Heteros im Hotel
Purer Wahnsinn im Repertoirebetrieb. Simon Stone, in Basel geborener Australier, hat das Werk August Strindbergs durchgeackert – und seine Funde über Geschlechterkrieg und Familienzwist zu einem überbordenden, tieftraurigen, streckenweise auch unglaublich witzigen Episodendrama kompiliert.
Doch Stone bediente sich für den langen, gleichwohl kurzweiligen Abend, der am Freitag im Akademietheater Premiere hatte, nicht nur an Konstellationen und Konflikten aus Stücken wie "Der Pelikan", "Nach Damaskus" und "Die Stärkere": Er verlegte die Handlungen ins Hier und Heute, also nach Wien – in ein Mittelklassehotel. In der Ferne sieht man angeblich den Steffl, Prosecco und Gelben Muskateller kauft man nebenan preiswert beim Billa.
Ausstatterin Alice Babidge hat Simon Stone für seine Soap eine grandiose Szenerie gebaut: In jedem der drei Akte blickt man durch die Glasfassade in drei Stockwerke. Nach der ersten Pause – der Umbau dauert eine halbe Stunde – verlagert sich das Geschehen zwei Ebenen nach oben; das Finale spielt vornehmlich in der Rezeption und im Frühstücksraum.
Männliche Dominanz
Dass die um Tinder, Pornhub und "Game of Thrones" angereicherten Plots tatsächlich auf Strindberg basieren, liegt auf der Hand. Denn im "Hotel Strindberg", so der Titel, sind ausnahmslos alle Paare heterosexuell. Hier feiert eine archaische Welt Auferstehung. Ehemänner betrügen ihre Frauen, Ehefrauen betrügen ihre Männer, Kukuckskinder da wie dort.
Häppchenweise, mitunter rasant gegengeschnitten, erzählt Stone unter anderem von einer reifen Frau (Caroline Peters), die den Mann ihrer Tochter vernascht; von einem eifersüchtigen wie weinerlichen Nachwuchsdramatiker (Michael Wächter), der sich eben noch im Bett mit der toughen Nachbarin (Barbara Horvath) vergnügt hat – und nun, im Affekt, seine Frau (Aenne Schwarz) umbringt, da sich diese scheiden lassen will. Stone erzählt auch von der Schwangeren (Franziska Hackl), die stundenlang verzweifelt auf ihren verheirateten Liebhaber wartet – und schließlich eine Schachtel Tabletten einwirft; vom jungen Künstler, den die sexuellen Eskapaden seiner Frau – unter anderem mit dem Dramatiker – aufgeilen wie auch zerstören.
Im Zentrum steht Strindbergs "Der "Vater". Alfred und Charlotte haben sich, weil ihr Haus mit Gift von der Rattenplage befreit werden soll, in der Suite einquartiert: Durch die Tür zwischen Salon und Schlafzimmer debattieren die beiden über ihre Tochter Laura, die als aufstrebende Künstlerin die männliche Dominanz mit Pornovideos anprangert: in Nachstellungen der Roman-Polanski-Vergewaltigung oder des Blow-Jobs von Monica Lewinsky.
Und die Rache der Frau
Der Vater, kettenrauchend und lässig von Martin Wuttke gespielt, findet das gar nicht super. Peters als Mutter hält dagegen, ein veritabler Streit bricht aus, den Yasmina Reza kaum besser auf den Punkt gebracht hätte. "Du bist widerlich", sagt sie. "Ich tu, was ich kann", erwidert der Drehbuchautor, der sich mit dem riesigen Teleobjektiv nebenbei als Voyeur betätigt.
Und er kann es wirklich. Denn Charlotte hat Schulfreund Philipp (Simon Zagermann) zum Essen eingeladen, in dem Alfred, das Alter Ego von Strindberg, sogleich einen Rivalen erkennt: Er macht den Psychiater, einen Kopf größer, nach Strich und Faden fertig. Gerade in diesem "Kammerspiel" fallen viele treffliche Sätze, etwa: Die Frauen würden nicht Gleichberechtigung wollen, sondern Rache. Später werden Charlotte und Alfred, beide betrunken, zum hasserfüllten Showdown in einem anderen Zimmer landen – in jenem, in dem Peters und Wuttke in anderen Rollen (als altes Ehepaar) zu sehen waren.
Alfreds paranoide Anwandlungen werden im dritten Akt manifest: Realität und Visionen überlagern sich, ein fulminanter Roland Koch ist zugleich Sozialarbeiter Klaus wie auch Concierge Xavier, Wuttke verwandelt sich in einen an Nick Cave erinnernden Rocksänger, manche der Geschichten lösen sich auf, Rezeption und Frühstückszimmer mutieren zu einem Irrenhaus, und übrig bleibt ein nackter Wuttke, der um Würde bettelt. Stark.
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