Festwochen: Slagmuylder schaffte schließlich doch die Quadratur
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Christophe Slagmuylder kehrt im Juli zurück nach Brüssel, um das Palais des Beaux-Arts zu leiten
Im Endeffekt wird man Christophe Slagmuylder in guter Erinnerung behalten. Denn heuer sind ihm stimmige Festwochen geglückt. Der smarte Belgier schaffte die notwendige Quadratur aus bekannten Namen und jungen Talenten, großen Produktionen und kleinen Diskurs-Elementen. Es gab tatsächlich eine Vielfalt der Stile und Ästhetiken, der Herangehensweisen an ein Thema oder einen Stoff wie der Genres (verblüffenderweise inklusive Kabarett). Und vor allem: Was Slagmuylder aus der vornehmlich westlichen oder vom Abendland geprägten Welt in Wien präsentierte, hatte in der Regel hohe Qualität, mitunter sogar Exzellenz.
Das Publikum hätte wieder vertrauen und (wie zuletzt unter Markus Hinterhäuser) blind Karten ordern können – im Wissen, nicht enttäuscht zu werden. Dass die Skepsis noch groß war, zeigte sich daran, dass man auch für Produktionen mit prominenteren Namen kurzfristig Karten bekommen konnte bzw. dass Folgevorstellungen schlecht besucht waren. Bei „Onkel Wanja“ in der Regie von Tomi Janežič – ein echtes Highlight! – war das Theater Akzent selbst bei der Wien-Premiere nur zur Hälfte gefüllt.
Und ob Alban Bergs „Lulu“, von der Kritik nicht gerade hymnisch gefeiert, mit sechs Vorstellungen in der Halle E des Museumsquartiers tatsächlich die erhoffte Cashcow wurde? Die Festwochen, offiziell am Mittwoch zu Ende gegangen, werden erst am Freitag Auslastungszahlen darlegen und Bilanz ziehen. Diese wird positiv ausfallen (im Kulturbereich hat nie jemand eine negative gezogen) und auch glaubwürdig erscheinen. Ihr Tratschpartner – er sah 14 Theaterproduktionen – stellte jedenfalls ein sattes Gefühl der Befriedigung fest.
Verantwortlich für Glücksmomente waren ältere Produktionen wie „Pieces of a Woman“ von Kata Wéber und Kornél Mundruczko (aus 2018), „Sibyl“ von William Kentridge, „Contes et Légendes“ von Joël Pommerat und die doch nicht ganz unbeschwerte Installation „Sun & Sea“ (alle aus 2019).
Aber auch etliche der Uraufführungen bzw. kürzlich entstandenen Produktionen konnten überzeugen, darunter Marina Davydovas Aufarbeitung der komplexen Gemengelage im Gebiet der ehemaligen UdSSR („Museum der ungezählten Stimmen“), der schräge Rachefeldzug einer Tierschützerin, von Simon McBurney mit britischem Humor gewürzt („Drive Your Plow Over the Bones of the Dead“), Susanne Kennedys artifizielle Studie „Angela (a strange loop)“ über eine junge Frau in den Fängen von Social Media und Metaverse, Alexander Zeldins raffiniert gebautes Stück über das Leben seiner Mutter – einen liebevollen Tick anders erzählt („The Confessions“) und auch „Pinocchio“ für alle ab sieben.
Slagmuylder erkannte leider zu spät, wie man das Publikum begeistert. Sicher, er hatte mit den Widrigkeiten der Pandemie zu kämpfen. Doch er setzte auch auf falsche Pferde, überforderte mit verkopften Stückentwicklungen oder langweilte mit läppischen Performances. Es braucht also, gerade wenn jemand engagiert wird, der Wien nicht kennt, eine gewisse Vorlaufzeit.
Die gab es im Falle Slagmuylder nach dem abrupt beendeten Desaster mit Tomas Zierhofer-Kin im Juni 2018 nicht. Und die wird auch Nachfolger Milo Rau nicht haben. Eben weil Slagmuylder im Juli, ein Jahr vor Vertragende, zurück nach Brüssel geht, um das Palais des Beaux-Arts zu leiten. Möge Rau den wiedererlangten Kredit beim Publikum nicht leichtfertig verspielen!
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