"Onkel Wanja": Wenn nichts bleibt außer dem Traum vom perfekten Tag

Statt Bäume nur gepresste Späne: Deprimierende Stimmung auf dem russischen Landgut, für Trost sorgt die Musik aus dem Radio
Es gibt sie noch, die guten Inszenierungen. Man muss sie eben in Litauen einkaufen, und sie tragen im Programmbuch der Wiener Festwochen sonderbare Titel wie „Dėdė Vania“ samt dem Hinweis, dass die Aufführung im Theater Akzent vier Stunden und 40 Minuten dauern werde. Das ist das pure Gift.
Auch die Warnung, dass Tomi Janežič, der aus Slowenien stammende Regisseur, für „intellektuell herausfordernde Inszenierungen“ bekannt sei, dürfte marketingmäßig ein Schuss ins Knie gewesen sein. Man hätte den Abend ganz anders anpreisen können: Onkel Wanja! Nicht zertrümmert! Unglaublich humorvoll, total berührend umgesetzt! Ganz großes Kino! Aber leider: Weil man jenes Publikum vergrault hat, das die Festwochen für genau solche Produktionen liebt, fand das Gastspiel des Kleinen Theaters von Vilnius vor einem halb leeren Saal statt. Es endete zudem gut vor der Zeit – und mit Standing Ovations.
Die im Schatten ...
Das Landgut, das Onkel Wanja aufopferungsvoll bewirtschaftet, um das Leben seines vergeistigten Schwagers zu finanzieren, ist eine Bruchbude, von Branko Hojnik aus billigen Pressspanplatten gezimmert. Als Möblierung stehen ein paar ramponierte Sitzreihen herum.
Denn Tomi Janežič spielt nebenbei mit dem Theaterspielen: Seine Akteure fallen aus ihren Rollen, wenden sich an die Beleuchter und geben Anweisungen, wie mit den Verfolgerspots umzugehen sei. Der unerträglich eitle, feiste und fiese Professor (Arvydas Dapšys) will alles Licht auf sich. Auf dessen hässliche Tochter Sonja fällt hingegen nie ein Schein. Sie betet seit Jahren den Landarzt an, aber die im Schatten sieht man eben nicht: Astrow (Martynas Nedzinskas) nutzt jede Gelegenheit, mit seinem Motorroller vorbeizuschauen, um in der Nähe der schönen Jeléna zu sein. Die zweite, sehr junge Frau des Professors spielt raffiniert mit Emotionen – und ist ein ziemliches falsches Luder.
Ihr will der Arzt imponieren – und ihr demonstriert er anhand alarmierender Grafiken, wie die Wälder abgeholzt wurden. Zeichen der Denaturierung sind nicht nur die Pressspanplatten, sondern auch die Plastiktanne, die im zweiten Teil ein wichtiges Requisit ist. Weil sich auf dem Gut nicht viel ereignet, lauschen alle Factoti, mit hängenden Köpfen herumschlurfend, den Ausführungen. Mitunter erscheinen Figuren, wenn nur an sie gedacht wird. Und die erste, bereits verstorbene Frau des Professors taucht immer wieder auf: Sie ist auch wichtig in der exzellenten Familienaufstellung.
... sieht man doch auch
Für Trost sorgt Pop-Musik aus dem Transistorradio („Heroes“). Janežič setzt sie als Kontrapunkt ein – oder als Sehnsuchtsverstärker. Zur Abwechslung musiziert man live: Ilona Kvietkutė darf als hinreißende Sonja grenzgenial falsch „Perfect Day“ von Lou Reed singen. Auch wenn ihr übel mitgespielt wird: Sie gibt die Hoffnung nicht auf.
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