Helnwein: "Grauen wird durch Kunst transformiert"

Gottfried Helnwein - hier im pathologisch-anatomischen Museum im Narrenturm - spürt bis heute eine starke Verbindung zu Wien.
Maler Gottfried Helnwein spricht über seine Retrospektive in der Albertina, das Internet - und den Einfluss des KURIER auf seine Arbeit.

Es ist ein guter Rechenschaftsbericht", sagt Gottfried Helnwein über seine Retrospektive in der Wiener Albertina. Es ist die größte Schau des 1948 geborenen Künstlers, die je im deutschsprachigen Raum gezeigt wurde - und die erste Ausstellung in Wien seit 1985. Damals stellte Helnwein ebenfalls in der Albertina aus, kurz bevor er nach Deutschland übersiedelte.

KURIER: Der KURIER hat erst vor zwei Jahren den Heimskandal am Wilhelminenberg aufgedeckt. Mich interessiert, wie Sie das wahrgenommen haben.

Ende der 60er, Anfang der 70er war das verwundete Kind fast obsessiv mein Thema. Es ist für mich interessant zu sehen, dass genau zu dem Zeitpunkt, als ich diese Bilder gemalt habe, in Heimen Kinder missbraucht und misshandelt worden sind. Ohne dass ich über diese Ereignisse Bescheid wusste - ich habe sie gespürt. Das ist eine Qualität, die Kunst manchmal hat - dass sie visionär ist, dass Künstler Dinge spüren, die in der Gesellschaft los sind. In der ganzen österreichischen Kunst damals war Gewalt, Schmerz, Tod ein Thema.

Und die Schwelle, sich aufzuregen, war offenbar geringer. Ich habe das Statement des Arztes Heinrich Gross aus dem KURIER-Archiv geholt, auf das Sie mit dem Bild "Lebensunwertes Leben" reagiert haben....

Helnwein: "Grauen wird durch Kunst transformiert"
Gottfried Helnwein "Lebensunwertes Leben", 1979, Aquarell auf Karton, 72 x 72 cm; R. Wittek-Saltzberg.
Ja, ich habe das im KURIER gelesen. Dass hier jemand gelassen erzählt: Ja, er hat Kinder umgebracht, natürlich würde er es heute nicht mehr tun, aber damals war das einfach so. Und auf die Frage, ob die totgespritzt wurden, sagt er: Nein, wir haben uns etwas Humanes ausgedacht, wir haben das Gift Luminal ins Essen gemischt, und die Kinder haben gar nicht gemerkt, dass sie sterben würden. Das war für mich ein Schock, dass er das so sagen kann und nicht nur frei herumläuft, sondern ein gefeierter Gerichtsmediziner ist, mit allen Orden der Republik behängt. Der wirklich große Schock war dann allerdings: Es gab überhaupt keine Reaktion. Und zur gleichen Zeit ist im ORF irgendein Moderator ohne Krawatte aufgetreten, oder irgendetwas in der Art, und es gab eine Flut von empörten Leserbriefen. Diese Diskrepanz brachte mich dazu, beiprofilanzurufen und zu sagen: Ich will einen offenen Brief schreiben und malen. Ich habe nur versucht, das, was Gross beschrieben hat, ohne Übertreibung ins Bild zu übersetzen: Nämlich, dass ein Kind vergiftetes Essen isst und mit dem Kopf in den Teller gefallen ist. Das hat dann etwas in Gang gesetzt, plötzlich war Entrüstung da. Da ist mir bewusst geworden, dass Bilder eine viel tiefere Wirkung haben können als Worte.
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Bilder aus der Helnwein-Retrospektive

Helnwein: "Grauen wird durch Kunst transformiert"

Gottfried Helnwein Epiphanie (Anbetung der Könige…
Helnwein: "Grauen wird durch Kunst transformiert"

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Helnwein: "Grauen wird durch Kunst transformiert"

Nun sind Sie aus Wien schon lange weg. Inwiefern blieb Wien der Humus für Ihre Arbeit?
Ich glaube, die Triebkraft kommt wirklich aus der österreichischen Kulturtradition, in der ich total verwurzelt bin. Die Beschäftigung mit dem Tod, dem Abgründigen hat hier eine lange Tradition. Wenn man Barockkirchen anschaut, sieht man verzückte Frauengestalten, Engel, tanzende Totengerippe. Diese massive Bilderflut der Gegenreformation, das Derbe, aber auch das Übersüße dabei - der Kontrast ist so typisch österreichisch für mich. Und Barock ist eine Theaterkultur: Die Essenz dessen, was man als wienerisch oder österreichisch bezeichnen könnte, ist diese Lust am Theatralischen.

Das letzte Mal, als wir miteinander sprachen - es ist mittlerweile schon zehn Jahre her - waren Sie mit Marilyn Manson in Berlin, um sein Album "The Golden Age of Grotesque" zu promoten. Für Manson war aber stets die Faszination des Gräuels ein Thema - mit seinem Namen spielt er ja direkt auf die Begeisterung der Amerikaner für Massenmörder an. Bedient man als Künstler auch diese Faszination, wenn man sich visuell damit auseinandersetzt?

Eben nicht. Massenmedien haben immer die entgegengesetzte Wirkung von Kunst. Massenmedien berichten immer über das Grauenhafteste. Was bewirkt das? Man verliert den Glauben an die Zukunft, wird deprimiert. Wenn Kunst derartige Themen aufgreift,bewirkt sie das genaue Gegenteil. Goyas "Gräuel des Krieges" ist das deutlichste Beispiel. Er berichtet da wie ein Reporter, und trotzdem wird das Grauen durch die Ästhetik transformiert. Auch bei Hieronymus Bosch, wo es nur um Folter und Wahnsinn geht, ist es so. Man schaut das an und spürt so etwas wie eine heilende Wirkung. Ich glaube, Ästhetik ist wirklich das einzige Mittel, das letzten Endes diese Veränderung hervorbringen kann.

Sie kritisieren die Massenmedien - doch sie haben diese auch benutzt. Ihre Bilder sind nicht zuletzt deswegen so gut in den Köpfen der Menschen verankert, weil sie - etwa auf Covers von Magazinen - massenhaft reproduziert wurden.
Das war damals ein Experiment. Ich habe gemalt, war auf der Akademie, habe auch Ausstellungen gemacht, was ich eigentlich nicht wollte, weil mir der Betrieb so zuwider war. Ich habe mich dann mit dem Kunstbetrieb angelegt und mir so viele Feinde gemacht wie nur möglich. Da dachte ich, wie kann man diese Szene am meisten provozieren? Und die Antwort war: Ich kann etwas für die Kronen Zeitung machen, oder das profil, da wusste ich, das ist, was Kunst betrifft, die Todsünde.

Jetzt sind Sie hier in der Albertina - eigentlich im Zentrum des Kunstbetriebs. Hat Ihre Skepsis gegenüber der Szene abgenommen?
Ich habe immer wieder Neues ausprobiert, nach meinem Umzug nach Deutschland habe ich mit ganz großen Formaten gearbeitet und mich auch thematisch verändert. In den letzten Jahren hatte ich fast jedes Jahr eine One-Man-Show in einem internationalen Museum. Im Gegensatz zu vielen Künstlern, die sagen, das Publikum sei völlig irrelevant für sie, ist für mich das Publikum ein wichtiger Teil. Deshalb ist das Museum als Ort der Begegnung sehr wichtig. Auch, weil das Original nicht durch Reproduktion zu ersetzen ist. In den 1970er Jahren habe ich das Gegenteil behauptet, aber das muss ich revidieren. Denn wenn Leute Bilder im Internet sehen - elektronisch, verfremdet, verkleinert - dann verliert das etwas Wesentliches.

Auch die große Zeit der Magazincover scheint vorbei. Gibt es abseits des Originals effiziente Plattformen, um Bilder auch im Sinn eines gesellschaftlichen Kommentars zu verbreiten?
Viele Künstler arbeiten heute mit monumentalen Formaten - wir leben in einer Zeit der Billboards, alles ist monumental geworden. Mit Miniaturen würde man heute nicht durchkommen. Ich habe immer unterschiedliche Ansätze probiert, an die Menschen heranzukommen, und habe seit den 80er Jahren auch Installationen im öffentlichen Raum gemacht. Diese Wege des Zugangs - Öffentlicher Raum, Museum, Galerie und auch noch das Internet - geben den Künstlern die Möglichkeit, Leute auf sehr vielen verschiedenen Wegen zu erreichen. Früher sind die Künstler nicht deswegen in die Kirchen gegangen, weil sie so gläubig waren, sondern weil sich dort die Menschen versammelt haben, und die Mäzene, die das bezahlt haben. Später haben sie fürs Wohnzimmer gemalt, weil es reiche Bürger gab, die sich mit Kunst umgeben wollten. Heute muss man mit der Kunst eigentlich ins Internet gehen.

Haben Sie speziell fürs Internet bereits Bilder geschaffen?
Ich habe nichts Spezielles dafür geschaffen, aber ich habe gemerkt, dass Leute meine Bilder im Netz weiterverbreiten. Da dachte ich mir, ich hätte da lieber Einfluss auf diesen Prozess. Und ich habe die wahrscheinlich größte Künstler-Website der Welt, mit tausenden Bildern und Texten.

Der Künstler: Gottfried Helnwein, 1948 in Wien geboren, wurde in den 1970ern zu einem der bekanntesten und umstrittensten Künstler aus Österreich. Er lebt heute in Irland und Los Angeles.

Die Ausstellung: Gottfried HelnweinRetrospektive“ ist bis 13. Oktober in der Wiener Albertina zu sehen. Zur Schau ist ein Katalog erschienen (25 €).

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