Es ist die Geschichte einer Anmaßung: Einige Engel wollten so sein wie Gott, also wurden sie aus dem Himmel gestürzt (Jesaja 14, 12-14), purzelten also hinab, mit dem Kopf voraus, drunter und drüber. Am Ende der Welt sollte noch mal ein Kampf entbrennen (Offenbarung 12, 10), bei dem der Erzengel Michael die Abtrünnigen erneut purzeln ließ.
Beide Male entstanden großartige Bildvorlagen für die Kunstgeschichte, in der Ausstellung „Nackte Meister“ im Kunsthistorischen Museum hängen Beispiele von Cavaliere d’Arpino (1610) und Frans Floris (1565, großes Bild). Ausgesucht hat sie der jüngst 85 gewordene Malerfürst Georg Baselitz, ein ausgewiesener Kenner der Kunstgeschichte. Ihm ist die bisher großflächigste Ausstellung gewidmet, die je einem Künstler der Gegenwart im KHM ausgerichtet wurde, wie Direktorin Sabine Haag betont.
Nötig ist das, weil Baselitz riesige Formate malt – eines seiner vielen Mittel, um Geltung zu beanspruchen. Eine andere war die 1969 getroffene Entscheidung, Motive umgekehrt zu malen und damit eine kunsthistorische Neuheit zu schaffen.
Reingegrätscht
Die Meisterschaft im Reingrätschen korreliert zweifellos mit Baselitz’ Popularität bei Machtmenschen aller Art und der starken Präsenz seiner Bilder in Vorstandsetagen und anderen Orten, an denen Ehrfurcht erwünscht ist. Im KHM hat diese Entwicklung – sie wurde „ideell und finanziell“ vom Galeristen Thaddaeus Ropac unterstützt – nun einen vorläufigen Höhepunkt erreicht.
Baselitz’ Präsenz im KHM hat zweifellos eine Logik – nicht nur wegen des Orts der herrschaftlichen Repräsentation, auch wegen der Museumssammlung. Aus dieser wollte der Maler speziell die „Nackerten“ auswählen, wie Kurator Andreas Zimmermann erklärt. In der Tat ist die Verwandtschaft der stürzenden, sich windenden Leiber, die großteils ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstanden, und den kopfstehenden, herumwirbelnden Figuren in Baselitz’ Bildern offensichtlich.
Der Künstler ersann immer neue Wege, ähnliche Bildwirkungen mit entfesselter Malerei zu erreichen: Die Bilder sind mit Fingern gemalt, gewischt, abgeklatscht. Man braucht aber nicht alle KHM-Säle, um das zu kapieren. Und obwohl die Altmeisterbilder entlang spezieller Analogien – etwa in Farbgebung oder Gestus – dazugehängt wurden, erzählen die Wände mehr von Anmaßung als von einem Dialog.
Männerblick ahoi!
Das Inhaltliche – und das ist das zweite Problem – bleibt in diesem „Fest der Malerei“ (Zitat Haag) außen vor. Dass Baselitz es auf die „Nackerten“ abgesehen hatte, gründet darin, dass die Malerei für ihn nah am erotischen Erleben gebaut ist, die Körperlichkeit von Farbe und Leinwand oft nicht klar getrennt von jener der Figuren im Bild. Die KHM-Sammlung wiederum umfasst dank des erotomanen Kaisers Rudolf II. (1576 – 1612) besonders viele Gemälde, in denen erotischer Inhalt und üppige Malerei Hand in Hand gehen.
Dass viele dieser Bilder – „Die Entführung des Ganymed“, „Jupiter und Io“, „Lot und seine Töchter“ – heute als Darstellungen sexueller Übergriffe gelten müssen, könnte man 2023 als Anlass für eine kritische Altmeister-Befragung nutzen.
Stattdessen zementiert die Geistesverwandtschaft des Kaisers und des Malerfürsten, der seine Bilder neuerdings mit Nylonstrümpfen (!) garniert, jenen Männerblick, der Frauen als verfügbar ansieht. Aber es ist doch nur Malerei! Und die unzeitgemäßeste Zeitgenossen-Schau, die das KHM je zeigte.
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