Das klingt aber auf einen ersten Blick etwas übertrieben?
Ich bin grundsätzlich ein sehr geerdeter Sänger, der auf seinen Instinkt vertraut und den Kopf eher als Filter benutzt. Das heißt, ich versuche immer sofort zu überprüfen, ob mein Instinkt mir etwas sagt, oder ob etwas auf irgendwelche nervösen oder gar neurotischen Reaktionen zurückzuführen ist. Ich habe dann wirklich gemerkt, dass mir das Eis unter diesen Umständen in Bayreuth zu dünn dafür ist. Zumindest so, wie ich dieses Debüt abliefern will. Mein Agent konnte es zunächst gar nicht glauben. Er hat mich gehört und befand meinen Wotan als einen der besten, die er von einem Debütanten überhaupt jemals erlebt hat. Er erzählte mir von den ersten Jahren von John Tomlinson und von Hans Sotin. Ich weiß aber, dass diese Zeiten von "Trial and Error" vorbei sind. Man hat nicht mehr die Zeit, sich eine Rolle von Vorstellung zu Vorstellung immer mehr anzueignen. Heute muss alles sofort ganz sauber funktionieren. Im Singen ist es momentan wie im Leben, alles soll steril und sicher sein. Entscheidend war für mich auch diese extrem außergewöhnliche Probensituation.
Weil Sie in allen Produktionen, den "fliegenden Holländer" ausgenommen, in Bayreuth in diesem Sommer präsent sind?
Den Landgraf im Tannhäuser habe ich hier schon 2011 debütiert, die kleine Rolles des Nachtwächters in den "Meistersingern" hätte ich 2007 schon singen sollen. Aber neben den Proben zur konzertanten "Walküre" mit Hermann Nitsch wurde auch der gesamte "Ring" für nächstes Jahr seit 1. Juni geprobt. Und das war extrem. Die Generalprobe der konzertanten "Walküre" war außerdem der erste reguläre Durchlauf mit Orchester auf der Bühne. Am Tag danach war auch der erste szenische Durchlauf für die "Walküre" angesagt, das heißt, alles wird noch einmal gesungen und gespielt. Wotan ist vokal auch nicht ungefährlich, wenn man unter solchem Druck steht, und ich habe auch eine Verpflichtung gegenüber meiner Stimme.
Wie ist das zu verstehen?
Lassen Sie mich das Ihnen so erklären: Der "Walküren"-Wotan ist für einen Bass so etwas wie die Besteigung des Mount Everest ohne Sauerstoffgerät. Man kann sich perfekt vorbereiten, den Großglockner mehrmals hochlaufen, ein Höhentraining absolvieren, aber das Gefühl, sich länger in der sauerstoffarmen Todeszone zu bewegen, muss man eben unter Originalbedingungen erleben. Außerdem fehlte mir, nach der Maßnahmen-bedingten monatelangen Spielpause, der für mich so wichtige Auftritt vor Menschen. Meine letzte reguläre Vorstellung vor diesem Sommer in einem großen Haus war im September der "Simon Boccanegra" an der Wiener Staatsoper. Diese Selbstverständlichkeit, vor ein großes Publikum zu treten, ist derzeit bei mir, wie bei vielen, nicht hundertprozentig gegeben. Ich bin ein Vielsänger, einer, der regelmäßig seine Auftritte braucht. Dann funktioniere ich wie ein Umlauferhitzer. Man gibt viel und bekommt auch viel zurück. Daraus entwickelt man dann einen Wettkampfmodus, der einen in eine Art Allzeitbereitschaft versetzt. Aber wenn der übliche Rhythmus fehlt, ist das nicht mehr gegeben. Katharina Wagner meinte zwar, dass man mir das nicht anmerken würde, aber ich habe es gespürt.
Das kann sich doch bis zum nächsten Jahr ändern. Warum sind Sie vom gesamten "Ring" zurückgetreten?
Um den "Ring" im nächsten Jahr bestreiten zu können, muss man an den Vorproben in diesem Jahr teilnehmen. Diese konzertante "Walküre" war für mich vokal so etwas wie eine Nagelprobe. Mir war aber ohnehin klar, dass ich diese nicht allzu oft singen würde, denn ich bin ein Basso cantante. Wotan ist eine dramatische Zwischenfachpartie. Ich liege grundsätzlich vokal drauf, gehe aber mit sehr vielen Emotionen dran, und deshalb muss dann auch im Umfeld alles stimmen.
Ihr ungestrichener Ochs im "Rosenkavalier" bei den Salzburger Festspielen 2014 war auch kein Spaziergang.
Das war wie eine leere Autobahn und als Sänger wusste ich, dass mich sowohl der Dirigent (Franz Welser-Möst, Anm.), wie auch die Wiener Philharmoniker auf Händen tragen werden. Diese totale Unterstützung wie in Salzburg damals war ein Glücksfall. Bayreuth ist natürlich aufgrund der dortigen Probendisposition und auch aktuell wegen der sehr besonderen Situation etwas komplexer.
Man hat Ihnen vorgeworfen, dass Sie den Text nicht können. Wie kann dass sein? Die großen Monologe haben Sie doch schon öfter in Konzerten gesungen. In Wien hätten Sie sogar in der "Walküre" debütieren sollen.
Den "Walküren"-Wotan hatte ich auch recht anständig drauf und ein Blick in die Noten bedeutet nicht zwingend, dass man seine Partie nicht kann. Ich habe ein eher fotografisches Gedächtnis und zur Bestätigung hilft mir ein Blick nach einer gesungenen Phrase sehr, um den Prozess des Abspeicherns zu beschleunigen. Beim Wanderer in "Siegfried" bat ich darum, die Noten mitnehmen zu dürfen. Und die "Ring"-Proben verliefen auch nicht chronologisch. Die Situation ist hier aktuell maßnahmenbedingt grundsätzlich etwas schwierig. Das ist alles sehr bedrückend und ein unglücklicher Vogel kann eben nicht so hoch fliegen wie sonst. Der Wotan ist mir im Moment in dieser Situation einfach zu riskant. Es ist, als ob tatsächlich ein Fluch über diesem "Ring" hängt. Wenn man bedenkt, wer ihn schon hätte dirigieren sollen, Andris Nelsons, Daniele Gatti, jetzt Pietari Inkinen, auch die Regisseure haben gewechselt. Am 25. August singe ich im Konzert mit Andris Nelsons dann "Wotans Abschied" und das ist eine sehr schöne Art, dieser Partie zumindest vorübergehend "Auf Wiedersehen" zu sagen.
Heißt das, dass Sie den Wotan nicht ganz ad acta legen?
Ich habe mit Katharina Wagner schon darüber gesprochen. Vor 2023 wird es für mich zumindest sicher mal keinen Wotan in Bayreuth geben.
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