von Gabriele Flossmann
Die Erfolgsserie „The Crown“ markierte den bisherigen Höhepunkt in der Karriere von Emma Corrin. Für die umjubelte Darstellung von Prinzessin Diana wurde sie als beste weibliche Darstellerin mit einem Golden Globe ausgezeichnet. Danach folgte ein markanter Schwenk: Das Outing, in dem sich der britische Film- und Theaterstar selbst als non-binär identifizierte. Nicht eindeutig als männlich oder weiblich.
Das rein weibliche Image, das Corrins Karriere aufgrund der bisherigen Rollen geprägt hat, soll nun endgültig der Vergangenheit angehören. Passend zur neuen Identität stand der Star zuletzt in der Titelrolle des Stücks „Orlando“ auf einer Londoner Bühne. Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Virginia Woolf, der die heutigen Gender-Debatten mit klarsichtigem Selbstbewusstsein vorwegnahm.
Corrins neue Rolle als Cassandra Nova im neuen „Deadpool“-Abenteuer könnte man auch als eine Weiterführung der Genderdebatten im Marvel-Universum sehen. Cassandra ist eine (weibliche?) Außerirdische, die Männer mit telepathischen Kräften manipulieren und sogar „Wolverine“ wie eine Marionette bewegen kann.
KURIER: Wie war Ihre Reaktion, als man Sie fragte, ob sie als Cassandra Nova Teil des Marvel-Universums werden wollen und wie haben Sie sich dieser Rolle angenähert?
Emma Corrin: Es war Ryan Reynolds, der mich dem Regisseur Shawn Levy vorgeschlagen hat. Die beiden kennen sich gut, weil sie schon in einigen Filmen zusammengearbeitet haben. Und Ryan ist ja auch Co-Produzent von „Deadpool & Wolverine“. Ich habe mich sehr über dieses Angebot gefreut, weil es für mich das erste Mal ist, dass ich in so einem aufwendigen Fantasy-Abenteuer dabei sein konnte. Vor allem Ryan wollte von Anfang an, dass ich meine Cassandra menschlicher anlege als die üblichen Marvel-Charaktere. Mir hat vor allem Spaß gemacht, dass sie auch in den Dialogen sehr schlagfertig ist und nicht nur mit ihren magischen Körperkräften.
Für Sie ist dieser Film in mehrfacher Hinsicht ein neues Terrain – Sie haben bisher in eher realistischen Filmen gespielt. Gab es eine Zeit, in der Sie dachten: wo bin ich da hineingeraten?
Anfangs war es tatsächlich etwas irritierend, so viele Szenen vor grünen Wänden zu spielen, weil die Spezialeffekte erst später eingefügt wurden. Ich konnte da nur ahnen, in welcher Fantasiewelt ich da agiere. Was die Pointen einer Comic-Comedy betrifft, so ist der Unterschied zu einer klassischen Komödie nur marginal. Dort wie da muss ein Witz zünden, sonst funkt der Humor der Geschichte nicht. Ryan ist ein Meister in diesem Fach. Er liebt subversive Komik, die aber nie verletzend ist, weil er sich immer nur selbst auf die Schaufel nimmt.
Sie sagen, dass es der Wunsch des Regisseurs und auch von Ryan Reynolds war, dass Sie die Rolle der Cassandra menschlicher anlegen. Haben Sie sich dafür von wirklichen Menschen inspirieren lassen? Vielleicht von einem Politiker?
Da hätte man gerade in der jetzigen Zeit tatsächlich eine beträchtliche Auswahl an Vorbildern, denn ich spiele ja einen Bösewicht (lacht). Aber letztlich wären Anspielungen auf reale Politiker eher ein Anlass zu bitterem Humor. Das hätte nicht ins Marvel-Universum gepasst. Es war Ryan Reynolds, der mir vorgeschlagen hat, Christoph Waltz als Nazi-Offizier Hans Landa genau zu studieren. Oder auch Gene Wilder als „Willy Wonka“.
Haben Sie auch Anleihen in Ihrer eigenen Kindheit genommen? Viele Kinder träumen ja davon, Superhelden zu sein.
Diese Frage liebe ich. Denn ja, ich habe als Kind auch oft davon geträumt, über Superkräfte zu verfügen. Vor allem wollte ich mich unsichtbar machen können. Das klingt vielleicht seltsam, weil man ja den Schauspielberuf meistens deshalb wählt, weil man gesehen werden will. Aber meine Herangehensweise an Rolle ist immer, dass ich Menschen in allen möglichen Situationen genau studiere, um verschiedenste Emotionen glaubwürdig spielen zu können. Deshalb wäre ich heute tatsächlich gerne bisweilen unsichtbar (lacht). Aber auf jeden Fall sehe ich die Kindheit – nicht nur meine – als geradezu heiligen Ort. Als eine Fantasiewelt, in die man flüchten kann, um die Realität zu verarbeiten.
Um noch einmal auf Ihre Rolle als Cassandra Nova zu kommen: In der griechischen Mythologie könnte man Kassandra als frühes #MeToo-Opfer sehen. Weil sie die Annäherungen des Gottes Apoll abgewehrt hat, verwandelte er sie von einer schönen Wahrsagerin in eine eher böse, negative Figur. Haben Sie für Ihre Rollengestaltung auch Anleihen aus der Antike genommen?
Als Film-Bösewicht ist man immer in Gefahr, in eine Klischee-Falle zu geraten. Wenn ich eine Rolle spiele, suche ich immer nach einem Schlüssel, um ins Innere der Figur zu kommen. Ich muss verstehen, warum sie bestimmte Charaktereigenschaften entwickelt hat. Wie in der griechischen Mythologie, in der Kassandra im Schatten ihres heldischen Bruders Hektor stand, ist es auch bei Cassandra in unserem Film. Auch sie hat einen Bruder, der von allen verehrt wird, weil er so gut ist. Und weil sie seine Güte und seine Anerkennung nie erreichen kann, wendet sie sich der Kehrseite zu. Man könnte also sagen, dass die Cassandra, die ich spiele, nicht aus dem Marvel-Universum stammt, sondern aus der griechischen Mythologie. Man sagt ja, dass wir aus der Geschichte lernen können. Das gilt auch für die Sagen des klassischen Altertums – da kann man studieren, wie Kriege entstehen.
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