Elīna Garanča: "Eine Produktion, die nicht ausgebuht wird, ist eine Rarität"
Frisch von ihrer Asien-Tournee zurückgekehrt, trafen wir den lettischen Opernstar Elīna Garanča in Wien zum ausführlichen Gespräch. Zurück in Europa, findet die 48-jährige auch klare Worte für so manche Inszenierung in den hiesigen Häusern. Im Frühling singt sie im "Don Carlo", bei dessen Premiere in der Staatsoper Dirigent Philippe Jordan mit dem symbolischen Schwenken der weißen Fahne für Aufsehen gesorgt hatte. Die Mezzosopranistin hat ihren persönlichen Mount Everest erreicht, setzt sich aber noch weitere Ziele im Opernfach, über die sie im KURIER-Interview spricht.
KURIER: Sie sind gerade aus Asien zurückgekehrt. Welche Eindrücke haben Sie gesammelt?
Elīna Garanča: Eine beeindruckende Menschenmenge lebt dort auf engem Raum und wird rund um die Uhr beobachtet. Jedes Land, ob Japan, Südkorea, China oder Taiwan, hat eigene Besonderheiten, und es ist beeindruckend, was sie geschaffen haben. Die Mentalität ist ganz anders als das, was man als Europäer so erlebt. Schanghai war sehr schön. Die Liebe und Zuneigung für die klassische Musik ist sehr stark, viele Künstler, die in Europa studieren, bringen ihre Erfahrungen zurück, und man erkennt auch die Qualität und weiß auch, das auszudrücken.
Sie singen demnächst in München die Amneris. Sie haben die Rolle in Verdis „Aida“ als Mount Everest Ihres Fachs bezeichnet. Wie geht es Ihnen nun damit?
Wenn einmal da oben angekommen ist, dann ist er Aufstieg vielleicht immer ein bisschen anders, aber die Aussicht ist mehr oder weniger die gleiche. Man steigt mit der Zeit mit einer größeren Sicherheit auf. Es bleibt jedoch meine Lieblingsoper von Verdi, ich singe die Partie noch immer wahnsinnig gerne. Man kennt mit der Zeit die kleinen Macken, wo man aufpassen sollte freier und sicherer wird. Es wird auch nie zur Routine, weil man immer verschiedene Partner auf der Bühne hat und auch Dirigenten, die ein anderes Tempo mitbringen. Zurzeit genieße ich, mich auf solche Dinge zu konzentrieren, ohne am nächsten Morgen um 10 Uhr schon mit dem Pianisten eine neue große Partie einstudieren zu müssen.
Sie haben von einem "möglichst graziösen und eleganten Abstieg" vom Mount Everest gesprochen. Aber einstweilen sind Sie noch oben.
Natürlich geht es nicht nach der Premiere gleich wieder hinunter. Aber es geht um die eigenen Erwartungen. Die Amneris war für mich der höchste Punkt, an dem ich sagen könnte: Jetzt kann ich aufhören, weil ich für mich als Sängerin alles erreicht habe. Ich hätte früher nie gedacht, dass ich eines Tages Wagner singen würde. Und da ich es jetzt doch mache, gibt es noch weitere Möglichkeiten, die ich aufgreifen kann und werde. Im Verdi-Fach gibt es noch die Azucena in „Il trovatore“, die mich interessieren würde. Aber das wäre die Rolle einer Mutter, für die ich mich noch nicht bereit fühle. So lange ich noch eine jugendliche Energie und Stimmkapazität habe, kann ich auch jüngere Partien singen. Ich hoffe also, die Aussicht noch fünf Jahre genießen zu können und irgendwann fängt man dann an, sich graziös wieder nach unten zu begeben.
Mit dem Rollendebüt der Venus im „Tannhäuser“ der Salzburger Osterfestspiele hat es dann leider nicht geklappt. Gibt es eine Aussicht darauf, das nachzuholen?
Nicht in naher Zukunft. Die Rolle der Kundry ist dann doch lockender und viel reicher im Ausdruck. Und die Venus hat mehr als zwei Stunden Pause, bis sie in den letzten fünf Minuten wieder singt und ich habe eine schlechte Angewohnheit: Ich bin wahnsinnig ungeduldig. (lacht) Aber: Never say never. Es hat auch keine konkreten Angebote dazu gegeben. Da ich derzeit Rollen wie Kundry oder vielleicht die Ortrud in Vorbereitung habe, oder die Judith aus „Herzog Blaubarts Burg“, geht das Interesse der Häuser vielleicht in eine andere Richtung.
Wie weit sind die Pläne für die nächste Ausgabe von „Klassik unter Sternen“ gediehen?
Elīna Garanča: Es wird eine Art Einladung zum Tanz, zum Walzer, als Hommage an Johann Strauß im Jubiläumsjahr. Wir basteln noch an dem Programm, es gibt ja in der Welt der Operette viele schöne Stücke für Mezzosopran, die zum ersten Mal in Göttweig erklingen werden. Mein Mann arbeitet bereits daran, welche Musik im Dreivierteltakt oder Polka gut zusammenpassen würde.
Welche Rolle spielen für Sie im Kalender die Konzerte "Klassik unter Sternen" und "Klassik in den Alpen"?
Also für das Publikum ist es teilweise schon ein Pilgerweg geworden, es gibt Leute, die am Tag des Konzerts schon die Tickets fürs nächste Jahr kaufen. Für uns ist es jedes Jahr eine große Challenge, welches Repertoire wir wählen. Aber dass diese Konzerte immer noch stattfinden in dieser schnelllebigen Zeit, macht uns wahnsinnig stolz. Und dass wir immer wieder aufs Neue ein neues Repertoire anbieten können, zeigt ja auch, dass wir noch nicht am Ende sind. Und solange das Publikum gerne dorthin kommt, werden wir auch weiter spielen.
Gibt es Überlegungen, ihren Nachwuchswettbewerb "ZukunftsStimmen" auszubauen?
Ja, aber inwiefern, das muss man sich noch überlegen. Ich will jedenfalls in Zukunft mehr unterrichten, um meine Erfahrungen weiterzugeben, vielleicht in einer Art Akademie oder Seminar, um Nachwuchstalente nicht nur stimmlich und musikalisch, sondern auch strategisch und psychologisch zu beraten. Gerade in unserer Branche fehlt oft die langfristige Planung, es dauert 15 bis 20 Jahre, um eine erfolgreiche Karriere aufzubauen.
Elīna Garanča singt am 2. Juli 2025 auf Stift Göttweig und am 5. Juli 2025 in Kitzbühel. Tickets sind bereits erhältlich.
"Wir werden oft gefragt: Warum wehrt ihr euch nicht gegen eine Scheißinszenierung?"
In Wien singen Sie im kommenden Frühling die Eboli in „Don Carlo“. Bei der Premiere, in der sie noch nicht gesungen haben, hat Dirigent Philippe Jordan ob der heftigen Buhrufe sogar die weiße Fahne geschwenkt. Wie beobachten sie das?
Ich habe auch nur Berichte über die Premiere gelesen, oder Whatsapps von einer Besucherin gesehen. Mit dem Team habe ich noch nicht über die Inszenierung gesprochen. Aber heutzutage ist eine Produktion, die nicht ausgebuht wird, fast schon eine Rarität. In Salzburg, Aix-en-Provence oder Paris, gab es zum Teil beim Aufgehen des Vorhanges schon die ersten Buhrufe.
Dass das Regietheater so viele Opernfans aufregt, wie gehen Sie damit um?
Elīna Garanča: Es ist für uns auf der Bühne natürlich traumatisierend, den Buh-Orkan entgegenzunehmen, obwohl man selbst nicht verantwortlich ist. Wir werden oft gefragt: Warum wehrt ihr euch nicht gegen eine Scheißinszenierung? Aber es ist ein bestimmter Prozess. Wir werden für eine Partie gebucht, ohne zu wissen, wie die Inszenierung aussehen wird. Oft sagt man sich beim ersten Konzeptionsgespräch: Oh Gott! Danach ergeben wir uns einem gewissen Stockholm-Syndrom, weil wir jeden Tag acht Stunden vom Regieteam bearbeitet werden. Und nach fünf, sechs Wochen sagst du dir, vielleicht kann man das alles wirklich so sehen und gehst mit Überzeugung auf die Bühne. Das Publikum hat diesen Prozess nicht mitbekommen. Wer ist jetzt schuld? Die Sänger, der Regisseur, die Intendanz oder das Publikum, dass das Konzept einfach nicht verstehen will? Wahnsinnig schwer.
Also haben Sie Verständnis für Buhrufe?
Ich finde durchaus, dass man auch ausdrücken soll, wenn einem etwas nicht gefällt. Man ist vielleicht manchmal zu höflich, lobt das Essen, auch wenn es versalzen ist. Wie soll das Publikum es anders ausdrücken, wenn etwas wirklich vollkommen daneben ist? Man könnte nur vielleicht mehr Rücksicht auf jene nehmen, die nicht dafür verantwortlich sind. Auf der Bühne zu stehen und Buhrufe zu hören, während man bei einer Arie sein Bestes versucht, tut weh.
Ist Philippe Jordans Reaktion ebenfalls so zu verstehen?
Ich kann es nicht beurteilen, weil ich nicht weiß, was davor war oder wie dieser Abend tatsächlich abgelaufen ist. Aber er hat es getan und wird schon einen Grund dafür gehabt haben.
Asmik Grigorian hat im KURIER gesagt, dass die musikalische Qualität dadurch abnehme, dass junge Sänger uns Sängerinnen zu früh große Rollen wie etwa die Butterfly übertragen bekommen. Hat Sie Recht?
Dass im Allgemeinen zu viele Leute, die zu wenig Erfahrung haben, auf der Opernbühne stehen, fällt schon auf. Man sieht es vielleicht nicht an diesem Abend, aber ein paar Jahre danach, dass sie sich zu schnell verbrannt haben. Zuerst werden sie als Wunderkind bewundert und dann werden sie wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen. Es gibt Partien, die nicht nur stimmliches Potenzial erfordern, sondern auch künstlerisches Können. Ein Sänger muss das, was ein Pianist an einem Tag üben kann, auf eine Woche aufteilen. Daher wird eine 25-jährige eine Butterfly nie so singen können wie eine 40-jährige, dazu braucht es auch eine gewisse Lebenserfahrung. Es sind auch die langjährigen Erfolge, die zählen. Dass man das Publikum immer wieder aufs neue Publikum begeistern und überraschen kann. Wir sind alle viel ungeduldiger geworden. So wie in Politik und Wirtschaft ist es auch im Opernbetrieb. Man will alles jetzt gleich und sofort. Und wenn es nicht passt, kommt morgen der oder die Nächste.
Heimat Lettland und Putin: "Dieses Gefühl der Angst ist nie weggegangen"
Es gab in Spanien, wo Sie einen Wohnsitz haben (Málaga, Anm.), eine Flutkatastrophe. Wie betrachten Sie das Phänomen Klimawandel?
Es ist beängstigend. Als Mutter zweier junger Kinder frage ich mich natürlich: Worauf können Sie sich noch freuen in 20 Jahren? Als die Sowjetunion zusammengefallen ist, bin ich etwa zehn Jahre alt gewesen. Wir hatten nichts zu Hause und mussten Blumen an der Hausecke verkaufen, damit wir uns Brot kaufen konnten. Auch unsere Kinder werden irgendwie lernen müssen, zurechtzukommen. Aber im Allgemeinen glaube ich, dass wir im Westen seit dem Zweiten Weltkrieg viel zu gut gelebt haben. Diese Konsumgier muss gestoppt werden. Weil wir verlernt haben, menschlich zu sein. Jeder sieht sich als Mittelpunkt der Gesellschaft, so kann es nicht weitergehen. Natürlich hat man diese Verlockungen vor Augen und es wird alles noch viel schöner gemalt, als es ist. Es muss etwa passieren, dass wir wieder auf das Wesentliche zurückkommen, und nicht an das neueste iPhone denken, sondern dass wir einfach auch unseren Nachbarn zuhören. Das haben wir alles verlernt. Meine Hoffnung ist, dass man nach großen Krisen immer wieder auf das Wesentliche kommt: Miteinander und nicht gegeneinander.
Sie haben vor zehn Jahren schon darüber gesprochen, dass vor der Küste Ihrer Heimat Lettland russische Kriegsschiffe kreuzen. Wie ist die Situation jetzt?
Dieses Gefühl der Angst ist nie weggegangen. Ich erinnere auch gern daran, was unsere Präsidentin Vaira Vīķe-Freiberga gesagt hat. Hören Sie denn Herrn Putin zu? Er hat bei seinem Amtsantritt schon gesagt, der größte Fehler war der Zusammenbruch der Sowjetunion. Das haben damals viele belächelt. Und jetzt sieht man langsam, was möglich ist. Der Krieg dauert nun schon 1.000 Tage, Trump kommt an die Macht, teilweise sind die USA eine zerfallende Demokratie. Nicht nur Lettland, ganz Europa wurde nun aufgeweckt. Was würde die Aufgabe eines Teils des Territoriums der Ukraine bedeuten, was würde er sich für die nächste Stufe erlauben? Wie abhängig sollte Europa noch von den Amerikanern sein? Soll man weiterhin hoffen, dass irgendjemand kommt und uns rettet? Es gibt also sehr viele Fragen. Auch wenn Lettland in der NATO ist, hat das Land nur knapp 2 Millionen Einwohner. Wäre Lettland der NATO gleich wichtig wie Deutschland mit 80 Millionen? Dort stellt man sich natürlich auch immer wieder existenzielle Fragen. Umso mehr seit dem Krieg gegen die Ukraine.
Zurück zur Musik. Ein weiterer Jahresregent ist heuer Puccini. Finden Sie es schade, dass er für Mezzosopran so wenig geschrieben hat?
Absolut. Dieser Tsunami, den die Puccini-Musik von sich gibt, hätte schon ein bisschen auch von der Mezzo-Basis profitiert. Verdi hat natürlich eine Dramatik, die ganz anders ist, aber die hohen Töne bei Puccinis Musik - kaum jemand hat schönere geschrieben - kommen schon am besten bei Sopran oder beim Tenor zur Geltung.
Bereits Verträge für die Ortrud
Sie haben bei unserem Interview vor zehn Jahren gesagt, Ihre Stimme ist "größer, dunkler erdiger" geworden. Wo sehen Sie Ihre Stimme jetzt?
Es ist wie bei einem Auto. Irgendwann dauert es am Morgen etwas länger, wenn man sie anstartet. Dafür hat man eine andere Tiefe dazugewonnen. Aber es hat auch natürlich mit der eigenen Persönlichkeit oder dem Temperament zu tun. Eine gewisse Jugendlichkeit habe ich immer noch auch in meiner Körpersprache und meiner Bewegung. Und solange das noch geht, kann man auch jugendlichere Partien singen. Irgendwann tun dann die Knie und der Rücken viel zu weh, um herumzuspringen und heißverliebte Mädchen zu spielen. Und dann kommen die Omas, Ammen und Mutterrollen, das wird noch kommen. Es ist eine gewisse Reife und Stabilität da, die ich auch durch meine Coaches gewonnen habe. Ich merke, dass die Stimme ein bisschen länger für die Regeneration braucht, das liegt natürlich auch an dem schwierigeren Repertoire. Man sagt immer: Zwei Tage Ruhe, ein Tag für den Kopf und die Emotionen, den zweiten Tag für den Körper. Jetzt verstehe ich auch, dass das tatsächlich so ist.
Was wären noch Ziele im Opernfach?
Die Ortrud im "Lohengrin" reizt mich. Viele haben gesagt, ich würde meine Stimme damit kaputt singen und ich will denen beweisen, dass sie sich irren. Ich habe schon fixe Verträge dafür. Ich spiele auch mit der Idee, die Lady Macbeth zu singen, das haben schon mehrere Kolleginnen aus dem Mezzosopranfach gesungen. So einen Charakter zu spielen, würde mich natürlich sehr freuen. Mir würde gesagt, die Küsterin in "Jenůfa" würde mir sehr gut passen. Oder auch eine Medea, die zwar für Sopran geschrieben ist, aber die man heruntertransponieren könnte. Das wäre auch nichts Schlimmes. Mich interessiert jetzt weniger die stimmliche Herausforderung, sondern tatsächlich die psychologische Herausforderung. Obwohl eine Partie wie Lady Macbeth hat natürlich einen Riesenumfang. Aber statt nur Sport zu machen, will man sich auch intellektuell beschäftigen.
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