Aus deutscher Sicht handelt es sich tatsächlich um den Vorabend. Denn am 1. August erklärte man Russland den Krieg. Aus österreichischer Sicht hingegen hatten die „Letzten Tage der Menschheit“ bereits begonnen – mit der Kriegserklärung an Serbien am 28. Juli. Das mag nur eine Nebensächlichkeit sein. Aber auch in der Dramatisierung von „Die Inkommensurablen“, die am Donnerstag im Volkstheater ihre zweistündige Uraufführung erlebte, dominiert die deutsche Sicht auf Wien und das ausklingende Fin de Siècle.
Mit ungeheurem Aufwand
Man hat sich schon beim Lesen gewundert, dass Hans als Tiroler am Südbahnhof angekommen sein soll. In der Umsetzung von Nils Voges, dem Bruder des Volkstheaterdirektors, und dessen Kollektiv „sputnic“ vernimmt man ein lautes „Nächster Halt: Südbahnhof“ – als sei dieser nicht Endstation gewesen. Später taucht Hans mit seiner heterogenen Freundesrunde in die Kanalisation ab, um das „queere Wien“ kennenzulernen. Man hört in Dolby Surround, wie ein Kanaldeckel beiseitegeschoben wird. Wiewohl die dreieckigen Abdeckungen aufgeklappt werden müssen, wie man spätestens seit dem „Dritten Mann“ weiß.
Aber das Wien, das Nils Voges mit viel Aufwand bestenfalls skizziert, ist ohnedies kein reales: Hans erzählt der Psychoanalytikerin seine „Traumnovelle“ in Trance. In dieser wird auch Jazz gespielt und zu Techno-Beats (von Fiete Wachholtz) getanzt. Da vermischen sich Vergangenheit und Gegenwart.
Die Mittel, die Voges einsetzt, kennt man aus dem Objekttheater und dem Schattenspiel, allerdings technisch perfektioniert. Die Akteure – Gerti Drassl und Anna Rieser, Hardy Emilian Jürgens und Fabian Reichenbach – bedienen in Overalls, während sie sprechen, hochgerüstete Overhead-Projektoren. Unentwegt legen sie Folien mit Zeichnungen von Karl Uhlenbrock auf. Und auf der Cinemascope-Leinwand dahinter entsteht eine sich andauernd verändernde „Graphic Novel“. Mitunter erinnert das synchron Gebotene an einen Trickfilm, weil sich z. B. Münder auf oder zu bewegen.
Der stark verkürzte Plot unterhält, Nils Voges betont Absurdes und hat Witz. Denn der Graf fordert den Knecht auf, sich bei ihm daheim wie zu Hause zu fühlenn und Hans kontert trocken, dass dies schwierig sei. Die Österreicherinnen dürfen zudem schrill das Bassena-Wienerisch karikieren. Mitunter überträgt sich das Gezeichnete auch auf die Bühne, etwa wenn es zu einer Schlägerei kommt. Später tasten sich die Freunde unterhaltsam durch die Kanalisation und zwängen sich dabei aufdringlich durch das Publikum.
Dann wird Heroin konsumiert, der Trip mit einem Video in grellen Farben – Jürgens irrt als Hans durch das Volkstheater – illustriert. Der Katzenjammer folgt sogleich: Der Held zieht in den Krieg. Freiwillig? Oder war da Suggestion im Spiel?
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