"Putin würde der Film gefallen"

Die „Rote Armee“ auf dem Eis – angeführt von Kapitän und Verteidiger Slawa Fetissow (re. o.)
Filmemacher Gabe Polsky widmet sich in "Red Army" dem legendären sowjetischen Eishockey-Team.

Zu Zeiten des Kalten Krieges war Eishockey in der Sowjetunion mehr als ein Sport. Die Spieler waren eine Art Spezialeinheit auf Kufen: "Red Army". So hieß das legendäre sowjetische Eishockey-Team, das in den 70er- und 80er-Jahren nahezu unschlagbar war.

Ihre Siege dienten aber auch als Treibstoff für die Propaganda-Maschine – vor allem dann, wenn die USA vom Eis "geschossen" wurden. Und das passierte oft. Doch die Spieler, die für die Erfolge verantwortlich waren, mussten sich dem autoritären Trainingsregime fügen, ihren Pass abgeben und waren einkaserniert.

Der US-amerikanische Filmemacher Gabe Polsky lässt in seiner ab Donnerstag im Kino zu sehenden Dokumentation ehemalige Spieler und Trainer zu Wort kommen. Und einen Ex-KGB-Agenten, der die Sportler bei Auslandsreisen überwachte.

Im Zentrum steht aber Slawa Fetissow, Kapitän der "Red Army", der gegen das kommunistische System aufzubegehren versuchte und 1989 in die NHL wechselte – in die Eishockeyliga des Erzfeindes.

KURIER: War es schwierig, Fetissow für Ihren Film zu begeistern?
Gabe Polsky: Fetissow war am Anfang sehr skeptisch, weil ein junger Amerikaner mit ihm über Eishockey reden wollte. Er dachte sich wohl: "Was weiß der schon über das sowjetische Team, mein Land und das damalige System?"

"Putin würde der Film gefallen"

Wie konnten Sie ihn doch noch überzeugen?
Ich habe ihn mehrmals um ein Treffen gebeten, aber jedes Mal hat er abgelehnt. Bei einem der Telefonate habe ich erwähnt, dass ich nicht nur über Eishockey, sondern auch über die russische Seele sprechen möchte. Das dürfte das Eis gebrochen haben. Er sagte: "Okay, ich treffe Sie für 15 Minuten." Daraus wurden dann fünf Stunden. Zuerst ging er beim Interview nicht auf meine Fragen ein, war gereizt und spielte ein Machtspielchen. Als er aber sah, dass ich mit Leidenschaft dabei bin und ich etwas von Eishockey verstehe, öffnete er sich.

"Putin würde der Film gefallen"

Warum wissen Sie so viel über Eishockey und das sowjetische Team?
Ich spiele seit meiner Kindheit Eishockey und habe alle Infos über diesen Sport aufgesaugt. Mir fiel dann eine VHS-Kassette in die Hände, auf der es um das sowjetische Team ging. Zu sehen war eine Aufnahme vom Canada Cup aus dem Jahr 1987. Das Eishockey, das damals gespielt wurde, ist besser als alles, was danach kam. Ich war gebannt von dem, was ich auf dem Eis sah.

Was sahen Sie?
Eine kreative Revolution. Wie sich die Spieler auf dem Eis bewegten, war unglaublich – sie spielten ein anderes Spiel. Ich fing an, mich intensiv mit diesem sowjetischen Team auseinanderzusetzen. Ich wollte alles über die Spieler und die Gründe ihres Erfolges wissen. Dabei merkte ich, dass es nicht nur um Eishockey, sondern um die Sowjetunion und die Aufrechterhaltung des kommunistischen Systems ging.

"Putin würde der Film gefallen"
epa04008240 Russian President Vladimir Putin (L) and Russian hockey player Viacheslav Fetisov (R) welcome each other before an ice hockey match at the ice hockey palace in Sochi, Russia, 04 January 2014. EPA/ALEXEY NIKOLSKY / RIA NOVOSTI / GOVERNMENT PRESS SERVICE POOL MANDATORY CREDIT

Der Film stützt sich auf sehr beeindruckendes Archivmaterial. Wie sind Sie denn zu diesen Raritäten gekommen?
Ich hatte in Russland einen Mitarbeiter mit guten Verbindungen zum Filmarchiv, der mir den Zugang ermöglicht hat. Ich musste mich dann durch Tonnen von Aufnahmen wühlen und hätte mir wochenlang dieses alte Filmmaterial ansehen können.

"Red Army" war der Eröffnungsfilm der Moskauer Filmfestspiele. Wie hat das Publikum darauf reagiert?
Die Doku wurde vom Publikum und der Kritik sehr gut aufgenommen. Leider ist es bis dato noch nicht geklärt, ob "Red Army" auch regulär in den russischen Kinos anlaufen wird. Die Rechte dafür hat sich zumindest noch keiner gesichert. Das liegt wohl an den bürokratischen Hürden und an den politischen Entscheidungsträgern – wobei ich glaube, dass Wladimir Putin der Film gefallen würde.

Patriotismus ist, das zeigen viele aktuelle Diskussionen von den Hymnen-Töchtern bis zu den selbst ernannten Rettern des Abendlandes, besonders schwierig zu dosieren. Das galt nicht nur zu Zeiten des Kalten Krieges (siehe oben). Sondern das erleben hoch aktuell Hollywood und die russische Filmbranche, und zwar in aller Schärfe. Zwei Filme haben heftig geführte Patriotismusdebatten ausgelöst – interessanterweise von gegenteiligem Startpunkt aus.

Russland diskutiert darüber, ob der russische Oscar-Beitrag "Leviathan" zu wenig patriotisch ist.

Und in den USA wird gestritten, ob Clint Eastwoods "American Sniper" nicht doch zu patriotisch ist.

Es geht, in den USA, um Helden-Bilder vom Krieg und, in Russland, um wenig heldenhafte Bilder vom korrupten Alltag. Regisseur Andrej Swjaginzew ziehe mit "Leviathan" sein Land in den Dreck, werfen ihm seine Kritiker vor. Swjaginzew erzählt die tragische Geschichte einer Familie, die in einem Konflikt mit einem korrupten Bürgermeister alles verliert.

Hilflosigkeit

Schonungsloser hat selten jemand den von vielen Russen so empfundenen Alltag himmelschreiender Ungerechtigkeit und die Hilflosigkeit der Bürger dargestellt.

Dem russischen Kulturminister Wladimir Medinski geht das entschieden zu weit. Auch der prominente St. Petersburger Kommunalpolitiker Witali Milonow wirft Swjaginzew vor, ein "russenfeindliches Machwerk" produziert zu haben. Die russisch-orthodoxe Kirche, die im Film auch nicht gut wegkommt, fordert, dass der Regisseur die Filmförderung zurückzahlen soll.

Angestachelt wurde der Streit dadurch, dass "Leviathan" bei den Golden Globes als bester ausländischer Film ausgezeichnet wurde. In dieser Kategorie ist der Film auch für einen Oscar nominiert.

Auch "American Sniper" (ab 27. Februar in den österreichischen Kinos) ist höchst erfolgreich: Sechsfach Oscar-nominiert, spielte der Film bisher 200 Millionen Dollar ein. Und ist damit der lukrativste jemals im Winter gestartete Film und ein Triumph für Regisseur Clint Eastwood. Aber das heldenhaft gezeichnete Bild des US-Scharfschützen Chris Kyle stößt vielen sauer auf.

"Scharfschützen sind keine Helden", kritisierte der Filmemacher Michael Moore. Seth Rogen, der mit der Nordkoreasatire "The Interview" selbst für viel politische Aufregung sorgte, fühlte sich gar an einen Nazi-Film erinnert. Und musste prompt nach wütender Diskussion auf Twitter zurückrudern.

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