"Es wird schnell und exzessiv"

„Wie kann man die Handlung des Musikmachens ins Szene setzen?“
Samstag wird das Gegenteil von Kammermusik: Bei der "Rave Night Vienna", dem Finale von Wien Modern, werden Klischees über Neue Musik gebrochen.

Der Komponist Alexander Schubert über Friedrich Cerha, Pink Floyd und das Establishment der Kunstmusik.

KURIER:Ein Vorurteil über Neue Musik lautet, sie sei kopflastig. Wissen Sie, warum?

Alexander Schubert: Ja, klar, das zeichnet einige Kompositionen und Festivals aus. Man kann aber nicht alles über einen Kamm scheren. Es tut sich jetzt viel Neues auf innerhalb dessen, was man im weitestens Sinne zeitgenössische Musik nennen kann.

Ist dieses Vorurteil auch der Grund, warum so vielen Leuten der Zugang zu zeitgenössischer Musik so schwer fällt?

Ja, für ein breites Publikum ist das sicher so.

Hätten Sie gern ein breites Publikum?

Ich mache ich mir nicht viele Gedanken über die Menge oder Beschaffenheit des Publikums. Aber klar, wenn man Kunst macht, wünscht man sich schon auch, dass Menschen damit in Kontakt treten, dass es sie berührt. Ich habe das Gefühl, dass es Bereiche in der zeitgenössischen Musik gibt, wo die Hemmschwelle unbegründet ist. Ich erlebe das häufig, wenn Freunde ins Konzert kommen und einen Zugang finden, auch wenn es anspruchsvoll ist. Das Publikum kann ja auch mit moderner Kunst oder Literatur etwas anfangen. Ich schreibe keine Musik, um konkret etwas zu erreichen, aber wenn ich Menschen berühre, die nicht aus dem Fachpublikum kommen, dann freue ich mich. Wobei ich das nicht als mein erstes Ziel verfolge.

Machen Sie Musik zuerst für sich selbst?

Schwierige Frage. Musik ist für mich eine From des Ausdrucks. Was ich nicht tue, ist, mir vorzustellen, wer im Konzert sitzt. Ich schreibe vor allem nicht für ein Fachpublikum. Die Musik, die ich schreibe, wird zu 90 Prozent bei Festivals der Neuen Musik aufgeführt, liegt aber an der Grenze zwischen zeitgenössischer Klassik und elektronischer Avantgarde.

Fast in Richtung Techno.

Das unterscheidet sich von Stück zu Stück. Das, was am Samstag zu hören ist, ist näher an der experimentellen Technomusik als an zeitgenössischer Kammermusik.

Die Generation vor Ihnen – Leute wie Boulez oder Cerha– waren zu Ihrer Zeit Kämpfer gegen das Establishment. Jetzt gehören sie selber dazu. Ist es auch für Ihre Generation wichtig, etwas aufzubrechen? Gegen die Altvorderen zu kämpfen?

Das, was in der Nachkriegszeit als Umbruch innerhalb der Kunstmusik geschehen ist, ist nun Teil des Systems geworden. Zu einer geförderten Hochkultur. Ich würde nicht sagen, dass es mir explizit darum geht, etwas anzugreifen. Aber es liegt in der Natur der Sache dass man, wenn man einen eigenen Ausdruck finden möchte, nicht das museal wiederholt, was es seit 40 Jahren gibt.

Was werden Sie denn machen, wenn Sie einmal Teil des Systems sind?

Keine Ahnung.

Haben Sie Angst davor?

Vor dem Teil nicht. Interessanter ist, ob man weiter in der Lage ist, sich selber neu zu erfinden. Ich habe vor einigen Jahren eine bestimmte Art von Stücken mit Bewegung und Sensoren gemacht, die gut funktionierte. Ich bin dann an einen Punkt gekommen, wo ich mich fragte: Möchte ich dieser Komponist bleiben, der die nächsten 40 Jahre diese Stücke wiederholt weil sie eine Akzeptanz gefunden haben? Für mich ist das Wichtigste, mich selber zu überraschen, mir jedes Mal eine Herausforderung zu stellen. Bei mir ist das einfach. Mir wird schnell langweilig mit Dingen, die ich ein paar Mal gemacht habe. Und dann versuche ich, einen anderen Ansatz zu finden.

Ihre Lebenslauf offenbart viele andere Wege. Wann wurde die Musik wichtig?

Mit 12 habe ich angefangen, Musik zu machen.

Ihr erstes Instrument?

Gitarre. Mit sechzehn bekam ich meinen ersten Computer. Von da an hab ich elektronische Musik gemacht.

Wer Ihre Musik kennt, kann sich schwer vorstellen, dass Sie jemals Deep Purple oder Ähnliches gehört haben.

Nein, das nicht, aber ich mochte Pink Floyd und so was. Ich komme weder von meiner Ausbildung noch von meinem Aufwachsen her aus dem klassischen Bereich. Ich habe einen langen Bogen gemacht , bevor ich bei der zeitgenössischen komponierten Musik gelandet bin.

Ihre Inspirationsquellen?

Ich hab mich immer mit experimenteller elektronische Musik beschäftigt, dann auch mit Noise und Hardcore, und der Improvisationsszene. Das war für mich das Bindeglied zur komponierten Musik. Auch der szenische Anteil hat an Bedeutung für mich gewonnen, da sind Theater und Tanz Inspirationsquellen. Was mich immer weniger interessiert, ist eine klassische Bühnen zu haben, wo Musiker ihr Stück spielen, dann wird applaudiert und sie gehen wieder. Ich überlege mir: Was kann ein Raum sein, wie kann ich ihn umdeuten? Welchen Erfahrungsmoment kann man daraus generieren? Wie kann man die Handlung des Musikmachens ins Szene setzen? Wie kann man die Erfahrung des Publikums mitbeeinflussen?

Das trifft besonders auch auf kommenden Samstag zu.

Ja, das Konzert ist extrem techno-mäßig ausgerichtet. Neben Partitur und Musik gibt es Lichter und Nebelmaschinen, die synchron mitkomponiert sind. Der Titel des Stückes greift das auch auf. Es geht um beide Aspekte gleichermaßen. Es wird einerseits eine mechanische Inszenierung der Musiker und des Vortrags. Und dabei wird es auch um das Publikum gehen. Es geht mir um die Einzelperson, um die Erfahrungswelt, die man auch aus der Clubkultur kennt. Es geht um das Auf und Ab, um die verschiedenen Momente des Sich-Fallen-Lassens oder des Sich-Hinein-Begebens. Das ist sehr emotional. Es wird schnell und exzessiv.

Können Sie etwas mit Mainstream-Musik anfangen?

Ja, ich höre durch die Bank, auch Popmusik. Vielleicht nichts, was im Radio läuft, aber durchaus auch Singer-Songwriter. Das neue Sufjan Stevens-Album höre ich gerade sehr gern.

"Es wird schnell und exzessiv"
honorarfrei
Zur Person: Alexander Schubert wurde 1979 in Bremen geboren, studierte Bio-Informatik und danach Multimediale Komposition an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Schubert hat zu verschiedenen szenischen Projekten als Musiker, Komponist und Programmierer beigetragen (u.a. für die Wr. Festspielwochen). Er kuratiert das Musikfestival für Zeitgenössische Elektronische Musik in Leipzig und betreibt den Ahornfelder-Verlag für experimentelle Audio- und Buchveröffentlichungen.

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