Günter Brus: Der Provokateur als Poet

Günter Brus, "Wiener Spaziergang", 1965 Foto: Ludwig Hoffenreich, © Günter Brus
Der Künstler wird im Vorfeld seines 80. Geburtstags mit einer herausragenden Schau gewürdigt.

Günter Brus wird oft als doppelgesichtiger Künstler wahrgenommen. Den einen gilt er als der radikale Aktionist, der 1968 bei dem Ereignis "Kunst und Revolution" (vulgo "Uni-Ferkelei") seinen Urin trank und im Hörsaal aufs Pult schiss. Andere wiederum kennen ihn als Schöpfer feingliedriger "Bilddichtungen", ausgeführt mit geschwungener Handschrift und wundersamen Figuren.

Die Schau "Unruhe nach dem Sturm" – die umfassendste Würdigung, die Brus heuer im Vorfeld seines 80.Geburtstags im September zuteil wird – schickt sich nun an zu zeigen, dass es zwischen dem einen und den anderen Werk keinen Bruch, sondern eine Vielzahl von Kontinuitäten gibt.

Mehr als 700 Arbeiten sind im oberen Geschoß des 21er Hauses, das seit kurzem "Belvedere 21" genannt werden will, versammelt – ein dichter Parcours, der sich aber dank eines sensiblen Arrangements primär durch ästhetische Verbindungen und ohne viel didaktisches Textwerk erschließt.

Im Grunde stets Maler

Am augenfälligsten ist wohl die Erkenntnis, dass sich Brus auch in seinen radikalsten Aktionen wie auch im späteren Werk noch der Malerei verpflichtet fühlte.

Günter Brus: Der Provokateur als Poet
Günter Brus, "Portfolio Ana IV", 1964/2004
Foto: Khasaq (Siegfried Klein), © Belvedere

Der größte Saal der Ausstellung, in dem gestisch-abstrakte Bilder der frühen 1960er Jahre der umfassenden Foto-Dokumentation der Aktion "Ana" (1964) gegenübergestellt sind, spannt hier den Rahmen auf: Nach der ungestümen Malerei auf Leinwand wurde der zu Beginn der Aktion in weißes Tuch gewickelte Künstler zum Maler, zum Pinsel und zum Bildgrund zugleich, breitete sich auf den weißgetünchten Raum aus und verschlang mit der Bemalung des Interieurs und seiner Frau Anna gleich auch das Stillleben, die Aktmalerei und andere Genres in einem Akt der Selbst-Kannibalisierung.

Vieles, was der Künstler sonst noch tat – von der als Film gezeigten "Selbstbemalung" (1965) über den berühmten " Wiener Spaziergang" (1967) bis zur "Zerreißprobe", mit der Brus 1970 sein aktionistisches Werk beendete – wurzelt hier.

Die Hinwendung zur Zeichnung und zur Schrift vollzog sich, so Kurator Harald Kreijci, in Berlin: Infolge der Aktion "Kunst und Revolution" zu einer Haftstrafe verurteilt, flüchtete Brus in die deutsche Hauptstadt und traf dort mit Protagonisten der Wiener Gruppe wie Gerhard Rühm und Oswald Wiener zusammen.

Gesammelte Werke

Wie die Schau demonstriert, funktionierte die Bildfindung ab 1970 aber nicht so grundlegend anders als bei Brus’ Aktionen: Wie in einer Collage sammeln sich auf den Blättern Ausdrücke in Schrift- und Bildform und entwickeln eine Dynamik zueinander. Die Idee der Bildfläche als Sammelbett, die der US-Kritiker Leo Steinberg 1968 mit dem der Drucktechnik entlehnten Begriff "flatbed picture plane" fasste, fällt einem dazu ein.

Günter Brus: Der Provokateur als Poet
Günter Brus und Arnulf Rainer "Pflanzenbilder - Innerhalb der Märchenscheide", 1984 Foto: N./Lackner, © Joanneum Archiv Brus

Dass auf Brus’ Sammelflächen auch mehrere Künstler Platz hatten, zeigt ein Saal mit kollaborativ erstellten Bildern. Unterschiedliche Werkgruppen werden dort rotierend gezeigt, die Zusammenarbeit mit Arnulf Rainer macht den Anfang. Brus überschrieb Rainers Malerei 1984 etwa mit Aphorismen: "Am Leben bleibt, wer nicht daran klebt, sondern hauchdünn davon entschwebt", heißt es an einer Stelle.

Die Lebendigkeit dieser Kunst, die in der geballten Präsentation stellenweise tatsächlich überwältigt, hat auch mit Dünnhäutigkeit und Sensibilität zu tun: Das Bild des Künstlers als Seismografen ist bei Brus kein hohles Klischee, innerer Antrieb und äußere Getriebenheit werden in den Bildern sichtbar. Es geht um Beziehungen, Familie, um Sex oder die Unerträglichkeit gesellschaftlicher Zustände. Die Provokation um ihrer selbst willen bleibt jedoch außen vor.

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