Hype der Stunde: The Last Dinner Party in Wien
Es ist Montag. 21 Uhr. An diesem Abend Ende Februar hat man das Gefühl, bei etwas Großem dabei zu sein. Die Schlange vor dem Wiener Musikklub Grelle Forelle, wo normalerweise Techno-Partys stattfinden, ist einige Meter lang. Alle wirken gut gelaunt, gespielt locker, etwas nervös, vielleicht vollbeladen mit gewissen Erwartungen (so wie beim ersten Tinder-Date?). Es herrscht auf alle Fälle Vorfreude - und zwar auf ein Konzert einer Band, die gerade ihr Debütalbum veröffentlicht hat: The Last Dinner Party.
An dieser Band kommt man derzeit nur schwer vorbei. Die in London lebenden Musikerinnen werden nämlich seit Wochen hysterisch abgefeiert, fast so, als hätte es davor keine Frauenbands gegeben, als wäre das alles neu, als hätte es Sleater Kinney, The Bangles, Bikini Kill und die Riot-Grrrl-Bewegung nie gegeben. Aber dieser Hype hat auch etwas Positives: Es wird wieder mehr über Musik geredet - und geschrieben. Das erinnert ein wenig an das Jahr 2001, in dem The Strokes mit ihrem Debütalbum „Is This It“ eine Welle von The-Bands auslösten. Ob The Last Dinner Party mit "Prelude to Ecstasy" (der KURIER hat berichtet) ähnliches gelingen wird, bleibt abzuwarten. Die Chancen stehen gut.
Verträumt, aber immer fokussiert
Das Konzert am Montagabend in der seit Wochen ausverkauften Grelle Forelle ist eine gelungene Darbietung. Alles läuft nach Plan. Selbst die Hoppalas wirken einstudiert. Die Band, die laut eigener Aussage das Ergebnis einer feucht-fröhlichen Nacht in einem Londoner Pub ist, hat genaue Vorstellungen davon, wie sie sich präsentieren möchte: Sexy, aber nicht zu sexy. Verträumt, aber stets fokussiert. Ausladend, aber immer am Punkt. Schüchtern, aber keineswegs verschlossen.
Das Konzert in der Grelle Forelle ist das zweite Wien-Konzert von The Last Dinner Party. Sie agierten bereits im Dezember vergangenen Jahres als Vorband von "Hozier" in der Wiener Stadthalle. Glaubt man Fan-Einträgen im Internet, haben die Girls dem irischen Sänger damals die Show gestohlen.
Romantisch
Wieder in Wien zu sein, sei wunderschön, wie die Sängerin Abigail Morris dem KURIER am Nachmittag vor dem Auftritt sagte. Alles sei so romantisch hier. "Die Häuser sehen so aus, als wären sie aus Marzipan. So beautiful“, schwärmt sie und nimmt einen Schluck Wein. Es ist immerhin schon 16 Uhr. Und zum Sightseeing und Shopping bleibt ohnehin keine Zeit. Am Vorabend sei man im Mailand gewesen. Mit dem Auftritt in Wien endet auch die Europa-Tournee. Im März geht es dann über den Atlantik nach Mexico und dann weiter durch die USA. Dieses Herumreisen sei super, versichert die gut gelaunte Abigail Morris: Sie wollten dieses Leben, das ganze Touren, das Leben aus dem Koffer: "Es ist alles so aufregend."
Ehrgeizig
Seit der Gründung im Jahr 2020 habe sich noch nicht viel verändert, wie Abigail und die Bassistin Georgia Davies unisono bestätigen. Das Einzige, was neu ist, sei der Rummel um ihre Person, der enorme Publikumszuspruch, das damit gewonnene Selbstvertrauen und sicherlich auch der Kontostand auf dem Studentenkonto. Dass sie mittlerweile große Hallen füllen, ist großartig. Wäre der Erfolg, der Hype ausgeblieben, würden sie trotzdem weitermachen, von Pub zu Pub ziehen - und spielen.
Leidenschaft
Diese gemeinsame Zeit auf der Bühne scheinen The Last Dinner Party zu genießen: Abigail Morris, Aurora Nishevci, Emily Roberts, Georgia Davies und Lizzie Mayland stehen am Montagabend wie aufgefädelt auf der etwas zu klein bemessenen Bühne. Dahinter agiert eine nicht groß vorgestellte, aber toll spielende Schlagzeugerin, die nicht zur Stammformation gehört. Davor versuchen die knapp 500 Gäste einen guten Blick auf dieses einstündige Indie-Musical, die euphorisch vorgetragene Rock-Operette zu bekommen. Das gelingt nicht allen, denn die Bühne in der Grelle Forelle ist nicht gemacht für Rockbands. Trotzdem geht man am Ende des Abends zufrieden nach Hause: In so einem intimen Rahmen wird man The Last Dinner Party sicherlich länger nicht mehr erleben können.
Musiktheater
Im Mittelpunkt des Abends steht die Sängerin Abigail Morris, die an diesem Abend einen Brautschleier trägt. Es hätte auch eine Baseballkappe sein können, oder was auch immer. "Mode ist unsere persönliche Leidenschaft. Wir lieben es, mit Stilen zu spielen, theatralisch zu sein", sagt Abigail Morris. Das passt zur Musik, die The Last Dinner Party machen.
Die Band bricht Popsong-Strukturen auseinander, zeigt, dass breitbeinige (in Hall ertränkte) Gitarrensoli nicht nur Männern vorbehalten sind. Ihre Texte versprühen Zeitgeist, thematisieren traditionelle Rollenbilder und lösen diese im Refrain auch gleich auf. Das alles schreit nach Selbstbestimmung, nach einem möglichen Vorbild für die Generation Alpha, also für jene, die nach 2020 geboren sind.
Mehrstimmig
Da die Band bislang nur ein Album vorzuweisen hat, ist die Setlist überschaubar bzw. vorprogrammiert. Es beginnt mit dem nach dem Album benannten Intro und geht direkt in "Burn Alive" über. Es wird die Querflöte geblasen ("Beautiful Boy"), kommen die Streicher aus der Konserve, wird wunderschön mehrstimmig gesungen. Die Gitarren werden scharf, funky, melancholisch und lethargisch-depressiv angeschlagen.
Die Songs sind ähnlich divers wie die Frauen auf der Bühne. Man hört eine Mischung aus ABBA-Melodien, Queen-Wahnsinn und Musik, die einen an Bands wie Arcade Fire, Franz Ferdinand, The Dresden Dolls erinnern. Den größten Hit "Nothing Matters" gibt es zum Finale: Der Refrain wird dabei lautstark vom Publikum intoniert: "And you can hold me like he held her / And I will fuck you like nothing matters“. Einfach machen - und nicht nachdenken. Es ist ja nur ein Tinder-Date ...
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