Irgendwann reichte es dem Bauleiter. Also wählte er die Festnetznummer von Elke und Roman Delugan-Meissl und sagte: „Es ist so weit, ihr braucht jetzt ein richtiges Büro, wo wir auch Besprechungen machen können.“ Wir schreiben das Jahr 1993 und die Architektur-Absolventen Elke Delugan-Meissl und Roman Delugan reichen von ihrer privaten Wohnung aus einen Entwurf für die gerade anstehende Neugestaltung der Wiener Donaucity ein.
„Viele namhafte Büros haben sich damals beworben“, erzählt die Architektin, „und trotzdem bekamen wir – als völlige No-Names – den Zuschlag für zwei Projekte: ein Wohnhochhaus und den sogenannten Balken, ein horizontaler Wohnriegel.“ Und weil das Homeoffice für ein Projekt dieser Größe nicht mehr reicht, gründen die beiden ein richtiges Architekturbüro.
Das neu formierte Team entwirft ein aufwändiges Konzept für die geplante Wohnanlage in der Donaucity: Anstelle einer klassischen Raumaufteilung entwickeln die Architekten ein „Raummöbel“ – ein Element, das einen Meter tief ist und welches über die gesamte Wohnungstiefe mittels Klapp-, Wende- und Dreh-Mechanismen die benötigte Infrastruktur – wie WC, Bad, Küche, Schlafbereich – bereitstellt. „Wir waren von unserer Idee und ihrer Funktionalität total überzeugt“, erinnert sich Elke Delugan-Meissl.
Hochmotiviert geht es zum ersten Präsentationstermin mit den Projektverantwortlichen. „Die haben uns mit großen Augen angeschaut und gesagt: „Sehr schöne Idee. Aber jetzt macht ihr bitte einen richtigen Entwurf“, erzählt die Architektin und lacht über ihre damalige Naivität. Das Projekt sei nicht erprobt, zu teuer und deshalb ungeeignet für den sozialen Wohnbau, heißt es damals. „Solche Zugänge und Überlegungen zu neuen Wohnkonzepten und Bauformen“, sagt Delugan-Meissl, „benötigen wir aber für eine Weiterentwicklung.
Denn die Lebensumstände ändern sich ständig. Man muss die Rahmenbedingungen immer mitbedenken.“ Auch heute noch blickt die Architektin gerne auf das Projekt zurück, das den Beginn des mittlerweile renommierten Architektenbüros Delugan Meissl Associated Architects, kurz DMAA, darstellte. „Die erste Realisierung war eine intensive und wichtige Erfahrung.“
Von Porsche bis Filmmuseum
Was als Wohnzimmer-Operation beginnt, ist mittlerweile eines der größten Architektenbüros Österreichs: DMAA zeichnete in den vergangenen Jahren unter anderem für das Porsche Museum in Stuttgart, das Filmmuseum in Amsterdam, das Festspielhaus Erl und das Headquarter von Hyundai in Seoul verantwortlich. 2004 erweiterten Elke Delugan-Meissl und Roman Delugan ihr Büro mit den Partnern Dietmar Feistel und Martin Josst. Auch die Zentrale von DMAA am Mittersteig im fünften Wiener Gemeindebezirk ist Stockwerk für Stockwerk gewachsen und nimmt heute fast das gesamte Gebäude ein. Obwohl Elke Delugan-Meissl und ihre Kollegen bereits Dutzende prestigeträchtige Großbauten geplant haben, entwerfen sie weiterhin soziale Wohnbauprojekte.
Links eine frühe Skizze des Porsche-Museums; 2009 eröffnete das von Delugan-Meissl geplante Porsche Museum in Stuttgart. Der gewaltige Ausstellungsraum wird von nur drei Stützen getragen.
Wieso spezialisiert sich DMAA nicht auf ein Segment? „Das wäre langweilig“, sagt die Architektin. Außerdem könne man Erfahrungen aus den verschiedenen Bereichen gut miteinander kombinieren. Delugan-Meissl: „Ich frage mich oft: Wieso haben Wohnungen immer ähnliche Raumaufteilungen?“ Man sei aktuell durch finanzielle Rahmenbedingungen gezwungen, kleinere Wohneinheiten zu entwickeln, „daher sollten wir den Fokus stärker auf bauliche und räumliche Entwicklungen legen“.
Delugan-Meissl nennt als Beispiel Cluster-Wohnungen, also „Mini-Wohnungen“, die über gemeinsam mit anderen genutzte Bereiche wie ein großes Wohnzimmer oder eine Gemeinschaftsküche verfügen. „Oft wird argumentiert, dass zukünftige Bewohner neue Designs nicht annehmen, aber da bin ich anderer Meinung – man kann den Menschen ruhig mehr zutrauen.“
Oft wird argumentiert, dass zukünftige Bewohner neue Designs nicht annehmen, aber da bin ich anderer Meinung – man kann den Menschen ruhig mehr zutrauen.
von Elke Delugan-Meissl
Nicht alles abreißen
Für Elke Delugan-Meissl bedeutet Architektur mehr, als nutzungsorientierte Gebäude zu entwickeln. „Wir versuchen in unseren Entwürfen, Zonen des Übergangs, also öffentliche und halb-öffentliche Räume, so zu denken, dass diese sich mit dem Gebauten vernetzen und identitätsstiftend sind.“ Erdgeschoßzonen, Geschäftslokale und Innenhöfe werden in diesem Kontext laut der Architektin oft vernachlässigt, sind aber immens wichtig: „Dort liegen die verborgenen Qualitäten einer Stadt.“
Hier sei auch die Stadtplanung gefragt: In Zeiten von schnell wachsenden Städten müsse man neben der Entwicklung eines neuen Viertels, wie der Seestadt Aspern, auch über die Verdichtung der Innenstädte nachdenken. „Nicht alles muss abgerissen und neu gebaut werden. Leer stehende Gebäude, die eventuell nicht mehr allen baulichen Standards entsprechen, sollten temporär genutzt oder nach eingehender Analyse und einer Kosten-Nutzen-Rechnung weiterentwickelt werden.“
Männerdomäne Architektur
Jahrzehntelang waren in der Architektur fast ausschließlich männliche Star-Architekten wie Le Corbusier, Frank Gehry, Daniel Libeskind oder Hans Hollein präsent. Die Branche war eine Männerdomäne. Delugan-Meissl: „Es hat sich doch einiges bewegt.“ Frauen an der Spitze von Architekturbüros seien immer noch unterrepräsentiert, „aber es gibt immer mehr renommierte Architektinnen wie Liz Diller, die leider schon verstorbene Zaha Hadid oder Odile Decq, Anne Lacaton, Nathalie de Vries und noch einige mehr“.
Auch bei der Architektur-Biennale 2018 wurden mit Yvonne Farrell und Shelley McNamara zwei Kuratorinnen nominiert. „Mittlerweile studieren mehr Frauen als Männer Architektur. Dennoch gründen weniger Frauen später ein eigenes Büro.“ Ein zuverlässiges Team und Partner und Partnerinnen seien von Vorteil, um auch in einer Auszeit die laufenden Agenden übernehmen zu können, so die Architektin. Darüber hinaus ist das Bild vom männlichen Architekten noch sehr stark in den Köpfen verankert: „Auch in meinem Umfeld sind bei manchen Bauherren meine männlichen Partner sehr gefragt – das könnte schon auch mit diesem Thema zu tun haben.“
„Für diesen Beruf“, erklärt Elke Delugan-Meissl, „sollte man die nötige Passion und auch ein Stück weit Selbstausbeutung mitbringen.“ Auch wenn man eine Top-Universität besucht habe, sei das kein Freibrief, um später in der Arbeitswelt zu reüssieren. Das Aufgabenfeld ist laut der Architektin sehr komplex geworden: „Die Qualität des Entwurfs ist und bleibt das bestimmende Element, jedoch erfordert dieser Beruf, sich mit den unterschiedlichsten Themenfeldern zu beschäftigen.“
Man benötige neben technischen Skills ein Gefühl für Kommunikation und wirtschaftliche Belange. „Ich sehe mich als künstlerische Dienstleisterin“, sagt Delugan-Meissl und zitiert den brasilianischen Star-Architekten Oscar Niemeyer, der unter anderem die Hauptstadt Brasilia entworfen hat: „Architektur ist eine soziale Kunst, sie muss den Menschen dienen.“
Dass Architektur eine soziale Kunst sei, belegt Delugan-Meissl mit dem klassischen Ablauf eines Projekts: Nachdem man einen Wettbewerb gewonnen habe, stehe man erst am Anfang eines sehr aufwändigen Prozesses, bei dem viele Parteien mitreden, so die Architektin. Meist arbeite man in einem großen Projektteam mit Konsulenten, Bauherrenvertretern und Juristen, deren Wünsche und Bedürfnisse man berücksichtigen müsse. Während des Baus, der oft mehrere Jahre dauert, ändern sich auch die Material- und Baukosten.
Delugan-Meissl: „Dabei muss man die Einsparungen am Projekt so gestalten, dass die Qualität beibehalten wird.“ „Allgemein“, findet die Architektin, „hat Architektur nie nur eine rein funktionale Aufgabe, sondern formt und gestaltet Lebensräume – und hat somit einen wesentlichen Einfluss auf das soziale Miteinander. Sie ist immer präsent, man kann sich ihr nicht entziehen. Architektur betrifft jeden Menschen – zum Beispiel beim Wohnen –, auch wenn man sich eigentlich nicht für sie interessiert.“
Wertschätzung
Architektur finde zu wenig Wahrnehmung und Wertschätzung in der Gesellschaft, sagt Delugan-Meissl: „Ich würde mir wünschen, dass schon früh in den Schulen der Stellenwert von Architektur und die Bandbreite von Architekten vermittelt wird. Architektinnen prägen urbane Räume und somit auch das soziale Gefüge unserer Gesellschaft.“
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