Sätze-Sammlung
Parolen wie „Ein verrücktes Herz liebt. Ein weises Herz vergisst“ werden da zu zentralen Ansagen. Ebenso wie: „Lass den Algorithmus verhungern.“ Oder „Eine Maschine würde nie Charleston tanzen. Eine Maschine würde nie zu viel trinken“. All dies und vieles mehr dekliniert Kentridge durch. Stets balancierend zwischen Humor und Tragik. Denn was bringt die Zukunft? Wir wissen es nicht.
Was man dafür sehr wohl erfährt: Wie Kentridge arbeitet. Der etwa 20-minütige Film (eine Leinwand ist omnipräsent) „The Moment has gone“ zeigt den Künstler in seinem Atelier. Dort vermisst er weiße Leinwände, danach beginnt er mit dicken, satten Strichen zu malen. Durch perfekte Montagen schaut dabei ein Kentridge dem schaffenden Kentridge kritisch über die Schulter. Begleitet wird dieses amüsante Künstlerporträt von Kyle Shepherd live am Klavier sowie einem vierköpfigen Männerchor.
Nach einer Pause (warum eigentlich?) heißt es dann jedoch „Waiting for the Sibyl“. Eine Art Kammeroper wieder mit Shepherd am Klavier und vielstimmigen Fragen an die Zukunft. Die Antworten kommen eher per Zufallsgenerator. Man sieht einen realen Blätterwirbel – die Performer reißen Zettel aus Büchern, werfen sie in die Luft oder drücken sie sich fragend ans Ohr – mit sehr viel philosophischem Unterbau.
Bantu-Gesänge
In vier Bantu-Sprachen wird dazu gesungen, dem Klavier kommt die Rolle des rhythmischen Tonangebers zu. Und Sibylle? Die ist auch da. In Gestalt einer Tänzerin, die naturgemäß stumm bleiben muss, dafür aber eine körperliche Tour de Force zu absolvieren hat. Das ist Körberakrobatik par excellence.
Akrobatik ist dann auch in den kurzen Szenen gefragt, in denen ein Performer sich mit selbst zusammenklappenden Stühlen mehrfach auseinandersetzen muss. Doch Kentridge thematisiert nebst aller Fröhlichkeit auch Krieg und Zerstörung, taucht tief in die Welt der Bücher seines Vaters ein und reibt sich virtuos an der Gegenwart.
Und auf der Leinwand im Hintergrund ist die abstrakte, animierte, sich ständig verändernde Bildsprache von William Kentridge zu sehen. Immerhin ist „Sibyl“ als Gesamtkunstwerk angelegt. Diese Übung gelingt meisterhaft.
Das Publikum bejubelte alle Beteiligten, vor allen Kentridge, der selbst bei der Applausordnung den Master of Ceremonies gab.
Peter Jarolin
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