Lulu, dieses laut Frank Wedekind - von ihm stammt mit "Erdgeist " und "Die Büchse der Pandora " auch die literarische Vorlage - dieses nicht fassbare Wesen, die Schlange, die vielleicht "Urfrau" hat es bei Monteiro Freitas schwer. Ja, Leichen pflastern ihren Weg. Männer wie Frauen verfallen ihr.
Doch das würde man auch gerne sehen. Nicht so in dieser Adaption. Denn die übrigens fabelhafte und vom Autor dieser Zeilen hoch geschätzte Choreografin Marlene Monteiro Freitas kommt mit dem "Korsett * der Musik nicht zurecht, baut zwei bis drei Ebenen auf.
Da gibt es einmal die musikalische Ebene, dann die tänzerische und auch noch die Spiel-mit-dem-Spiel-Ebene. Acht Performerinnen und Performer bringen mit wenigen Schritten und Gesten eine Art traurigen Zirkus ein.
Verklebte Münder, blaue Schuhe, weiße Oberteile (Freitas ist auch für die Kostüme und teils für die Bühne zuständig) leben ihr Eigenleben. Das Orchester thront über der Spielfläche, ist ebenso passend gekleidet. Man geht über Holzgerüste hinauf und hinunter. Wer stirbt, verabschiedet sich in diesem Turnsaal mit Streckbänken notfalls auch barfuß durch einen Seitengang auf der Unterbühne. Und wenn gestritten wird, ist auch der Dirigent indirekt mit einbezogen.
Das ist alles gut, durchdacht, aber vor allem sehr in Richtung Gesamtkunstwerk gedacht. Was Freitas trotz einiger lustigen Interventionen völlig liegen lässt, sind die Charaktere. Sie bleiben Stereotypen, im wahrsten Sinne des Wortes hölzerne Schablonen. Denn statt Interaktion ist Distanz angesagt. Eine echte Personenführung wird bewusst ausgelassen.
Das aber geht am Kern des Stücks vorbei. Und dass statt eines dritten Aktes (der große Friedrich Cerha hat ihn ja vollendet) nur Teile aus Bergs "Lulu-Suite " samt gefühlt unendlich langer Choreografie gespielt wird, ist auch nicht ganz ideal.
Die musikalische Seite? Diese ist weitgehend exzellent. So gibt Vera -Lotte Boecker eine vokal unfassbar intensive Lulu, der man mehr an Spiel gewünscht hätte, die im schwarz-weißen Hosenanzug aber auch choreografisch tapfer mitgeht. Auf ihr so schönes, kostbares Stimm-Material sollte die Sopranistin bei dieser Grenzpartie aber aufpassen. Dennoch ein Ereignis.
Gleiches gilt für Bo Skovhus als Dr. Schön. Besser kann man diese Partie kaum gestalten. Das ist Weltformat. Immer noch eine Bank sind Anne Sofie von Otter als Gräfin Geschwitz und der großartige Kurt Rydl als Schigolch. Zwei Bühnenpersönlichkeiten der Extraklasse.
Edgaras Montvidas als Alwa, sowie Cameron Becker als Maler führen ein tadelloses Ensemble an.
Und am Pult des ORF Radio-Symphonie Orchesters Wien zeigt Dirigent Maxime Pascal, warum er zu den gefragtesten Shootingstars zählt. Das tolle RSO wiederum demonstriert seine Unverzichtbarkeit in der internationalen Musiklandschaft.
Viel Applaus für die musikalische Seite, ein paar Buhs für das Leading-Team. Schade nur, dass dieses "Lulu "-Experiment nicht ganz aufgegangen ist. Dafür nämlich fehlt die Emotion.
Kommentare