"Endspiel" im Volkstheater: Absurde Komik im Graphic-Novel-Guckkasten
Die kurze Saison des Volkstheaters ist fast schon wieder zu Ende. Am Mittwoch zeigte Neo-Intendant Kay Voges noch die Wien-Premiere seiner Dortmunder Inszenierung von Samuel Becketts „Endspiel“ aus 2012.
Er hat auch die beiden Schauspieler mitgebracht, die in Dortmund Erfolge feierten: Uwe Schmieder spielt den lahmen und blinden Hamm, der hier Purl heißt. Frank Genser ist der stupide Diener Clov, der hier Lum heißt.
Verwirrend? Voges hat Becketts Text mit Elementen aus Wolfram Lotz’ Stück „Einige Nachrichten an das All“ verschnitten. Es sind auch zwei eingefügte Lotz-Sätze, die Voges`Lesart von Becketts Klassiker des Absurden Theaters (1957) andeuten: „Wir kommen ja nicht mal von Nirgendwo. Wir sind einfach da.“
Nichts
Bei Beckett wird eine umfassende Katastrophe als äußeres Faktum erwähnt. Voges hat auch in der Wiener Version keine billigen Zeitbezüge, etwa zur gegenwärtigen Pandemie, gesetzt. Außerhalb des kleinen schwarzen Guckkastens, den Michael Sieberock-Serafimowitsch in die große Bühne gebaut hat, herrscht nur ein beständiges Nullum.
Außer einem Sessel, einer Glühbirne, einer Art Periskop gibt es lediglich 2D-Gegenstände, die im Stile einer Graphic Novel an die Wand gezeichnet sind. Purl thront in der Mitte. Schmieder hat sich die Augen zugeklebt, sieht also tatsächlich eineinhalb Stunden nichts. Lum, rastlos, auf übertriebenen Plateauschuhen stöckelnd, umkreist ihn immer wieder. Seine elektrisch verstärkten Schritte wirken zwar wie das donnernde Ticken einer Uhr, aber dem Nichts entspricht hier eine Zeitlosigkeit. Und die äußert sich in teils nervtötenden Wiederholungen, die Voges bis zum Exzess ausreizt: „Du willst also, dass ich dich verlasse?“/„Natürlich!“/„Dann werde ich dich verlassen.“/„Du kannst mich nicht verlassen.“/„Dann werde ich dich NICHT verlassen.“
Uwe Schmieder (vorne) und Frank Genser: Herr und Diener, einander ausgeliefert
Klirren und Flirren
Dieser Dialog spielt sich Dutzende Male ab, jedes Mal knallt Lum die Tür in die vermeintliche Freiheit zu. Das wird, wie jedes zu Boden geworfene Artefakt, mit Soundeffekten versehen (Livesound: Mario Simon, Sebastian Hartl). Es kracht, klirrt, fiept wie in einem Comic. Dazu flirren grelle Lichter ins Dunkel, wummern krachende E-Gitarrenklänge, gegen die Schmieder und Genser anschreien.
Die Action ist aber immer nur eine scheinbare. Denn nichts führt hier zu irgend etwas. Außer zur Beckettschen Erkenntnis: „Nichts ist komischer als das Unglück.“
Clownesk
Zwei (im Original vier), die sich hassen, aber nicht ohne einander können – das ist das elementare Unglück.
„Wir sind doch nicht im Begriff, etwas zu bedeuten“, sagt Purl außerdem. „Wir, etwas bedeuten?“ – Lum kann darüber nur lachen. Die absurde Komik funktioniert auch bei Voges. Wenngleich er sich nicht ganz auf den Text verlässt und zu clownesken Einlagen – etwa eine angedeutete Masturbation – greift. Einmal greift sich Lum die gezeichnete Kalaschnikow, ballert herum. Aber es kann nicht einmal gestorben werden.
Der anschließende Jubel ließ fast vergessen, dass nur die Hälfte der Plätze besetzt werden durfte. Spürbare Freude bei Schauspielern und Team über den Erfolg in Wien.
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