Filmkritik zu "Mid90s": Gleiten zwischen Kolonnen

Lucas Hedges (li.) und Sunny Suljic als zerstrittene Brüder in "Mid90s"
Der Schauspieler Jonah Hill erinnert sich an die Skater-Kultur seiner Jugend in Los Angeles.

Skateboarden war nicht immer coole Subkultur. Oder gar, wie für 2020 angekündigt, eine olympische Disziplin. Tatsächlich gab es eine Zeit, in der Skateboarden als Freizeitbeschäftigung von Freaks und Geeks galt. Und das war in den „Mid90s“ – behauptet Jonah Hill.

Er könnte es wissen.

Der „Superbad“-Schauspieler, zweimal Oscar nominiert (darunter für „The Wolf of Wall Street“), ist Mitte der 90er-Jahre in Los Angeles aufgewachsen, hörte Hip-Hop und liebte Skateboarden. Darüber drehte er einen autobiografisch inspirierten, unaufgeregten Coming-of-Age-Film, der allerorts mit großem Hype belohnt wurde.

Doch Hills Regiedebüt verzichtet gänzlich auf Nineties-Nostalgie und legt einen beinahe dokumentarischen Blick auf die Vergangenheit. Klar dröhnt auf dem Soundtrack Musik von A Tribe Called Quest, LL Cool J und den Pixies. Oder gar ein wunderschöner Song von Morrissey – „Dedicated to the One I love“ – während zwei Skateboarder elegant zwischen Autokolonnen dahingleiten. Doch es ist ein Gefühl von erinnerter Freiheit, die Hill in diesen Bildern spürbar macht, und nicht die klebrige Melancholie nach einer vergangenen Jugend.

Denn Jugend ist eine Währung, die Stevie nicht zu schätzen weiß. Stevie ist 13 und sieht aus wie zehn. Sein älterer Bruder – ein grimmiger Lucas Hedges, der wirkt wie ein zukünftiger Highschool-Shooter – verprügelt in gnadenlos. Seine Mutter – die spritzige Kathrine Waterston aus „Phantastische Tierwesen“ – nagt selbst noch an ihrer verpatzten Jugend als Single Mom.

Fuckshit

Aus der Ferne verehrt Stevie eine Gruppe von älteren Teenage-Jungs, die rund um einen Skateboard-Laden abhängen, Geschäftsinhaber provozieren und mit ihren Brettern über Gehsteigkanten springen. Schüchtern freundet er sich mit dem Jüngsten der Clique an und gerät so in das nähere Umfeld der Skater. Diese tragen tolle Namen wie „Fuckshit“ und „Fourth Grade“ – der eine, weil er bei jeder Gelegenheit „Fuck, shit, das ist krass!“ brüllt, der andere, weil er sich auf dem Niveau eines Viertklässlers befindet. Stevie bekommt den Spitznamen „Sunburn“ verpasst.

Der umwerfende Sunny Suljic (wer erinnert sich an ihn in Lanthimos’ „The Killing of a Sacred Deer“?) spielt den Kindbuben Stevie irgendwo zwischen engelhaft und gerissen. Nach jeder Zigarette schrubbt er sich die Zunge mit Spülmittel und vernebelt sich mit Klospray. Seine Bewunderung für die älteren Skater ist grenzenlos – und Jonah Hill porträtiert deren Geschick mit dem Skateboard als große Kunstfertigkeit. Wenn die Jungs unter sich sind, rutscht das Gesprächsniveau allerdings gern in den Keller. Das F-Wort fällt ununterbrochen, „Schwuchtel“ ist das allseits beliebte Schimpfwort.

So hätte man damals dahergeredet, erklärte Jonah Hill, und: Er wollte die Geschichte nicht schönschreiben. Doch gerade, weil er auf die Sentimentalisierung der Vergangenheit verzichtet, wird sie sowohl in ihrer Schönheit, als auch in ihrer Beschränktheit sichtbar.

Das erste sexuelle Abenteuer gerät zur durchzitterten Mutprobe für die Männerrunde, das euphorische Skaten auf verbotenem Gelände endet nicht selten mit Polizeirazzia. Immer jedoch steht ein Glücksversprechen im Raum, und es wird sich zeigen, wer es für sich einlösen kann und wer nicht.

INFO: USA 2018. 84 Min. Von Jonah Hill. Mit Sunny Suljic, Lucas Hedges, Katherine Waterston, Na-Kel Smith, Olan Prenatt, Gio Galicia.

Filmkritik zu "Mid90s": Gleiten zwischen Kolonnen

Skater in Los Angeles: "Mid90s"

Kommentare