"Es gibt nichts Perfektes"

Zur ARTE-Sendung Unser Hollywood ­ Kino aus Babelsberg 5: Henry Hübchen © Finkernagel&Lück Foto: rbb Honorarfreie Verwendung nur im Zusammenhang mit genannter Sendung und bei folgender Nennung "Bild: Sendeanstalt/Copyright". Andere Verwendungen nur nach vorheriger Absprache: ARTE-Bildredaktion, Silke Wölk Tel.: +33 3 881 422 25, E-Mail: bildredaktion@arte.tv
Im neuen Film spielt er einen Gewerkschafter. Im Interview sagt er, was er davon hält.

Berliner Schnauze, gebürtig aus Charlottenburg. „Mastroianni vom Prenzlauer Berg“ nannte man ihn. Henry Hübchen, Jahrgang 1947, gehörte zu den profiliertesten Schauspielern der ehemaligen DDR, wo er unter anderem in „Jakob der Lügner“ von Frank Beyer zu sehen war – der einzige DDR-Film, der je für einen Oscar nominiert war. Nach der Wende arbeitete er mit Frank Castorf an der Berliner Volksbühne und stand bei den Salzburger Festspielen als Stanley Kowalski auf der Bühne. Zu seinen bekanntesten Filmen zählen „Sonnenallee“ von Leander Haußmann und „Alles auf Zucker!“ von Dani Levy. Im Fernsehen kennt man ihn unter anderem als „Commissario Laurenti“. Am Freitag kommt sein neuer Film „Da geht noch was“ von Holger Haase ins Kino. Hübchen spielt darin einen pensionierten Gewerkschafter und übellaunigen Familienvater.

KURIER: Herr Hübchen, können Sie mit Gewerkschaften etwas anfangen?
Henry Hübchen:
Natürlich, man kann ja nur etwas durchsetzen, wenn man gemeinsam auftritt. Die Unternehmen sind ja darauf bedacht, die Arbeitnehmer auseinanderzudividieren. Man muss sich zusammenschließen.

Im Film fällt der Satz: „Ich kenn den Bsirske“ (Chef der Gewerkschaft ver.di, Anm.). Was dem Gegenüber egal ist. Wäre so ein mächtiger Freund früher nicht egal gewesen? Haben Gewerkschaften Bedeutung verloren?
Ich glaube, dass Gewerkschaften eine Riesenbedeutung haben. Je weiter der soziale Friede gefährdet ist, desto bedeutender werden Gewerkschaften.

Für Ihre Figur Carl ist soziale Gerechtigkeit ein wichtiges Thema. Gleichzeitgig wird er als Mensch von gestern dargestellt. Ist soziale Gerechtigkeit von gestern?
Na ja, er ist ja Rentner, deswegen kann er ja trotzdem sozial denken. Seine Familie wirft ihm vor, dass er in einem von der Gewerkschaft bezahlten Haus wohnt. Ich glaube, dass Leute, die ein großes Unternehmen leiten, und eine Gewerkschaft ist ja auch ein Unternehmen, auch anders bezahlt werden sollen. Jeder nach seinen Leistungen. Die Frage ist immer die Bemessungsgrenze. Wie hoch ist eine Leitung wirklich? Natürlich ist die Leistung einer Krankenschwester oder eines Notarztes eine riesige ... die haben aber keine Gehälter wie ein Bankdirektor, das würde ja nicht funktionieren.

Ist das gerecht? (Ein Rettungswagen fährt vorbei)
Die retten gerade Leben für ich weiß nicht wie viele Euro im Monat. Ist es gerecht, dass ein Schauspieler, wenn er gefragt ist, viel mehr Geld bekommt als ein Stahlarbeiter? Wir leben in einer Gesellschaft, wo es um Angebot und Nachfrage geht.

Reden wir über Familie. Im Film fällt der Satz: „Familie kann man sich nicht aussuchen“. Haben Sie das auch einmal gedacht?
Nie. Aber es ist wahr. Ich konnte mir auch nicht aussuchen, ob ich an dieser Welt teilnehmen möchte. Wir sind ja doch einem Schicksal unterworfen. Wobei man Möglichkeiten hat, zu gestalten.

Trotzdem ist man manchmal, wie es im Film heißt „der alleinste Mensch auf der Welt“.
Meinen Sie? Das kann schon so sein. Familie ist ja zuerst bloß ein Verwaltungsakt und ein Akt der Fortpflanzung. Ein Kind zu bekommen, ist ja keine Kunst. Ich sehe den Familienbegriff nicht so eng. Familie sind Leute, die mir etwas bedeuten, für die ich einstehen würde. Dafür muss ich nicht heiraten. Das können Freunde sein, oder Kollegen, mit denen man auf einer Wellenlänge ist. Das kann sogar ’ne Gewerkschaft sein.

Es geht in dem Film auch darum, dass man zwar mit seinen Eltern hadert, aber trotzdem irgendwann merkt, dass man ihnen irgendwie ähnlich ist. Könne wir unserem Schicksal am Ende gar nicht entkommen?
Natürlich sind Dinge vorbestimmt. Aber wenn ich sie erkenne, kann ich vieles relativieren. Man muss sich bloß mit sich selbst beschäftigen. Das machen aber die wenigsten. Die meisten gehen davon aus, dass sie alles richtig machen und der Mittelpunkt der Welt sind. Was ja auch wieder richtig ist: Wir sind Milliarden von Menschen, da muss man sich schon irgendwie als etwas Besonderes empfinden. Wenn man sich nur relativiert ... na ja, wozu dann sich hier unterhalten? Sind Interviews der Sinn des Lebens? Haben Sie ’ne Ahnung, haben Sie mal drüber nachgedacht?

Ja oft, aber zurück zur Familie: Als Eltern macht man’s ja immer falsch.
Ja, die meisten Eltern haben eine genaue Vorstellung: So muss mein Kind sein. Die fühlen sich wie Gott, wollen ihre Kinder formen. Das geht nicht. Man ist ja kein Bildhauer. So ein Wesen lebt und rennt durch diese Welt. Man muss die Kinder erzeugen und der Gesellschaft überlassen. Je besser, je sozialer, eine Gesellschaft ist, desto größer ist die Chance, dass die Kinder ein Leben leben, das für sie lebenswert ist.

Eltern haben oft Angst, dass die Kinder dieselben Fehler machen wie sie selbst.
Das ging mir nicht so. Fehler macht man ständig, die gehören zum Leben. In dem Film sind auch welche. Es gibt nichts Perfektes.

Ihre Tochter hat sich entschieden, denselben Karriereweg wie Sie einzuschlagen. War das nicht schwierig für Sie, wissend, wie schmerzvoll die Erfahrungen in dieser Branche auch sein können?
Nein, meine Tochter wollte das. Ich weiß, es ist schwer, sich da durchzusetzen. Man kann im Leben auch mehrmals eine Wende machen. Aber etwas nicht auszuprobieren, das ist wirklich ein Fehler. Scheitern ist doch nichts Schlechtes. Es bedeutet einfach, zu erkennen, wenn wo eine Einbahnstraße ist, und dann eben einen anderen Weg zu nehmen. Wer nur auf Autobahnen laufen will, ist langweilig.

Aber Schauspiel ist das Gegenteil von Autobahn. Es gibt nur wenige, die es schaffen.
Ja, aber es gibt noch weniger Kosmonauten. Wenn man so denkt, dann würde es nur noch Beamte geben.

Können Sie etwas mit dem Begriff: „Der Mastroianni vom Prenzlauer Berg“ anfangen?
Klar, so hat mich ein Journalist mal genannt. Wir haben an der Volksbühne ein Stück nach dem Fellini-Film „Stadt der Frauen“ gespielt, da spielt Mastroianni die Hauptrolle. Das Thema des Films hat Fellini und Mastroianni ihr Leben lang begleitet, und es gilt auch für Castorf und mich: Die ewige Suche nach der perfekten Frau. Das ist wie in der Physik die Suche nach dem Grenzwert, den man nicht erreicht. Und mit dem Mastroianni-Vergleich hab ich kein Problem. Bloß der Prenzlauer-Berg ist ein bisschen einengend.

Kommentare