"Elegie" im Theater an der Wien: Kunst, die keine Gnade kennt

Martin Winkler als "Dr. Wilhelm Reischmann"
Kritik. Hans Werner Henzes Rarität "Elegie für junge Liebende".

"Theater müssen auch auf ihre Auslastungszahlen schauen." Mit diesen Worten beantwortete Regisseur Keith Warner im KURIER-Interview die Frage, warum Hans Werner Henzes "Elegie für junge Liebende" nur selten auf den Spielplänen zu finden ist. Und Warner meinte auch: "Umso dankbarer sollte man dem Theater an der Wien sein, das solche Produktionen möglich macht."

Exemplarisch

Warum diese Vorbemerkung? Ganz einfach: Henzes 1961 uraufgeführtes, auf einem Libretto von W. H. Auden und Chester Kallman basierendes Künstlerdrama ist zwar ein Meisterwerk. Aber eines, auf das man sich einlassen muss, dass quasi "erobert" werden will. Daher kann man dem Theater an der Wien für die Neuproduktion dieser "Elegie" nur dankbar sein. Denn musikalisch wie auch szenisch so exemplarisch ist diese Opernrarität wohl kaum zu erleben.

Worum geht es überhaupt? Wir schreiben das Jahr 1910. In einem Berghotel nahe des Hammerhorns residiert der alterende Dichter Gregor Mittenhofer (herrlich selbstgefällig und gut: Johan Reuter) mit seiner Entourage. Die ihm verfallene Gräfin Lina (ein Ereignis: Angelika Kirchschlager) kümmert sich um seine Finanzen, der Arzt Reischmann (stark: Martin Winkler) um seine Gesundheit, die junge Elisabeth (tadellos-kokett: Anna Lucia Richter) erfüllt Mittenhofers sexuellen Bedürfnisse. Und Hilda Mack (überragend: Laura Aikin), die seit dem Unfalltod ihres Mannes vor 40 Jahren auf dessen Rückkehr aus den Bergen wartet, fungiert in ihrem Irrsinn als des Dichters Muse.

Existenziell

Doch als die Leiche von Hildas Mann gefunden wird, diese in die Normalität zurückfindet und sich zudem Elisabeth in den jungen Arzt-Sohn Toni (Paul Schweinester) verliebt, bahnt sich eine Katastrophe an. Denn für seine Kunst geht der Dichter über Leichen. Denn auch eine postume Elegie kann das Publikum wohl begeistern . . .

Auden und Kallman haben aus diesem Stoff ein starkes Psychodrama zwischen Wahnsinn und Realität geformt. Henze hat dazu eine kammermusikalische, oft filigrane, zwischen seriellen Klängen und bewussten historischen Zitaten changierende Musik komponiert. Intervallsprünge inklusive. Eine Herausforderung, der die Wiener Symphoniker unter der kundigen, subtilen Leitung von Marc Albrecht mehr als gewachsen sind, um ein packendes und auch verstörendes Drama zu kreieren.

Eisig

Dazu haben Regisseur Keith Warner und seine kongeniale Ausstatterin Es Devlin (Kostüme: Tom Rand) ein stilisiertes, eisiges Bergpanorama (Bergführer: Martin Berger) geschaffen, das sich in ständiger Bewegung befindet. Eine überdimensionierte Lampe, eine notfalls auch als Garten dienende Schreibmaschine, Buchwälzer und das Gehirn des Dichters – fertig ist der albtraumhafte Musiktheatertraum.

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