Erwin Wurm in Graz: Land der Berge und Skulpturen

Grazer Kunsthaus: rosaroter „Weltraumschwitzer“ und Riesengurke mit umgeschnallter Rauschenberg-Skulptur von Erwin Wurm
Der Künstler bändigt mit einer Personale voll Witz die Kuppelhalle des Kunsthauses.

Ende Oktober 2015 erhielt Erwin Wurm den Würdigungspreis des Landes Steiermark und damit eine Ausstellung – etwa im Grazer Künstlerhaus. Die erste Adresse aber ist das Kunsthaus, die blaue Blase am rechten Murufer.

Peter Pakesch hatte als Intendant des Joanneums und Chef des Kunsthauses keine große Bereitschaft gezeigt, Wurm präsentieren zu wollen. Wiewohl der Steirer, geboren 1954 in Bruck und aufgewachsen in Graz, längst zu den Top-Künstlern zählt. Aber Pakesch ist – auf eigenen Wunsch – seit Herbst 2015 nicht mehr Intendant. Und so stand das Kunsthaus offen.

Wurm, der heuer zusammen mit Brigitte Kowanz Österreich auf der Kunstbiennale in Venedig vertritt, ließ sich nicht lumpen: Er lieferte für die von Günther Holler-Schuster, Kurator der Neuen Galerie, betreute Personale "Fußballgroßer Tonklumpen auf hellblauem Autodach" (bis 20. August) durch die Bank neue Arbeiten ab. Beziehungsweise richtiger: Er entwickelte mehrere Facetten in seinem skulpturalen Werk konsequent weiter.

Weltraumschwitzer

Die Kuppelhalle mit den spiralförmigen Beleuchtungskörpern in den "Noppen" der Blase ist derart dominant, dass jede kleinteilige Kunst untergeht. Sol LeWitt hatte bereits 2004, als das Kunsthaus seinen regulären Betrieb aufnahm, eine passende Antwort: Er ließ eine geschwungene Mauer aus Ytong-Steinen errichten.

Selbstbewusst reagierte auch Wurm: mit einem – profan gesagt – Raumteiler. Im Laufe der Zeit wurden seine Kleiderskulpturen immer größer. Ein knallroter Riesen-Wandpullover hängt im Kulturministerium in Wien, ein anderer in Grün-Weiß samt Panther-Band im Sitzungssaal der steirischen Landesregierung.

Im Kunsthaus toppt Wurm das Bisherige mit einem 40 Meter langen und vier Meter hohen "Sweater", der geschwungen im "Space 01", wie der Kuppelsaal heißt, schwebt. Das zartrosa Ding mit der grellgrünen Bordüre nannte Wurm folgerichtig "Weltraumschwitzer": Es hat zwei – im Vergleich – absurd kleine Kopflöcher und sechs Ärmel, die ziemlich verloren herumbaumeln.

Ergänzt hat Wurm den "Sweater" mit drei Aneignungen: Er kombinierte bestehende Kunstwerke aus der Sammlung der Neuen Galerie keck mit eigenen Ideen. Wir sehen eine riesige Gurke aus patinierter Bronze, die eine Tür-Skulptur von Robert Rauschenberg aus Karton quasi auf dem Rücken trägt. Erwin Wurm porträtierte sich ja schon wiederholt als Gurke – immer mit dem Verweis, dass die Wurstsemmel mit Essiggurkerl bestimmend für sein Leben gewesen sei. Da also auch dieser "Gurk" ein Wurm ist, nennt sich die Doppelskulptur wie eine Speise im Gourmettempel: "Rauschenberg an Wurm".

Wurstsemmelgurkerl

Ein paar Meter weiter entdeckt man eine etwa lebensgroße "Liegende Figur" von Fritz Wotruba aus Zement. Auf ihrem Knie liegt eine Wurstsemmel mit Essiggurkerl. Wurm ließ bereits täuschend echt bemalte Bronzeskulpturen von Semmerln und Butterbroten anfertigen; dieses Objekt aber, das jemand respektlos hingelegt und vergessen haben könnte, ist echt. Das Ergebnis enttäuscht ein wenig. Denn die britische Künstlerin Sarah Lucas legte bereits 2012 auf eine Skulptur von Franz West ein echtes Spiegelei. Diese Arbeit ist derzeit im 21er Haus zu sehen – in der Schau "Franz West – Artistclub" (bis 23. April). Und im Momok kombinierte Jakob Lena Knebl die hauseigene Sammlung erst kürzlich neu – unter dem passenden Titel "Oh..." (bis 22. Oktober): Die Künstlerin zog zum Beispiel einer Giacometti-Skulptur ein rotes Gewand an.

Doppelbödigen Witz beweist Wurm aber wieder einmal mit der "Kletterskulptur": Er ließ eine formal stark reduzierte Plastik von Josef Pillhofer extrem vergrößert nachbauen – und versah die vier Meter hohe Skulptur mit roten, blauen und grünen Klettergriffen. Sie ist aber aus Styropor und bleibt ohne praktischen Zweck – im Gegensatz zu den neuen Lampenobjekten im Kunsthaus mit schwebenden "Wolken" als Abstellfläche und Eimern als Schirm.

Das Möbelstück "Rotlicht" enthält zudem – wie bei den "One Minute Sculptures", mit denen Wurm vor 20 Jahren international reüssierte, eine Handlungsanweisung. Der Besucher darf sich also einbringen, einen Eimer über den Kopf ziehen – oder den Kopf durch das untere Loch des "Sweaters" stecken.

Akteure gibt es übrigens mehrere in der Schau: Sie stehen auf Podesten und geben immerzu "Wortskulpturen" von sich. Die Idee, auch Sätze und Aphorismen zu Skulpturen zu erklären, hatte Wurm bereits 2013: In der Galerie Ropac in Salzburg sprach Nicholas Ofczarek auf einem Podest von Wurm geformte "Wortskulpturen".

Tonklumpenberge

Die Akteure in Graz haben auch den Halbsatz "Fußballgroßer Tonklumpen auf hellblauem Autodach" zu artikulieren. Somit erklärt sich der Titel. Den Tonklumpen selbst muss man imaginieren – oder man geht nebenan ins "Artelier Contemporary".

Dort zeigt Wurm zehn Tonklumpen in patinierter Bronze auf schlanken Podesten. Sie sind das Produkt eines Dialogs mit Markus Huemer – und können als Berge gelesen werden. Denn Huemer zeigt abstrahierte Berglandschaften in Schwarz-Weiß. Und der ironische Titel lautet "Land der Berge" (bis 14. Mai): ein recht raffiniertes Spiel der Gegensätze.

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