Feministische Avantgarde: Politische Kunst im Tortenkostüm

"Nest" der Wiener Künstlerin Birgit Jürgenssen (1949-2003).
Die Künstlerinnen der 1970er hatten viel zu sagen. Sie sollten wieder gehört werden.

Hier wurde Mann (sic!) zum Grabschen aufgefordert: In ihrer Aktion "Tapp- und Tast-Kino" hatte Valie Export statt dem Busenhalter eine Schachtel umgeschnallt, und wer wollte, durfte hineingreifen. Die Aktion gehört zu den Ikonen der feministischen Avantgarde.

Feministische Avantgarde: Politische Kunst im Tortenkostüm
Pressebild
Doch die Ausstellung "Feministische Avantgarde der 1970er-Jahre", derzeit in der Hamburger Kunsthalle und nächstes Jahr inWien zu sehen, bietet nicht nur große Namen wie Valie Export, Cindy Sherman oder Birgit Jürgenssen, sondern zeigt auch, dass hinter diesen künstlerischen Arbeiten eine kollektive Strategie steckte, die auf kämpferische und radikale, aber auch poetische und ironische Art umgesetzt wurde.

Immer wieder ging es in diesen Anfängen der feministischen Kunstbewegung um Themen wie Rollenzuweisungen als Mutter, Haus- und Ehefrau, weibliche Sexualität, Schönheit und Gewalt gegen Frauen. Und immer wieder steht der eigene Körper im Fokus, so auch in fast jedem der hier ausgestellten Werke. Allerdings nicht, wie in der kunsthistorischen Tradition üblich, als Objekt, sondern als Subjekt: Muse und Model ist man höchstens für sich selbst.

Schlachtfeld Heim

Avantgardistisch ist das meiste, das die hier ausgestellten Künstlerinnen vor vierzig Jahren erarbeiteten, auch im heutigen Sinne, mehr noch: Man staunt, wie aktuell diese Fragen an die Gesellschaft und den Kunstbetrieb nach wie vor sind. Das Bild der "Hausfrau und Mutter" mag sich gewandelt haben, die Last des "Unter-die-Haube- Kommens" kann dennoch schwer sein: Dargestellt von Ulrike Rosenbach in Selbstporträts mit gigantischer, weißer Mütze – wunderbar ironisch, ähnlich wie Martha Roslers Film zum "Schlachtfeld Heim", wo sie mit Küchengeräten randaliert.

Erschreckend und akut heutig ist die Schau vor allem da, wo es um Körper, Sexualität und Gewalt geht.

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Hochaktuell im Zeitalter von Castingshows und Selfies ist etwa das Thema Eigen-und Fremdwahrnehmung. Die Neuseeländerin Alexis Hunter zeigt in ihrer Serie "Identity Crisis", wie sie sich selbst sieht – und wie sie von Nachbarn, Freunden und Fremden gesehen wird.

Die US-Amerikanerin Hanna Wilke (Markenzeichen waren aus Kaugummi geformte Vaginas, die sie auf ihrem Körper applizierte) entlehnte viele ihrer Posen sowohl der christlichen Bilderwelt als auch der Pornografie: In "Super-T" wird sie zum provokanten Pin-up-Jesus. Irritierend selbst für viele Feministinnen, die ihr den Einsatz ihres makellosen Körpers vorwarfen. Ihre Antwort: ein Poster mit der Warnung vor "faschistischem Feminismus".

Auch die nach wie vor aktive Orlan, eine der Begründerinnen der französischen Performancekunst, arbeitet, wie etwa Valie Export und zuvor Yoko Ono in ihren "Cut Performaces", mit den Themen entblößter und dargebotener Körper einerseits, religiösen Bildern und kunstgeschichtlichen Ikonen andererseits: In der Serie "Gelegentlicher Striptease mit Leintüchern" wird sie von der verschleierten Heiligen zur schaumgeborenen Venus Botticellis.

Weiblichkeit

Zuweisungen von Identität sind Thema der Kanadierin Suzy Lake, die in ihren Rollenspielen etwa Stylingtipps aus Modezeitschriften wörtlich nimmt. Lake war in den 1970ern das große Vorbild der heute weit bekannteren Cindy Sherman, die mit ihren Role-model-Bildern die eindimensionale Festschreibung von Weiblichkeit beschreibt.

Ein Klassiker dieses Genres ist die Braut, hier in vielen Facetten, etwa in den Arbeiten der Engländerin Penny Slinger zu sehen. In ihren Fotocollagen, auf denen sie mit Hochzeitstortenkostüm und gespreizten Beinen posiert, thematisiert sie den geringen Stellenwert der weiblichen Sexualität. Frauen hätte man den Spaß am Sex abgesprochen, die Devise sei Unterordnung gewesen.

Feministische Avantgarde: Politische Kunst im Tortenkostüm
RENATE BERTLMANN
Ein anderes Brautbild präsentiert die österreichische Künstlerin Renate Bertlmann, aus deren umfangreichem Werk hier viel zu sehen ist, etwa die "Schwangere Braut im Rollstuhl" oder die Fotoserie "Zärtliche Pantomime", in der sie eine Haube mit Präservativen trägt – eine augenzwinkernde Zurückweisung der Symbolkraft des Phallus.

Fotoserien wie diese unterstreichen, und das ist eine besondere Stärke dieser Schau, auch die Verve, aus der diese Kunst einst entstand. Es war Kunst, die, sagt Suzy Lake, gemacht werden musste. Und nicht von jemandem bestellt wurde. Unperfektionistisch, kleinformatig und politisch drängend: Schwer zu vermarkten und somit weit weg vom Business-Diktat der heutigen Kunstwelt. Eine tolle Schlusspointe setzen die Fotos von Lili Dujorie: Ihr scheinbar geschlechtsloser Nackter ist ein irritierender, wunderbarer Beitrag zur Gender-Debatte.

Eine Umwertung der Werte im kollektiven Kunstgedächtnis

Feministische Avantgarde: Politische Kunst im Tortenkostüm
katalog
Es geht hier auch um eine "Umwertung der Werte": Die Schau "Feministische Avantgarde" in der Hamburger Kunsthalle will das Avantgarde-Verständnis in der Kunstgeschichte erweitern und auch die Pionierinnen der feministischen Kunst darin verankern. "In ihren Werken haben die Künstlerinnen zum ersten Mal in der Kunstgeschichte kollektiv ein eigenes Bild der Frau kreiert", sagt Kuratorin Gabriele Schor.

150 Werke von 34 Künstlerinnen aus der Wiener Sammlung Verbund zeigt die Hamburger Kunsthalle bis Ende Mai. Die Schau wandert danach nach London und ist nächstes Jahr im Wiener Mumok zu sehen.

Der wunderbare Katalog von Gabriele Schor ist bei Prestel erschienen (511 Seiten, 59 Euro). Er beinhaltet neben ausführlichen Werkbeschreibungen Biografien der Künstlerinnen und eine übersichtliche Chronologie der feministischen Kunstbewegung.

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