dass etwas gar nicht komisch gedacht war und die Leute lachen trotzdem. Das meine ich gar nicht kokett.

Wenn die Reaktionen dann da sind, kann man sie steuern?
Maerten
s: Man lernt das in den Aufführungen, deshalb empfehle ich Kritikern immer, sich nach der Premiere noch einmal die dreißigste Vorstellung anzuschauen.

Wie haben Sie sich auf dieses Stück vorbereitet?
Meyerhoff:
Da braucht man Jahre. Man fängt bei der französischen Revolution und kommt über Büchners Vater in die Gegenwart. Die Vorbereitung auf dieses Stück ist eine Materialschlacht, in der man rettungslos ersäuft. Ich bin gescheitert. Wobei das Wissen ja nur dazu da ist, um Ahnungen zu bekommen.
Maertens: Das ist ja insofern kokett, weil er sehr gut vorbereitet ist. Weil er viel liest und sehr gescheit ist. Und einen unglaublichen Instinkt hat. Es ist faszinierend, ihn bei der Arbeit mit Jan Bosse zu beobachten. Wie Joachim nicht nur an sich, sondern den ganzen Abend mitdenkt. Wie er mitinszeniert, was wir als Hauptdarsteller ja eigentlich immer machen.

Wann kommt wieder ein Buch von Ihnen, Herr Meyerhoff?
Meyerhoff:
Am Abend ist Danton-Premiere und am Morgen fang ich an zu schreiben.

Das Drama um Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit

Biografie
Seine Biografie liest sich wie die eines literarischen Popidols: Georg Büchner (*17. Oktober 1813 in Goddelau, Hessen; 19. Februar 1837 in Zürich) war Romantiker, Rebell, und er starb jung. Mit nur 23 Jahren erlag der Vormärz-Literat dem Typhus. Bis dahin hatte er Ungeheures geleistet. Dreieinhalb Theaterstücke geschrieben, in Naturwissenschaften promoviert und mehrere aufrührerische Schriften herausgegeben – in Deutschland wurde er steckbrieflich gesucht.

Drama
Sein Drama „Dantons Tod“ (1835) spielt in der düstersten Zeit der Zeit der Französischen Revolution, der „Schreckensherrschaft“, in der die Ideale des Aufbruchs „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ sich in ihr Gegenteil zu verkehren drohten: Gnadenlos wurden politisch Andersdenkende verfolgt. Die Revolutionäre Maximilien de Robespierre (1758–1794) und Georges Danton (1759– 1794) waren mitverantwortlich für die grauenhafte Eskalation.
Büchner stellt in seinem Stück die Frage, ob ein gerechtes politisches System, in dem der Einzelne ein selbstbestimmtes Leben führen kann, überhaupt möglich ist.

Burg
Das Burgtheater zeigt „Dantons Tod“ ab 24.Oktober in einer Inszenierung von Jan Bosse. Neben Joachim Meyerhoff und Michael Maertens spielen unter anderen Adina Vetter, Fabian Krüger und Ignaz Kirchner.

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