Elīna Garanča fragt sich: „Warum basteln wir an der Vergangenheit?“
Von: Susanne Zobl
Die Mezzosopranistin Elīna Garanča auf Kurzbesuch in Wien nach ihrem Triumph an der Mailänder Scala. Ein Gespräch über ihren Fixpunkt im Sommer, ihre Konzerte in Göttweig und Kitzbühel, über ihre Rollendebüts, über Regie und Genderfluidität.
KURIER: Frau Garanča, wie haben Sie die Eröffnung an der Scala erlebt? Es wurde von Protesten gegen die rechte Regierung berichtet. Auch eine Überlebende der Shoah war im Publikum.
Elīna Garanča: Ich habe von all dem nichts mitbekommen. Ich sah nur, dass das Haus abgeschirmt war, denn es gab einen roten Teppich, auch Hollywoodstars waren da, und wir waren mit der Live-Übertragung beschäftigt. Ich habe an dem Haus schon ein paar Mal die Carmen gesungen, aber für mich war es die erste Saisoneröffnung.
Die geriet zum Triumph. Stimmt es, dass Sie bereits Ihr nächstes Rollendebüt vorbereiten? Die Judith in „Blaubarts Burg“ von Béla Bartók am Teatro San Carlo in Neapel?
Ich bin seit mehreren Monaten damit beschäftigt, Ungarisch zu lernen. Das ist wie ein neuer Everest für mich. Jedes System, das ich bei allen anderen Sprachen angewendet habe, funktioniert hier nicht. Es ist mühsam, aber ich mag Herausforderungen. Aber sängerisch ist die Judith nicht das Schwierigste – verglichen mit allem, was ich gesungen habe von Santuzza, Kundry, Amneris und natürlich dem Octavian im „Rosenkavalier“.
Das klingt so, als würden Sie nach weiteren Herausforderungen suchen. Was planen Sie?
Die Ortrud, von der alle sagen, ich werde meinen Hals dabei brechen. Aber ich will beweisen, dass sie sich irren.
Darf man an der Wiener Staatsoper mit diesem Debüt in Richard Wagners „Lohengrin“ rechnen?
Noch gibt es kein Haus dafür. Auch die Azucena (in Verdis „Troubadour“, Anm.) würde mich reizen. Viele wollen mich jetzt zur Lady Macbeth drängen. Aber ich fühle mich noch nicht bereit dafür, vielleicht in ein paar Jahren. Ich habe mein Repertoire auf die Mezzo-Partien aufgebaut. Die Partien, die ich jetzt singe, wie die Eboli, die Amneris und die Kundry, sind alle das Gold der Mezzosopranstimme und die will ich jetzt auch weiter genießen.
Der „Don Carlo“ in Mailand war in einer ziemlich klassischen Inszenierung zu sehen ...
Ich würde mal sagen, eine typische 60er-, 70er-Jahre-Aufführung.
Manche Ihrer Kollegen behaupten, ein Großteil des Publikums würde solche Inszenierungen gegenüber modernen vorziehen.
Wenn es nur um den Gesang geht, sind die klassischen Inszenierungen natürlich für Sänger am einfachsten. Man kann gewisse Dinge sogar am Telefon klären. Bei modernen Inszenierungen ist es manchmal so wie beim Stockholm-Syndrom. Ich sage das mit einer gewissen Ironie. In der ersten Zeit fragt man sich, was wird denn das wieder? Irgendwie beginnt man irgendwann selber zu glauben, dass das schon in Ordnung ist. Und nach der vierten Woche „Brainwashing“ verteidigt man die Idee des Regisseurs, denn man hat ja einen Vertrag unterschrieben und muss singen. Am Ende wird man mit der Reaktion der Kritiker und des Publikums konfrontiert. Aber ich hatte das Glück, dass ich noch aus keiner Produktion wegen der Regie aussteigen musste. Auch wenn ich manchmal Auseinandersetzungen mit dem Regisseur hatte, konnte ich immer einen Faden für mich finden. Aber ich weiß, ich bin nicht verantwortlich für diese Inszenierung, ich versuche, das Beste aus einer Produktion herauszuholen.
Und Serebrennikows „Parsifal“ in Wien? Er verlegt die Gralsburg in Richard Wagners Bühneweihspiel in ein Gefängnis. Kundry ist eine Reporterin, Klingsors Zauberburg ist die Redaktion.
Mir gefällt diese Produktion. Ganz egoistisch gesagt, muss ich auch hinzufügen, dass diese Inszenierung teilweise auf mich zugeschnitten ist. Aber man muss auch sagen, dass der zweite Aufzug so geschrieben ist, dass er überall spielen könnte. Für viele ist das vielleicht ein Schock, aber für mich als Kundry ist es unglaublich spannend.
Markus Hinterhäuser, der Intendant der Salzburger Festspiele, meint im Buch „Die letzten Tage der Oper“, dass man heute den Umgang eines Werks wie „Carmen“ neu überdenken müsse. Wegen des Frauenbilds, einer Zigeunerin, des Stierkampfs und auch einer Zigarettenfabrik. Das ginge heute nicht mehr. Auch Kinderbücher werden umgeschrieben.
Da frage ich mich, warum basteln wir an der Vergangenheit? Lasst das doch sein, was geschrieben worden ist! Schreibt heute etwas Geniales! Warum denkt man nur an sich, warum denkt man nur an heute? Es weiß doch bald keiner mehr, was er sagen darf und was nicht, ohne irgendwie bewertet zu werden. Und was ist mit all dieser Genderfluidität?
Was ist damit?
Meine älteste Tochter ist zwölf und lernt das alles in der Schule. Wir sprechen ganz offen über solche Dinge. Es gibt X- und Y-Chromosomen, die dafür sorgen, dass sich die Arten erhalten. Das ist auch bei uns Menschen so. Warum sollen wir das verstecken? Warum wollen wir uns besser darstellen, als wir sind? Ich frage mich vielmehr, warum es plötzlich so viel wichtiger geworden ist, welches Geschlecht ein Mensch hat, als was er als Person in die Gesellschaft einbringt? Was der Mensch dann bei sich so fühlt, ist etwas anderes. Ich meine damit, man sollte nicht einfach einen Kontakt mit einem Menschen darauf aufbauen, ob diese Person ein Er, eine Sie oder They ist. Das versuche ich auch meinen Kindern zu vermitteln.
Seit 15 Jahren ist „Klassik unter Sternen“ im Stift Göttweig für Tausende ein Fixpunkt im Sommer. Haben Sie Bedenken, dass sich die nicht nur wirtschaftlich immer schwieriger werdenden Zeiten auf die Auslastung auswirken können?
Letztes Jahr war alles voll. Die Konzerte sind immer sehr gut gelaufen. Musik war immer Auszeit, ein Entkommen vom Alltag. Schon die Orte per se, Kitzbühel und Göttweig, das auch ein spiritueller Ort ist, tragen dazu bei.
Dieses Jahr stehen zwei Jubiläen im Zentrum, Giacomo Puccinis 100. Todestag und Maria Callas, die vor 100 Jahren geboren wurde …
Nachdem Puccini auch in Callas’ Leben eine Rolle gespielt hat, werden wir uns von diesen Idolen inspirieren lassen. Ich werde zum ersten Mal bei diesen Konzerten die Arie der Sapho „O ma myre immortelle“ singen.
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