"Fall Dora": Nicht nur Freuds hysterische Patientin

"Fall Dora": Nicht nur Freuds hysterische Patientin
Katharina Adlers Roman "Ida" über ihre Urgroßmutter, die aus der Berggasse Nr. 19 geflüchtet war.

KURIER: "Sie haben über Ihre Urgroßmutter geschrieben. Würden Sie sie treffen wollen ... oder reicht es Ihnen völlig, was Sie über Ida Adler herausgefunden haben?"
Katharina Adler (Bild oben): "Gern würde ich mit ihr plaudern wollen! Ich habe das Buch ja auch geschrieben, weil weder ich noch meinen nächsten Verwandten die Möglichkeit dazu gegeben war."

KURIER: "Ida Adler, geborene Bauer,  ist 1945 in New York gestorben, kurz nach ihrem 63. Geburtstag."

Katharina Adler: "Sie war lange Zeit in gewisser Weise eine Leerstelle in unserer Familie. Der Roman ist auch ein Versuch, sie näher kennen zu lernen.Beim Schreiben ist sie mir dann sehr ans Herz gewachsen.“

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Ida“ ist die Befreiung aus ihrer Rolle als „die Patientin“; als „Fall Dora“, über den Freud publiziert hat .
Die bissl Hysterische.
Sie war 18, als sie auf Befehl des Herrn Papa bei Sigmund Freud in der Berggasse auf der Couch lag und sich  über  den Mann, der damals, das war 1900, noch nicht berühmt und nicht  Professor war, wunderte.
 Als sie die „Kur“ nach drei Monaten abbrach – was bildete sich dieses ungezogene Mädel  denn ein? –, verfolgte kaum  jemand ihren weiteren Lebensweg.
Es wird nicht einfach sein, diese Frau sympathisch zu finden. Ist aber auch nicht notwendig. Man muss Ida nicht mögen, um „Ida“  gern zu lesen.
Katharina Adlers Roman wird allerdings dafür sorgen, dass man besser versteht, warum sie so hart und streng und kalt geworden ist.
Zuerst aber fährt sie einem sozusagen mit dem Hintern voll ins Gesicht:
Mit einem der letzten Schiffe hat es Ida 1939 über Casablanca nach New York geschafft. Dort macht sie ihrem Sohn, der damals das Orchester der Oper in Chicago leitet,  Vorwürfe, weil er sie nicht früher aus dem lebensgefährlichen Europa geholt hat; und ihrer schwangeren Schwiegertochter wünscht sie, sie möge das Kind nicht bekommen.
Auf einer Party hört sie, wie eine Besucherin den Namen Freud erwähnt. Nicht einmal in Amerika ist man vor ihm sicher! Ida erinnert sich mit Schrecken ...

Nur Sex

Komplizierte Sache:
Ida hüstelte nervös, verlor oft die Stimme, und das wurde damit in Zusammenhang gebracht, dass sie bei einer Familie Babysitterin war, in der ihr der Ehemann Liebesbeteuerungen machte – und die Ehefrau ein Verhältnis mit Idas Vater hatte,
Freud brachte viel Sex ins Spiel, Idas Hüsteln sei eine Fellatio-Fantasie, und das Schmuckkästchen in einem ihrer Träume, das sei Idas Vagina. Das fand nicht nur sie – Wienerisch gesprochen – zu deppert.
Der Roman bleibt nicht die ganze Zeit bei ihr. Er wirft lange Blicke auf die Zeit und ist auch die Geschichte von Idas Bruder, des sozialdemokratischen Politikers Otto Bauer.
Es sind  viele Wenn-Sätze, mit denen Katharina Adler die Wünsche der Urgroßmutter offenbart. Aber sie bestehen nur aus einem Satzteil, ihnen fehlt die Folge.
Weil Wünsche nicht immer eine Folge  haben.
Weil sie unerfüllt bleiben. Zum Beispiel:
Wenn noch einmal der Vorhang aufgeht.
Und dann? Nichts dann. Ein Punkt. Nichts geht mehr. Es ist vorbei.

 


Katharina Adler:
Ida
Rowohlt Verlag.
512 Seiten.
25,70 Euro.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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