Glyndebourne: Stefan Herheims Opern-Besuch in Downton Abbey

Stefan Herheim erzählt „Pelléas et Mélisande“ in altem Gewand und mit moderner Bühnentechnik. Die Optik erinnert an die Fernsehserie „Downton Abbey“
Der künftige Chef des Theaters an der Wien inszenierte in Glyndebourne „Pelléas et Mélisande“.

Pelléas et Mélisande“  ist Stefan Herheims Regiedebüt am Glyndebourne Opernhaus. Obwohl der künftige Chef des Theaters an der Wien (ab 2022) kurzzeitig überlegte, das Stück Lichtjahre entfernt in einer futuristischen Raumstation spielen zu lassen, entschied er sich schließlich dazu, es näher zu bringen. Und zwar in den historischen Orgelraum, direkt neben dem Opernhaus.

Die Idee, eine Opernarbeit in den Kontext ihrer Entstehung zu setzen, hat für Herheim bis jetzt immer funktioniert: Sein  „Parsifal“ bei den Bayreuther Festspielen 2008 etwa war  eine bürgerliche Familiensaga, die den Launen von Krieg und menschlicher Leidenschaft unterworfen war.

Bei „ Pelléas“ wendet er den gleichen Ansatz an, stellte das Stück zwischen die Weltkriege, als John Cristie Glyndebourne erbte, die Orgel im eichengetäfelten, gotischen Raum bauen ließ und mit der Planung des Festivals begann. Der deutsche Künstler Philipp Fürhofer, für viele Bühnenbilder Herheims verantwortlich, hat eine Kopie des historischen Orgelraumes konstruiert. Und diese illustriert  die verschiedenen Szenen mithilfe von perspektivischen Verschiebungen, kollabierenden Wänden und einer Falltür.

Aber die historischen Parallelen bleiben anekdotisch und in der tatsächlichen Inszenierung ist es schwierig, eine klare Entwicklung in Herheims Ideen zu erkennen.

Die Technik erzählt

Stattdessen scheint er fast ausschließlich von den zahlreichen Verwandlungen der genialen Bühne abhängig zu sein, um die Geschichte zu erzählen und verschiedene Stimmungen zu erzeugen.

Die Verwendung historischer Settings mit einem Golaud, der wie Hugh Bonneville in „ Downton Abbey“ aussieht, sollte ein sicherer Sieg in England sein. Dort ist man unersättlich in Bezug auf TV-Serien, die in Schlössern und schönen Herrenhäusern gedreht werden.

Aber England ist auch ein Land der großen Regisseure. Vom Festival  Aix-en-Provence kommend, wo McBurney gerade seine „Zauberflöte“ von 2013 wiederbelebt hat, ist der Vergleich zwischen einem Regisseur, der etwas aus dem Nichts schaffen kann, und einem, der komplexe Design-Installationen benötigt, unvermeidlich.

McBurney  ist ein Regisseur, der Stunden mit seinen Sängern verbringen kann, um nur eine Geste richtig hinzubekommen. Die Resultate sind unbestreitbar.
Der Erfindungsreichtum der Inszenierung erreicht das Publikum mit den einfachsten Mitteln: Wir sehen, wie die Klangeffekte erzeugt werden und die Bildschirmprojektionen entstehen.  Die Schauspieler lassen Papierbögen flattern und so Papagenos Vögel entstehen.
Faszinierend.

Die Anhäufung von Schockmomenten, die Herheim wiederum anbietet – den grundlosen Inzest zwischen Golaud und Yniold, Sodomie, Golauds Selbstverstümmelung – war Ersatz für einen wirklichen dramatischen Bogen, der fehlte.

Schlechter Scherz?

Am Ende des vierten Aktes tritt ein als Christus verkleideter Schauspieler mit einem großen weißen Lamm um den Hals aus der Orgel empor –  und das Publikum bricht in Gelächter aus. Ist es ein Versuch eines Witzes oder einfach eine schlechte Idee?

Die Besatzung war dennoch bemerkenswert und die einzelnen Darbietungen beeindruckend: Die zarte Interpretation der hinreißenden österreichischen Sopranistin Christiane Gansch war rein und präzise. Der amerikanische Bariton John Chest ist ein hervorragend ungestümer Pelléas, der in der Lage ist, seine inneren Konflikte überzeugend zu vermitteln.

Christopher Purves ist unheimlich als grausamer und von Eifersucht getriebener Golaud und stimmlich brillant; Brindley Sherratt ist ein gelehriger Arkel; Chloe Briot ist stimmlich und stilistisch ideal als Yniold. Und es ist selten, dass Genevieve so schön gesungen wird wie von der schottischen Mezzosopranistin Karen Cargrill.

Der Glyndebourne Festival Chor und das Londoner Philharmonie Orchestra unter der Leitung von Glyndebourne-Musikchef Robin Ticciati sind die wahren Geschichtenerzähler des Abends. Ticciatis Interpretation der Partitur geht mehr auf Mussorgsky zurück als auf Bartok und ist mit der von Boulez entgegengesetzt, aber er zeichnet seine Spieler mit spannenden Momenten und wie andere  Künstler hat er seine eigene Sicht auf die Figur des Pelléas definiert, die dadurch durch und durch aufregend wird.

Denise Wendel-Poray

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