Das Hackbeil bleibt im Theater

Evelyn Herlitzius als überragende Marie in Alban Bergs "Wozzeck" an der Wiener Staatsoper
Die Sopranistin singt am Ring in "Wozzeck" und liebt die großen Herausforderungen.

Sie ist seit Jahren ein absoluter Fixstern am internationalen Opernhimmel und brilliert an der Wiener Staatsoper gerade als Marie in Alban Bergs "Wozzeck" (siehe Kritik). Eine Partie, die für Evelyn Herlitzius eine "echte, aber sehr schöne Herausforderung" ist. Denn, so die gefeierte Sopranistin: "Wirklich sängerfreundlich hat Alban Berg das nicht komponiert. Ich habe insgesamt über dreieinhalb Oktaven zu singen. Dazu kommen der Sprechgesang und die Darstellung dieser vom Leben benachteiligten Frau. Sozialromantik versuche ich da zu vermeiden."

Große Kaliber

Mit Erfolg, denn Herlitzius ist nicht nur eine fabelhafte Marie; die Künstlerin ist im sehr schweren Fach daheim. Salome, Elektra, Isolde, Kundry und alle drei Brünnhilden in Wagners " Ring des Nibelungen" sind nur einige ihrer Parade-Partien. "Der Fokus hat sich in den letzten Jahren tatsächlich auf Wagner und Richard Strauss gerichtet, und heuer im Strauss-Jahr (150. Geburtstag des Komponisten, Anm.) singe ich natürlich besonders viel Strauss."

Nachsatz: "Die Elektra ist übrigens nicht zu toppen, sie ist für eine Sängerin der absolute Hammer. Denn man gibt diese Partie nach der Vorstellung ja nicht an der Garderobe ab, sondern nimmt sie – wie jede Rolle – emotional mit nach Hause." Lachender Zusatz: "Aber keine Angst, ich gehe nicht mit dem Hackbeil durch die Wohnung. Das bleibt doch im Theater."

Das Haupt-Theater der Evelyn Herlitzius ist übrigens die Dresdner Semperoper: "Dort habe ich meine Heimat gefunden." Denn, so die Sängerin: "Es ist irgendwie beruhigend, wenn man auf der Bühne steht, in den Orchestergraben sieht und die Leute, die spielen, kennt. Das gibt mir noch mehr Sicherheit. Und außerdem findet man den Weg in die Kantine viel leichter, wenn man länger an einem Haus ist."

Große Operette

Die Wiener Staatsoper liebt Herlitzius auch. "Diese ,Wozzeck‘-Inszenierung etwa ist ein Traum. Und das Orchester ist auch fabelhaft. Ich freue mich immer, wieder in Wien zu sein. Und in der kommenden Spielzeit werde ich hier alle auch drei ,Ring‘-Brünnhilden singen." Lachend: "Also wieder etwas ganz Leichtes. Wenn man so will, ist das eine Operette in drei Akten."

Aber war es immer klar, dass Herlitzius im hochdramatischen Fach landen würde? "Nein, so etwas kann man nicht planen. Wenn ich ehrlich bin, hätte ich während meiner Ausbildung alles singen können. Es war lange Zeit nicht einmal klar, ob ich Sopran oder doch eher Mezzo bin. Ich bin aber mit meinen Rollen zufrieden und freue mich auf jede neue."

Und so wird Herlitzius auch Verdis Lady Macbeth in ihr Repertoire aufnehmen oder Janáceks "Die Sache Makropulos", denn "es gibt noch so viel Aufregendes zu entdecken".

In Dresden daheim

Biografie Evelyn Herlitzius wurde in Osnabrück geboren, machte zuerst eine Ausbildung als Tänzerin und studierte dann in Hamburg Gesang. Ihr Operndebüt gab sie 1993 in Flensburg. Heute singt sie an allen großen Häusern und bei den wichtigsten Festivals. Ihre künstlerische Heimat ist die Semperoper in Dresden.

Wien In der Saison 2014/’15 singt sie die Brünnhilde in Wagners „Ring“.

Der größte Kassenmagnet ist Alban Bergs "Wozzeck" gewiss nicht. Umso wichtiger aber, dass die Wiener Staatsoper in regelmäßigen Abständen dieses Meisterwerk auf den Spielplan setzt. Und wenn dann noch ein so gutes Ensemble wie bei der aktuellen Spielserie (Reprisen: 27. und 30. März) zur Verfügung steht, wird "Wozzeck" zum packenden Psychothriller.

Denn Matthias Goerne – er hat den Wozzeck unlängst auch beim Staatsopern-Gastspiel in New York gesungen – überzeugt auch bei seinem Rollendebüt am Ring. Goerne singt die anspruchsvolle Partie fast wie ein Lied von Schubert oder Schumann, verleiht diesem, letztlich zum Mörder werdenden Außenseiter auch darstellerisch viel Profil. Sein Wozzeck ist mehr Opfer denn Täter.

An Goernes Seite brilliert Evelyn Herlitzius als Marie. Die Sopranistin singt diese Rolle nicht nur in jeder Lage überragend, sie gestaltet sie auch mit größter Intensität. Man ist förmlich zum Mitfiebern, ja Mitleiden gezwungen. So soll es auch sein.

Dazu kommen noch Norbert Ernst als präsenter Andres, Wolfgang Bankl als souveräner Doktor, Herwig Pecoraro als tadelloser Hauptmann und Herbert Lippert als starker Tambourmajor. Auch die kleineren Partien sind adäquat besetzt. Am Pult des spielfreudigen und nuancierten Staatsopernorchesters kann Dennis Russell Davies (als Einspringer für Daniele Gatti) seine Erfahrung einbringen; dieser "Wozzeck" klingt über weite Strecken richtig gut.

KURIER-Wertung:

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