Big Brother ist wieder da, und alle lügen wie gedruckt

Er nimmt sich gerne Großes vor: Ian McEwan macht aus Überwachungsstaat und Klimawandel Bestseller.
Ian McEwans Roman "Honig" ist das Buch zur Stunde. Es geht um Überwachung.

George Orwells „1984“ ist jetzt wieder Top-Seller bei Amazon. Der von Edward Snowden ausgelöste Skandal um die Überwachung von Telefon- und Internetdaten durch den amerikanischen Geheimdienst hat viele an Orwells Überwachungsstaat erinnert.

2013 sind die staatlichen Kontrolltechniken subtiler als 1984. Subtiler auch als die Operation „Honig“, die Ian McEwan in seinem gleichnamigen Roman beschreibt.

Der 65-jährige, mehrfach ausgezeichnete britische Erfolgs-Autor („Solar“) nimmt sich gern Großes vor: Nahostkrieg, Terror oder Klimawandel behandelt er Bestseller-tauglich.

Geheimdienst

Auch „Honig“ beruht auf Fakten. Im Roman will der britische Geheimdienst mit der Operation „Honig“ Kulturschaffende zu staatsopportunen Äußerungen bringen. Es ist das Jahr 1972, wir sind mitten im Kalten Krieg.

Die 23-jährige Serena Frome ist schön und klug und hat einen Cambridge-Abschluss in Mathematik. Literatur wäre ihr lieber gewesen, aber vielleicht ist es gut, wie es ist. Sie mag am liebsten Romane, die damit enden, dass er zu ihr sagt: „Ich heirate dich.“ Okay, Alexander Solschenizyn mag sie auch, aber vor allem deshalb, weil sie überzeugte Antikommunistin ist. Wie sie dazu kommt, das erschließt sich nicht leicht. Ihren ersten Solschenizyn hat sie gleich nach Ian Flemings „Octopussy“ gelesen: „Ein harter Übergang“.

Die ideale Rekrutin

Serena ist naiv und egozentrisch – McEwan spricht mehrfach von „Solipsismus“. Und sie überschätzt ihre intellektuellen Fähigkeiten. Das macht sie zur idealen Rekrutin für den MI5, den britischen Geheimdienst, der Intellektuelle fördern will, deren politische Haltung der Staatsmacht genehm ist.

Und hier liegt der reale Hintergrund des Romans: CIA und Secret Service betrieben im Kalten Krieg tatsächlich Kulturpolitik. 2010 aufgetauchte geheime Dossiers belegen, dass George Orwells „Big Brother“ (fast) die reine Wahrheit war. Er, der vor der totalen Überwachung durch den Staat warnte, wurde tatsächlich vom britischen Geheimdienst überwacht. Man unterstellte ihm „fortgeschrittene kommunistische Ansichten“. Später korrigierte der Geheimdienst seine Einschätzung. Orwell hatte sich im Spanischen Bürgerkrieg vom begeisterten Sozialisten zum Kommunismus-Kritiker gewandelt. Nachzulesen in „Die Farm der Tiere“.

Alles nach Plan?

In McEwans Roman wird Serena das Leben eines aufstrebenden jungen Autors infiltrieren. Es wird nicht alles nach Plan laufen. Sie liebt zunächst die Erzählungen des Mannes, dann den Mann selbst. Sie wird „auf die Schnauze fallen“, denn auch andere lügen wie gedruckt.

Big Brother ist wieder da, und alle lügen wie gedruckt

Ian McEwan ist natürlich ein fantastischer Erzähler. Sprachlich und handwerklich brillant. Das Doppelbödige ist seine Stärke: Man kennt das aus „Abbitte“.

Auch „Honig“ ist geschickt gewebt. Serena hält sich für sehr schlau. Obwohl „Honig“ in der Ich-Form erzählt wird, weiß der Leser es besser. Nicht zum ersten Mal haben wir es bei McEwan mit einem egozentrischen, sexbesessenen Hauptdarsteller zu tun, der eine Spur zu viel von sich hält.

Aber: Die Tricks, die McEwan in den eingeschobenen Kurzgeschichten des beschatteten Autors belächelt und eben als Tricks entlarvt – die wendet er selbst an. Es endet (Überraschung!) mit einer Überraschung. Das macht diese Geschichte etwas zu perfekt und zu gewollt. Dennoch: fein und sehr unterhaltsam.

KURIER-Wertung:

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