Franz Patay: „Wir haben genügend Arbeit, man sieht sie nur nicht“
Zu den Vereinigten Bühnen Wien (VBW) gehören drei Häuser: Im Ronacher und im Raimund Theater werden Musicals gespielt, im Theater an der Wien Opern inszeniert. Der Eigendeckungsgrad des Konzerns sank 2020 aufgrund der Lockdowns eklatant. Geschäftsführer Franz Patay hat sich um eine Vertragsverlängerung beworben.
KURIER: Sie haben dem Aufsichtsrat die Bilanz vorgelegt. Wie ist sie ausgefallen?
Franz Patay: Wegen Covid sind 2020 insgesamt 347 Vorstellungen ausgefallen, 261 im Musical-Bereich und 86 Opernvorstellungen im Theater an der Wien. Der Einnahmenausfall machte knapp 20 Millionen Euro aus. Die Kurzarbeitsförderung in der Höhe von 6,43 Millionen Euro und auch die 800.000 Euro Refundierung für den Umsatzentgang haben daher die Ausfälle nicht kompensiert.
Entscheidend ist nicht der Einnahmenausfall, sondern der Jahresfehlbetrag. Sie haben zusätzlich zu den 40,2 Millionen Euro von der Stadt Wien 7,2 Millionen vom Staat erhalten, also 47,4 Millionen. Und es fielen etliche Kosten nicht an – für Energie und Reinigung zum Beispiel.
Wir haben Einsparungen vorgenommen, zudem Projektkosten für das Musical „Miss Saigon“ und die Oper „Der feurige Engel“, die wir im letzten Jahr nicht zeigen konnten, buchhalterisch ins Jahr 2021 verschoben. Daher sind wir grad so über die Runden gekommen, ohne Rücklagen auflösen zu müssen.
Diese machen etwa neun Millionen aus. Daher hätten die VBW eigentlich gar keine Covid-Gelder gebraucht.
Doch. Es braucht die Rücklagen, um in harten Zeiten über die Runden zu kommen. Wir haben derzeit keine Einnahmen. Ich muss aber die Gehälter und die Mieten zahlen. Und wir bekommen auch für dieses Jahr nur 40,2 Millionen Euro.
Nur 40,2 Millionen?
Ja, nur! Denn die Gehälter steigen, steigen, steigen aufgrund des Kollektivvertrags, und als einnahmenorientierter Betrieb trifft uns das 2021 besonders stark.
Gleichzeitig ist die Zahl der Mitarbeiter stark gesunken.
Ja, in den letzten Jahren um 20 Prozent. Aber nun ist der Endpunkt erreicht. Denn sonst können wir die Vorstellungen nicht mehr bestreiten. Unser Business ist eben sehr personalintensiv, eine Produktivitätssteigerung wie in der Landwirtschaft oder der Industrie nicht möglich. Im Theater aber kann ich das Orchester nicht durch eine Aufnahme ersetzen. Das Publikum will das Live-Erlebnis.
Das Raimund Theater ist aufgrund der Sanierung seit Juni 2019 geschlossen. Das hatte Einsparungen bei den Personalkosten zur Folge.
2018 hatten die VBW Personalkosten von 43,8 Millionen Euro, 2020 betrugen sie 35,9 Millionen. Ja, diese Einsparungen helfen uns, einen Teil der Einnahmenlücke zu schließen. Was man nicht vergessen darf: Wir haben im Bereich Oper – mit einer Ausnahme – alle Projekte für die Kameras realisiert sowie im Musicalbereich TV-Gala-Konzerte und ein Talkformat entwickelt. Die „Fidelio“-Übertragung hatte 376.000 Zuseher auf ORF2, eine weitere Ausstrahlung auf Arte 258.000 Zuseher. Wir ermöglichten damit, dass die freischaffenden Künstler ihre Gage bekamen. Die Einnahmen hingegen sind vollends entfallen.
Die Sender zahlen nichts für die Übertragungsrechte?
Der Kultursender ORFIII zahlt 3.000 bis 4.000 Euro an Lizenzgebühren pro Stunde für die reine Ausstrahlung einer Produktion. Das ist so gut wie nichts. Aber Sender-Chef Peter Schöber trägt als Koproduzent einen wesentlichen Teil der Gesamtkosten.
Noch immer sind viele der 800 Mitarbeiter in Kurzarbeit. Die VBW müssten daher auch heuer gut über die Runden kommen.
Nein, heuer wird ein sehr herausforderndes Jahr mit hohen Einnahmenausfällen. Das Kartenbüro ist nicht in Kurzarbeit. Wir mussten andauernd Tickets umbuchen und sogar mehrfach umbuchen, weil wir immer wieder gedacht haben, dass wir wieder öffnen könnten. Die Mitarbeiter müssen weiterhin Tag und Nacht Tickets umbuchen. Auch in der Finanzabteilung gibt es mehr Arbeit als vor der Pandemie. Denn die Mitarbeiter müssen andauernd Anträge schreiben. Die Lohnverrechnung ist eine unglaubliche Arbeit! Aber ja, ansonsten sind viele Mitarbeiter weiterhin in Kurzarbeit.
Daher gibt es weiterhin Covid-Hilfen. Die Stadt tat also gut daran, die Subvention für 2021 nicht, wie von Ihnen beantragt, um 4,4 auf 44,6 Millionen anzuheben.
Aber was Sie bedenken müssen: Die Regierung hat immer wieder kurzfristige Ankündigungen über mögliche Öffnungsschritte gemacht. Daher waren wir permanent im Stand-by-Betrieb, um innerhalb von zwei Wochen wieder spielen zu können. Unsere Darsteller und Musiker müssen permanent trainieren und üben, es müssen andauernd Probenpläne erstellt werden. Der Betrieb läuft also ganz normal weiter – nur ohne Vorstellungen. Und wenn wir wieder spielen dürfen, gibt es keine Covid-Förderungen mehr. Aber es wird wohl Sitzplatzbeschränkungen geben. Was zur Folge hat, dass wir weniger Einnahmen erwirtschaften. Also: Die Rücklagen werden schmelzen wie Eis in der Sonne.
In der Vereinbarung mit der Stadt haben die VBW zugesichert, jedes Jahr eine Eigenproduktion herauszubringen. Mit welcher Musical-Uraufführung starten Sie also in die Post-Corona-Zeit?
Wir wollen bis zum Sommer 2022 „Cats“ spielen. Das macht wirtschaftlich Sinn, denn wir haben viele Karten verkauft. Und wir sind dabei, einige Projekte zu entwickeln.
Das haben Sie auch schon im Interview vor zwei Jahren gesagt. Das Projekt „Der dritte Mann“ ist seit einem Jahrzehnt in der „Pipeline“ ...
Natürlich sind wir interessiert, neue Projekte zu entwickeln, die auch international vermarktbar sind. Aber wir gehen ein hohes Risiko ein, wenn wir ein neues Musical produzieren. Und wenn man nicht zu 100 Prozent an ein Projekt glaubt, ist es besser, nicht Husch-Pfusch zu machen, sondern ein anderes Stück zu spielen.
Was hat das Musical-Leitungsteam in den letzten zwei Jahren gemacht?
Es entwickelte im Lockdown Projekte für den ORF und andere und arbeitete parallel an Stücken: Wir reden mit Autoren und Regisseuren, Treatments werden erstellt bzw. überarbeitet und so weiter. Es gibt genügend Arbeit, man sieht sie nur nicht. Und ich lasse mir nicht in die Töpfe schauen, bevor das Gericht auf dem Tisch steht.
Ein guter Koch macht vorab den Mund wässrig.
Aber ein guter Koch stellt kein unfertiges Gericht auf den Tisch. Und wir haben uns verpflichtet, ein Jahr lang „Miss Saigon“ zu spielen – wann auch immer. Das kann ich aufgrund der angefallenen Kosten nicht absagen.
Alle produzieren derzeit auf Halde. Droht ein Overkill?
Ich hoffe, dass das Publikum derart ausgehungert ist, um das Angebot auch wahrzunehmen. Wir haben zum Glück ein großes Reservoir an Musical-Fans. Aber es stimmt, wir alle fischen im gleichen Teich. Und die Zahl der Fische vermehrt sich nicht.
Theaterkonzern: Die Vereinigten Bühnen Wien (VBW) sind ein Tochterunternehmen der Wien Holding. Die Subvention beträgt 40,2 Mio. Euro. Die Hälfte wird für die Opern im Theater an der Wien verwendet, die andere Hälfte für die Musicals im Ronacher und Raimund Theater
Eigendeckungsgrad: Der Stadtrechnungshof ermittelte 2019, dass der durchschnittliche Eigendeckungsgrad bei den Opernproduktionen bei 21,9 Prozent liegt, im Musicalbereich bei 55,7 Prozent
Raimund Theater: Das Gebäude ist seit Juni 2019 wegen Generalsanierung geschlossen. Bei den Kosten (12,7 Mio. Euro) blieb man im Rahmen. Die Wiedereröffnung ist für September geplant
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