Manche waren vielleicht zu schön, zu jung, zu intelligent. Andere zu vielseitig, zu ambitioniert oder zu wenig lange in Wien, um von der Geschichtsschreibung als Teil des Phänomens „Wien um 1900“ kanonisiert zu werden.
Und doch entsprang der Universalkünstler Emil Pirchan, dem das wieder eröffnete Leopold Museum nunmehr eine Einzelausstellung widmet, der speziell wienerischen Gemengelage der frühen Moderne, die alle Künste erfasste und deren Zeugnisse auch in der sehenswerten Dauerpräsentation des Hauses zu sehen sind.
Pirchan (1884 – 1957) ist dabei in Fachkreisen nicht wirklich ein Unbekannter: Seine Bühnenbilder, die er ab 1918 als Ausstattungschef der bayerischen Staatstheater in München und ab 1921 an den Staatstheatern, der Staatsoper und dem Schauspielhaus in Berlin schuf, sind exemplarische Beispiele für die Bühnengestaltung der Zwischenkriegszeit. Das Wiener Theatermuseum bewahrt große Teile des diesbezüglichen Nachlasses auf.
Wagner-Schüler
Doch Pirchan hatte ursprünglich bei Otto Wagner studiert und eine Architektenlaufbahn angestrebt. Erst als er diesbezüglich nicht wirklich Fuß fassen konnte – ein einziges Privathaus wurde tatsächlich nach seinem Entwurf erbaut – verlagerte er sich zunächst auf die Gebrauchsgrafik und wurde in München zum gefragten Mann für Plakate aller Art. Dass es ihn dabei insgeheim zum Theater zog, dass er daneben noch Bühnenstücke, Gedichte und Romane schrieb, Möbel und Stoffmuster entwarf – all das machte ihn zum exemplarischen Gesamtkunstwerker, einem Renaissancemenschen der Moderne.
Dass diese Vielseitigkeit nun in einer Ausstellung und einem Buch (Nimbus Verlag, 45 €) anschaulich dargestellt werden kann, verdankt sich der Initiative von Pirchans Enkel Beat Steffan, der selbst wenig über den Großvater wusste, bis er einige Kisten sichtete, die am Dachboden des Familienhauses gehütet worden waren.
Im Buch steuert Steffan eine lebendige Biografie Emil Pirchans bei: Dieser war in Brünn als Sohn eines bekannten Porträtmalers (ebenfalls mit Vornamen Emil) auf die Welt gekommen und früh an die Welt der Künste herangeführt worden. Dass er schon früh Gedichte schrieb und in Kinderfotos mit der Feder in der Hand posierte, dürfte wohl auch der Erwartungshaltung seines Umfelds geschuldet gewesen sein.
Kind seiner Zeit
Doch tatsächlich konnte Pirchan während seiner Wiener Studienzeit den Großen der Secessionsbewegung im Kaffeehaus beim Diskutieren zusehen und die Formensprache der Moderne aufsaugen.
Sowohl die Architektur- und Möbelentwürfe als auch die Plakate, die er nach seiner Übersiedlung nach München 1908 anfertigte, weisen Pirchan als jemanden aus, der den ästhetischen Geist seiner Zeit inhaliert hatte und leichtfüßig anwenden konnte – neben der Kunst der Wiener Secession sind auch Echos der Plakatkunst Henri de Toulouse-Lautrecs oder der flächigen Gestaltungsweise eines Henri Matisse zu bemerken. Die blockhaften Schriften und harten Kontraste, die Pirchan gern einsetzte, wirken dabei durchaus zeitlos und hätten sich auch noch viel später, etwa auf Jazzplatten der 1960er, gut gemacht.
Weltformat
Vorausweisend ist auch Pirchans Engagement bei der Vereinigung „Die Brücke“ – nicht zu verwechseln mit der Gruppe expressionistischer Maler gleichen Namens. Die Organisation, für die Pirchan ab 1912 tätig wurde, hatte sich zum Ziel gesetzt, das Wissen der Welt universell abrufbar zu machen und neben einem Weltgeld und einer Weltsprache auch eine Normierung aller Maße einzuführen. Pirchan deklinierte dies durch und entwarf neben Drucksachen, Logos und Bibliotheksregalen ein „Weltformathaus“, dessen Maße genau den Normen folgten: Es sah, bei aller hochtrabenden Ambition, am Ende dann aber doch ein wenig spießig aus.
Ob Pirchan selbst Weltformat besaß oder doch eher ein gewiefter Anwender von Innovationen anderer war, darf jeder für sich entscheiden. In jedem Fall bietet die Werkschau eine hervorragende Linse, um auf den Pioniergeist der Moderne, aber auch auf ihre Neigung zur Allmachtsfantasie zu blicken. Beide Wesenszüge sind bis ins heutige Digitalzeitalter ja nicht wirklich ausgestorben.
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