Warum kamen zwei Maori 1859 von Neuseeland aus Wien, wurden dort gemeinsam mit den angesehensten Bürgern der Stadt abgelichtet und sogar von Kaiser Franz Joseph I. empfangen?
Warum organisierte ein aus Togo stammender Konzertpianist 1936 eine „Deutsche Afrika-Schau“ und versuchte, Bezüge zwischen den Tänzen seines Herkunftslandes und dem bayrischen Schuhplatteln herzustellen? Woher kam jener Ganzkörpertätowierte, der im späten 19. Jahrhundert als Attraktion in Zirkussen und Schaubuden herumreichen ließ und später als betagter Mann in Baden bei Wien auf Kur ging?
Beziehungsgeschichten
Eine Gesellschaft, die es mit dem Zusammenleben der Kulturen und dem historischen Verständnis dessen, was man heute als „globalen Süden“ und „globalen Norden“ bezeichnet, ernst meint, braucht ein breites Spektrum von Geschichten, das von Kolonialismus und „kultureller Aneignung“ erzählt, aber auch von Widersprüchen und Ambivalenzen. Einen Beitrag dazu liefert derzeit das Wiener Photoinstitut Bonartes mit der kleinen, aber dichten Ausstellung „Auftreten im Bild – Positionen im kolonialen Kräftefeld“, die bis 8. 11. nach Anmeldung bei freiem Eintritt zu besuchen ist (www.bonartes.org).
Geretteter Foto-Schatz
Es ist bereits die zweite Ausstellung, die das Institut basierend auf den Beständen der Sammlung von Emma und Felix von Luschan auf die Beine gestellt hat. Die Bilderbestände dieser österreichischen Forscher, laut Institutsleiterin Monika Faber die größte private Sammlung ihrer Art, wurde lange Zeit am Department für Evolutionäre Anthropologie in Wien aufbewahrt und im Zuge einer Kooperation mit dem privaten Institut nach und nach aufgearbeitet.
Aus den Bilddokumenten aus aller Welt, die oft genug dazu dienten, Angehörige fremder Völker zu exotisieren, sie als bloße „Typen“ zu dokumentieren und im Sinne kolonialer Unterwerfung zu entindividualisieren, suchte die Kuratorin Katarina Matiasek nun Gegenerzählungen heraus: Denn es gab auch Akteurinnen und Akteure, die das damals Medium der Fotografie für sich selbst einzusetzen wussten und aktiv – und durchaus auch erfolgreich - an der Bildung ihres eigenen „Images“ arbeiteten.
Die beiden eingangs erwähnten Maori Wiremu Toetoe Tumohe und Hemara Rerehau Te Whanonga etwa kamen an Bord der Fregatte „Novara“, die mit einer Weltumsegelung 1859 die Spitze von Österreichs globalen Forschungs-Ambitionen darstellte, nach Wien. An der k.u.k. Hof-und Staatsdruckerei konnten sie das Druckerhandwerk lernen, der Erzählung nach war auch ihr Gastgeber in Ottakring, ein gewisser Herr Zimmerl, am kulturellen Austausch und am Erlernen der Maori-Sprache interessiert.
Als sie nach Neuseeland zurückkehrten, wünschten sie sich eine Druckerpresse als Abschiedsgeschenk: Sie nutzten diese, um eine antikolonialistische Zeitung in Maori-Sprache herauszugeben, die allerdings von den britischen Machthabern bald wieder eingestellt wurde.
Insgesamt sieben solcher Geschichten erzählt die Schau, in deren Ausgangsmaterial sich viel von dem findet, das die Ethnologen um 1900 so beschäftigte (Emma von Luschan war die Tochter des Novara-Expeditionsleiters Ferdinand von Hochstetter).
Viel beachtet wurde etwa ein Mann namens „Captain Costentenus“, der von sich behauptete, er sei im Gebiet des heutigen Myanmar zwangsweise vollständig tätowiert worden. Vermutlich war das ein Schwindel – doch die Erzählung von Tätowierungen im Gefängnis war faszinierend und half gleichzeitig mit, die Praxis des Körperbildes in ein zweifelhaftes Licht zu rücken, wie Kuratorin Matiasek erzählt.
Neben der Einsicht, dass die Grenzen zwischen dem Fremden und Vertrauten nie festgefahren waren, sondern zu jeder Zeit erneut ausgehandelt werden mussten, regt die Bonartes-Schau auch dazu an, den Sinn für Machtverhältnisse in einem für nicht-europäische Akteure und Akteurinnen nicht sehr aufgeschlossenen „Kräftefeld“ zu schärfen.
Wie selbstbestimmt waren die Protagonisten wirklich? Inwieweit dienten sie sich existierenden Exotik-Vorstellungen an? Vor welchem Hintergrund agierten Forscher jener Zeit? Es ist eine lohnende Differenzierungsübung in einem Diskussionsfeld, das heute zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten meist keine Schattierungen mehr zulässt.
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