Hamburger Schule: Nicht einverstanden mit der Welt
Mit "Der Text ist meine Party" hat Jonas Engelmann ein Buch über die Hamburger Schule vorgelegt. Es ist die Chronik eines der wichtigsten Pop-Phänomene Deutschlands der vergangenen 50 Jahre. Aber wie bei allen Phänomenen ist es schwierig, einen Anfang oder ein Ende festzumachen: Wer war als Erster da, war Pionier? Und wer drehte nach der Party als Letzter das Licht ab? Man weiß es nicht mehr so genau. Aber immerhin kann man versuchen, sich zu erinnern. Und genau das machen nun einige Protagonistinnen und Protagonisten, die den Begriff Hamburger Schule maßgeblich geprägt haben.
Lebenseinstellung
Verkürzt gesagt könnte man den Stil dieser losen Musikbewegung, die ihren kommerziellen Höhepunkt Mitte der 1990er-Jahre hatte, etwa so beschreiben: Schrammelnde Gitarren, tiefgründige Texte und eine klare politische Haltung – nämlich links. Die Texte hatten meistens einen intellektuellen Anstrich und waren gesellschaftskritisch: Die Texte hatten meistens einen intellektuellen Anstrich und waren gesellschaftskritisch. Aber auch Pop mit elektronischen Beats (Stella) oder Elektropunk von Egoexpress zählten dazu. Den einen Sound aus Hamburg gab es also nicht. Vielmehr war es eine Lebenseinstellung, die sich zumindest einige Bands teilten.
So etwas wie ein gemeinsamer Nenner war auch die Sprache: Gesungen wurde (zum größten Teil) auf Deutsch. Dabei war die deutsche Sprache damals kontaminiert - von der Nazi-Vergangenheit, vom Schlager eines Westerhagen, von der Neuen Deutschen Welle und dem Deutschpunk mit seinen erstarrten Formen. "Zu einer Zeit entstand etwas Neues, Eigenes”, sagt der studierte Literaturwissenschaftler und freie Journalist Jonas Engelmann dem KURIER.
Der Musikproduzent Tobias Levin spricht im Buch von einer "Depression", die es nach dem Ende der Neuen Deutschen Welle gab. Diese verbrannte Erde sei aber gleichzeitig auch ein Nährboden für eine neue Auseinandersetzung mit deutschsprachigen Texten gewesen. Und dieser Nährboden war in Hamburg eben ein besonders fruchtbarer.
Dagegen sein
Dieses offen dargestellte "Nicht-Einverstanden-Sein mit der Welt" übte ebenso wie die neuen Veranstaltungsorte, alten Plattenläden und Kneipen und nicht zu vergessen die Straßenkämpfe rund um die Hafenstraße bis weit über die Stadtgrenzen eine Strahlkraft aus. Hamburg wurde als Stadt mit einer reichen Musikgeschichte wahrgenommen, wie die Musikerin Bernadette La Hengst sich im Buch erinnert: "Die Musiker von Fast Weltweit sind aus den Gründen nach Hamburg gekommen, die auch meine waren und warum sich hier überhaupt Anfang der 90er eine deutschsprachige Popmusik-Szene bilden konnte." Es sei ein diskursives Flirren in der Luft gewesen, was viele Musiker angezogen hat, die dann die sogenannte Hamburger Schule gegründet haben. Einer davon war der Sänger von Die Sterne, Frank Spilker, der 1990 nach Hamburg kam. Für ihn war die Stadt ein Möglichkeitsraum, in dem man sich ausprobieren konnte: "Was ich dann in Hamburg vorgefunden habe, das war so eine Wahnsinnserleichterung, so ein ,Wow'. Es gab ganz viele Leute wie mich. Es gab eine ganze Generation von Leuten, die alle irgendwas gemacht haben."
Abgrenzung
Engelmann blickt in seinem Buch mit einer gewissen Distanz auf die musikalische Bewegung, weil er zu dieser Zeit nicht in Hamburg lebte und auch erst später die Musik für sich entdeckte. Er sei also nicht dabei gewesen, "in den Clubs, auf den Demos, den Konzerten, ich war nie im W3, weder habe ich im Sorgenbrecher gesoffen noch im Heinz Karmers Tanzcafè auf dem Tresen getanzt, ich kenne alles nur aus zweiter und dritter Hand, aus Texten, von Tonträgern und Gesprächen”, schreibt Engelmann im Vorwort zu "Der Text ist meine Party".
Es ist ein Blick hinter die Kulissen der Szene, für den Engelmann mit unzähligen Schlüsselpersonen Interviews führte. Er berichtet aber auch von geplanten Gesprächen, die dann nicht zustande gekommen sind, weil sich einige Musiker nicht dazu äußern wollten, sich nie als Teil der Hamburger Schule gesehen haben.
Einige wollten immer schon als etwas Eigenständiges wahrgenommen werden, haben sich von der Hamburger Schule distanziert, wobei für viele der Marketingbegriff ganz gut funktioniert hat.
Frauen in der Unterzahl
Ein wichtiger Teil der Hamburger Schule waren Die Braut haut ins Auge, die einzige reine weiblich besetzte Band in der von Männern dominierten Hamburger Szene. Die meisten Frauen agierten zwar im Hintergrund, waren aber sehr einflussreich. Eine davon ist Myriam Brüger, die Tocotronic entdeckte und groß machte. Sie hat der Band zu ihrem ersten Plattenvertrag beim leider nicht mehr existierenden Hamburger Kult-Label L'Age D'Or verholfen: Das Debütalbum "Digital ist besser" erschien dort im 1995. "Ich bin neu in der Hamburger Schule" sangen Tocotronic in diesem Jahr. "Die Lehrer sind alle ganz nett hier und die meisten meiner Mitschüler auch."
Eine andere einflussreiche Frau war Bianca Gabriel, die als Grafikern bei L'Age D'Or die Plattencover gemacht hat - darunter auch "Wichtig" das Debüt von Die Sterne. Ihre Kollegin Charlotte Goltermann gründete 1993 den L'Age D'Or-Ableger Ladomat 2000, der die elektronische Musikszene von Hamburg (und darüber hinaus) wesentlich geprägt hat. Und dann gab es noch eine Fülle an Frauen, die als Musikjournalistinnen aktiv waren, die dabei geholfen haben, den Bands zu Bekanntheit zu verhelfen.
Einfacher ist es hingegen mit den Anfängen. Dieses lassen sich einfacher festmachen. Engelmann spricht von einer Entwicklung, die nach dem Ende der Neuen Deutschen Welle und des Punk ihren Anfang nahm – das war so Ende der Achtzigerjahre. Wenn man den Anfang dieser Musikbewegung mit dem Erscheinen eines Albums festlegen müsste, dann war es wahrscheinlich "Heile Heile Boches" von Kolossale Jugend, das 1989 auf L'Age D'Or erschienen ist. Nicht mehr am Leben ist übrigens auch der Mastermind und Sänger der Band: Kristof Schreuf ist 2022 gestorben. Er lieferte jahrelang die Essenz dessen, worum es bei der Hamburger Schule geht. "Um eine neue Form der Texte auf Deutsch, musikalisch nach vorne preschend, fordernd und sehr politisch. Kolossale Jugend war für viele Bands der Auslöser, um Musik zu machen, wie sie mir im Gespräch bestätigt haben", sagt Engelmann, der das Buch dann auch mit einer Textzeilen von Kolossale Jugend betitelt hat: "Der Text ist meine Party".
Zum Buch gibt es auch eine Compilation, deren Zusammenstellung einen guten Überblick in die musikalische Vielfalt der Hamburger Schule gibt. Neben bekannten Künstlern wie Bernd Begemann, Die Goldenen Zitronen, Blumfeld, Tocotronic, Die Sterne sind darauf auch Bands vertreten, die damals eher in der zweiten oder dritten Reihe standen – darunter We Smile, JaKönigJa, Die Regierung oder Fünf Freunde.
Anfang und Ende
In Hamburg hat sich seit der Jahrtausendwende viel verändert. Angefangen hat dieser Umbruch bereits in den späten Neunzigerjahren, wo plötzlich die Mieten in die Höhe geschossen sind. Die Stadt wurde nach und nach gentrifiziert, es wurde alles zugebaut und viele Leerflächen zerstört. "Die Stadt hat damit einen ganz anderen Charakter bekommen. Das Schanzenviertel von damals gibt es heute nicht mehr. Viele Künstler konnten sich Mieten nicht mehr leisten und wurden so an die Ränder der Stadt gedrängt. Das, was in den Achtzigern oder frühen Neunzigern noch möglich war, nämlich dass man sich einfach mal irgendwie ausprobiert und eine Kneipe aufmacht, war nicht mehr möglich. Viele gingen deshalb auch nach Berlin, wo noch ein anderer Verve herrschte. Dort gab es noch Freiräume, um Dinge auszuprobieren", sagt Engelmann.
Wann genau die Hamburger Schule zu Grabe getragen wurde, sei schwierig zu beantworten, "weil das ein schleichender Prozess war, der sich über Jahre zog. Ich habe das Buch um die Jahrtausendwende enden lassen, weil ich das Gefühl hatte, das zu diesem Zeitpunkt nicht mehr viel Neues passiert ist und einige Bands, darunter Blumfeld und Tocotronic, musikalisch ganz woanders hin abgebogen sind", sagt Engelmann.
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