Die Welt bleibt ein Rätsel
Friederike Mayröcker hat immer zu tun. Dieser Tage sind die Termine rund um ihren 90. Geburtstag besonders dicht gedrängt, für ein Interview hat die große österreichische Lyrikerin gerade noch Zeit gefunden. Aber eigentlich will sie nur schreiben, schreiben. Jeden Tag, schon um sechs, sieben, schreibt sie, viele Stunden, zunächst mit der Hand, später tippt sie ihre Texte auf ihrer Hermes Baby. 1945 hat sie die mit ihrem ersten Gehalt gekauft. Und weil die berühmte Schweizer Schreibmaschine kein scharfes ß kennt, hat Mayröcker ihr charakteristisches "sz" entwickelt, das zu ihr gehört wie die Farbe schwarz.
Schwarz ist ihre unverkennbare Mähne, schwarz ihre Kleidung, schwarz sind ihre Augen umrandet. Mayröcker schreibt, seit sie 15 ist, unterbrochen nur durch die ihr lästige Tätigkeit als Englischlehrerin (wie ihr jahrzehntelanger Begleiter Ernst Jandl). Sie ist heute bei ihrer dritten Hermes Baby angelangt, in ihrer von Bücherbergen und Papierstapeln geprägten Wohnung in der Zentagasse in Margareten, wo sie seit 1950 lebt, hat sie noch drei Stück auf Vorrat.
Das Gespräch mit dem KURIER fand im Café Sperl statt, wo die Lyrikerin liebenswürdig und ernsthaft sehr persönliche Fragen beantwortete.
KURIER: Frau Mayröcker, Ihre Kollegin Elfriede Gerstl hat Sie als "sanfte Wilde" bezeichnet. Wie passt Ihnen das?
Friederike Mayröcker: Gut, sehr treffend.
Waren Sie immer schon so?
Vielleicht war ich früher sanfter.
Das Alter macht Sie wilder?
In meiner Arbeit auf jeden Fall.
Wie sehen Sie die Welt heute?
Mir geht es um mein Schreiben. Ich lebe sehr zurückgezogen. Natürlich nimmt man alles auf, was in der Welt passiert, aber beim Arbeiten bin ich ganz zurückgezogen. Andererseits kann alles, was um mich herum passiert, zum Text werden.
Das Leben eines Menschen sei kurz im Vergleich zu dem eines Baumes, schreiben Sie in einem Ihrer Gedichte. Man sagt, wenn man jung ist, kommt es einem länger vor, danach wird die Zeit immer kürzer. Erleben Sie das auch so?
Ja, ich habe mit jungen Freunden darüber gesprochen. Die haben genau das gleiche Gefühl. Man hat keine Zeit und es wird mit zunehmendem Alter immer enger. Es ist alles so knapp.
Sie waren 24 Jahre Englischlehrerin. Wie darf man sich Sie als Pädagogin vorstellen?
Ich war eine schlechte Pädagogin. Ich musste ja immer am Vormittag unterrichten. Das ist aber die Zeit, wo ich schreibe. Es war 24 Jahre sehr eng für mich. Danach begann mein Schreibleben.
Eine andere Option als Schreiben hat es für Sie nie gegeben?
Nein. Die ersten Schritte habe ich früh gemacht, mit fünfzehn. Das war natürlich noch nix. 1946 ist mein erstes Gedicht erschienen.
Blicken Sie heute mit kritischem Blick auf Ihr Schreiben zurück?
Ja, sehr. Ich kann aus diesen Büchern auch nicht mehr öffentlich lesen.
Sie haben in den 50er-Jahren deutlich experimentelle Phasen gehabt.
Ja, das war die Zeit der Wiener Gruppe, Andreas Okopenko, Ernst Jandl. Ich bin dann einen Abweg gegangen. Das Experimentelle war mir nicht mehr interessant. Ich habe eine Wendung gemacht, nicht ins Erzählen, sondern in eine andere Art von Experiment.
Verglichen mit der Malerei, könnte man sagen: Sie haben vom Abstrakten zum Gegenständlichen gewechselt.
Ja. Gut, dass Sie das mit der Malerei sagen. Wenn ich nicht hätte schreiben können, hätte ich gerne gemalt.
Was bedeutet Sprache für Sie?
Alles. Ich könnte nie ein deutschsprachiges Land verlassen. Niemals.
Das würde für Sie bedeuten, Identität aufzugeben?
Ja.
Wenn man so lange auf der Welt ist wie Sie: Begreift man sie oder ist sie nach wie vor ein Rätsel?
Rätsel ist ein guter Begriff in diesem Zusammenhang. Man versteht schon mehr als früher, aber die Welt und das Geschehen bleiben ein Rätsel. Und man fragt sich, wie wird es weitergehen. Überhaupt, das Weltgeschehen.
Bereitet es Ihnen Sorge?
Ja. Und nicht mir allein.
Hat es eine Zeit gegeben, wo Sie die Welt unbesorgter gesehen haben?
Nein, das kann ich nicht sagen. Ich habe mir immer schon Gedanken gemacht.
Waren Sie je ein fröhlicher Mensch?
Ich bin ein melancholischer Mensch und kann auch nur in der Melancholie arbeiten. Alles andere wäre unmöglich.
Sie schreiben viel von Angst.
Angst begleitet mich seit meiner Kindheit. Obwohl ich eine wunderbare Kindheit hatte. Aber die Jugend war voller Angst. Krieg und Nachkrieg, man hatte nichts zu Essen, nichts zu Heizen. Ich kann mich an mein erstes Unterrichtsjahr erinnern. Wir saßen mit den Mänteln in der Klasse. Die Kinder damals waren anders. Sie waren sehr liebebedürftig.
Wie waren Sie als Kind?
Immer melancholisch. Das habe ich von meiner Mutter.
Sie schreiben viel von Angst, aber auch von Tod: Sie hassen den Tod.
Ja, wie Canetti.
Weil er, wie Canetti schreibt, sinnlos ist?
Ja, völlig sinnlos. Und man kann nichts machen dagegen. Man kann nur hoffen, dass man noch einige Jahre auf der Welt herumspaziert.
Das Schreiben hilft, hat Ihnen auch über Ernst Jandls Tod hinweggeholfen.
Ja. Ich habe dann sofort das Requiem geschrieben. Und eine Freundin, eine Psychotherapeutin hat mir sehr geholfen.
Was bringt Sie zum Lachen?
Ich bin auch ein großes Kind. Mein Lieblings-"Pet" ist Snoopy. Die Abenteuer von Snoopy machen mich ganz glücklich. Wie er dasitzt und auf seiner Schreibmaschine schreibt. Ich habe alle Alben gekauft. Ich hätte ja gern einen Hund, aber dann würde ich den ganzen Tag spazieren gehen und nicht mehr arbeiten.
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