Doch diese Oper, einst ein veritabler Blasphemie-Skandal, dauert keine halbe Stunde: Florentina Holzinger nahm sie als Ausgangspunkt für ein Hochamt über (weibliche) Selbstermächtigung. In „Sancta“, bis 15. Juni als Koproduktion mit den Wiener Festwochen in der Halle E des Museumsquartiers zu bejubeln, rechnet sie gewitzt wie angriffslustig mit den patriarchalen Strukturen der katholischen Kirche ab. Und sie folgt bei der etwas mehr als zweieinhalbstündigen Messe dem Ordinarium mit Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus und Agnus Dei.
Ans Kreuz schlagen
Dass es ziemlich deftig werden würde, ahnte man bereits beim Einlass: Gut zwei dutzend Nonnen mischten sich unters Publikum und boten im Foyer recht sonderbare Produkte zum Kauf an, darunter Reliquien (Rippe, Bauch, Bein) und Nägel, die lang genug sind, um jedermann ans Kreuz schlagen zu können. Zunächst geht es – für Holzingers Verhältnisse – äußerst gesittet und konventionell zu: Andrea Baker (als Klementia) und Cornelia Zink (als Susanna) singen in Nonnentracht an der Rampe zum Publikum zu zarten Melodiebögen. Doch von der Tribüne aus schmusen sich Liebende heran. Nackt natürlich – und natürlich nackt.
Wie von Geisterhand fällt ein Stein aus der Mauer, und damit bricht der Damm der Keuschheit: Unter der Leitung von Marit Strindlund steigert sich die Staatskapelle Schwerin zu einem enormen Crescendo. Quasi nahtlos übernehmen E-Gitarre und Synthesizer. Längst ist die Bühne von leckend Liebe machenden Frauen geentert: Sie hängen am riesigen Kreuz, das sich aus leuchtenden Metallbalken zusammengefügt hat, sie hängen auch an der Kletterwand ganz hinten.
Florentina Holzinger bietet mit ihrem langjährigen Team aus Schaustellerinnen, Tänzerinnen und Akrobatinnen – darunter Saioa Alvarez Ruiz, die für ihre Performance in „Ophelia’s Got Talent“ mit einem Nestroy ausgezeichnet wurde – samt dem Frauenchor des Staatstheaters Schwerin in Variationen all das, was man von ihr kennt: Magie, Klamotte, Artistik, schlicht große Oper.
Abenteuerspielplatz
Ausstatter Nikola Knežević hat für die Genregrenzen sprengende Show einen großartigen Abenteuerspielplatz gebaut. Da knallt die Chefin selbst als Glockenklöppel ununterbrochen gegen Eisen (die Szene erinnert ein bisschen an eine Performance von Flatz) – und die Schwingbewegung übersetzen die Rollerskaterinnen auf der Halfpipe. Später dient ein monströses Weihrauchfass – sehr ästhetisch – für geradezu extatische Höhenflüge. Hosanna!
In Zeiten von AI hilft ein surrender Roboterarm als göttliche Instanz aus. Und in einer äußerst markanten Aktion wird Michelangelos Fresko von der Erschaffung Adams in der Sixtinischen Kapelle mehr oder weniger ungeniert abgeschlagen.
Video und Projektionen setzt Holzinger auch im Zusammenhang mit dem Letzten Abendmahl ein: Hautnah verfolgt man das – zugespielte – Herausschneiden eines Stücks Haut, das, am Grill geröstet, als Leib Christi gereicht wird. In die klaffende Wunde der Darstellerin darf später der ungläubige Thomas seinen Finger legen (Augen zu – und durch).
Wunder über Wunder
Weit amüsanter wird das Blut an die Apostelinnen ausgeschenkt: Der Heilige Geist zaubert behände aus leeren Hülsen zwölf Flaschen Wein. Aber er hat, ebenfalls von einer Frau verkörpert, noch mehr Tricks in petto. Florentina Holzinger erliegt also, auch wenn sie beinhart Kritik an der Frauen- wie Lustfeindlichkeit der Kirche übt, dem Zauber des (göttlichen) Wunders. Und sie lässt auch wieder viel Schabernack machen. Untermalt ist die Revue mit Musik von Johanna Doderer, Cole Porter, Bach und vielen anderen – von Gospel über Techno bis zum Musical (da fühlt sich das Orchester besonders wohl). Kurz kommt auch ein heiteres „Sister Act“-Feeling auf.
Zwischendurch, wenn es darum geht, Sünden einzugestehen, wird das Publikum eingebunden (die einzige Schwachstelle, weil zu ausufernd). Und ganz zum Schluss gibt ein binärer bzw. diverser Frank N. Furter (aus der „Rocky Horror Picture Show“) die Frohbotschaft aus: „Don’t dream it! Be it!“ So sei es.
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