Eine Tangotänzerin namens Irmgard war seine erste Liebe

Lydia Mischkulnig, geboren 1963 in Klagenfurt, lebt und arbeitet in Wien.
Die Klagenfurter Schrifstellerin und ihr finsterer Roman über Tango im Altersheim.

Eine sehr, sehr seltsame Liebesgeschichte ist das. Wenn überhaupt.

Lydia Mischkulnigs sprachgewaltiger Roman "Vom Gebrauch der Wünsche" handelt von menschlichen Abgründen. Dazwischen liegt vielleicht auch so etwas wie Liebe.

Leon, Sohn einer alleinerziehenden Mutter, wächst in einem ungewöhnlichen Altersheim auf. In einer alten Sieveringer Villa erwarten begüterte Exzentriker unter Stuckdecken und zwischen Brokat-Tapeten den Abschied vom Leben. Das Anwesen inmitten eines Gartens voller jahrhundertealter Mammutbäume gehört Leons Tante, die hier eine Seniorenresidenz betreibt, um das Haus erhalten zu können. Leons Mutter verdingt sich in der "Residenz Aurelia" als Hausdame.

Zu den Gästen dieser Fellini-esken Szenerie gehört eine stark geschminkte alte Dame namens "Tosca", oder auch "die Gräfin", die sich für eine Opernsängerin hält und an einer Verdi-Monografie arbeitet. Daneben gilt ihre Aufmerksamkeit dem "Dottore Giovanni". Es wird sich herausstellen, dass der Dottore weder Giovanni heißt noch der Gräfin gegenüber besonderes Interesse hat. Tosca und ihr missglücktes Leben sind ihm nur einen Flirt wert. "Gemütsfresser" nennt sie ihn, und später "Nazi", wie alle Männer, die sie ablehnen. Tosca ist zwar dement, hat aber nicht unrecht: Giovanni heißt in Wahrheit Heinrich Zechelmann und hat eine braune Vergangenheit. Doch was für Leons gierige Verwandtschaft zählt, ist einzig das dicke Konto des Alten: Und weil er sich nichts sehnlicher wünscht als eine Enkelin, steckt man den Buben Leon in einen Faltenrock und schenkt ihn, ein Erbe erhoffend, dem perversen Dottore als "Spielgefährten".

Kinderseele

Was konkret der Knirps in seiner Rolle als Mädchen zu tun hat, erfährt man nicht. Seine Kinderseele, die weder Vater noch Großvater kennt, wertet das Zusammensein mit dem Alten als Zuneigung. Der hat indessen noch eine weitere "Spielgefährtin", die Tangotänzerin Irmgard, die den Knaben Leon so beeindruckt, dass er sein Leben lang an sie denken wird.

Wie zu erwarten, wächst Leon zu einem Mann mit emotionalen Defiziten heran. Er hat den Alten später tatsächlich vermisst. Und erst die Tänzerin ... Leons Ehe wird scheitern, er wird einen hohen Verschleiß an Freundinnen haben. Die geheimnisvolle Irmgard wird ihm noch mehrmals begegnen.

Kann man da von einer Liebesgeschichte sprechen?

Es ist eine finstere, groteske Story, die Lydia Mischkulnig hier erzählt. Sie handelt von verborgen dahinbrodelnden Sehnsüchten.

Die Sprache der 50-jährigen Klagenfurterin ist reichhaltig, dicht und genau. "Vom Gebrauch der Wünsche" ist ein nicht leicht zugängliches, aber ganz besonderes Leseerlebnis.

KURIER-Wertung:

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