Eine Mauer rund um Großbritannien

Eine Mauer rund um Großbritannien
Schriftsteller John Lanchester hofft, dass es nie zu „seiner“ Zukunft kommen wird. Aber er glaubt, wir sind auf dem Weg.

Der Stuttgarter Verlag Klett-Cotta hat das übersetzte Buch früher als geplant in den Handel gebracht. Die aktuelle Aufregung um den Brexit soll unbezahlbare Werbung sein. Aber es gibt  viele, an die man beim Lesen denkt. An Trump, Orban, Salvini und und und.
„Es ist kalt auf der Mauer“, heißt der erste Satz. Ein neuer „Verteidiger“ wird erwartet. Man könnte  meinen, bei den alten Römern zu sein. Aber diese Mauer ist kalt in Großbritannien, und zwar in naher Zukunft.

Zwei Jahre Dienst

John Lanchester (Foto), der den Roman „Die Mauer“ geschrieben hat, sagt:
„Meine größte Hoffnung ist, dass ich mich irre.“
Er wollte den Weg zeigen, auf dem wir jetzt unterwegs sind.
Die Mauer verschließt Großbritannien. Sie ist 10.000 km lang – die Insel hat viel Küste. Strände hat sie nicht mehr. Strände kann man sich in alten TV-Filmen anschauen. Zum Meer hin ist sie fünf Meter hoch. Alle 200 Meter steht ein Wachposten. Immer sind rund 300.000 junge Britinnen und Briten im Einsatz – falls „die Anderen“ kommen. Die Dienstverpflichtung  dauert zwei Jahre. Die Jungen sind sauer auf die Alten, weil die es ihnen eingebrockt haben. Ein Aufbegehren gibt es  nicht.
Dem Einsatz als „Verteidiger“  kann entgehen, wer „Fortpflanzer“ wird. Großbritannien braucht  Nachwuchs. Aber wenige wollen Kinder in diese Welt setzen.
John Lanchester hat schon bessere Bücher geschrieben (den Roman zur Finanzkrise „Kapital“, 2013). An Literatur erinnert vor allem der Anfang, wenn Joseph Kavanagh seinen Dienst antritt und die Mauer wie Kafkas Schloss erscheint. (Joseph Kavanagh = Josef K.?)
Lanchester ließ zu viele Leerstellen. Über das Landesinnere erfährt man nur, dass meistens Steckrüben und Kohl und Rettich gegessen werden (müssen).
Jeder Brite hat einen Chip eingepflanzt, damit die Regierung weiß,  dass er legal im Land ist. Solche Computertechnik passt allerdings schlecht zur Bewaffnung der „Verteidiger“: Sie tragen Bajonette.
Die Lektüre reicht aber immerhin, um durchzuspielen, wie man unsere Welt gegen die Betonwand fahren kann. Lanchester, der als einer der führenden Intellektuellen seines Landes gilt, sagt:
„Wenn man nichts gegen den Klimawechsel tut, darf man sich nicht wundern, dass Teile der Erde versinken bzw. unbewohnbar werden und Menschen flüchten.“
Diese Menschen sind dann plötzlich „Barbaren“?
Schaffen sie es über die Mauer, werden sie  bestimmt nachher trotzdem erwischt – und dürfen wählen, ob sie eingeschläfert werden möchten oder „Dienstlinge“.
Sklaven also.

Wüste Österreich

Und die Wachposten, die versagt haben, werden aufs Meer verbannt und damit selbst zu „den Anderen“. So geschieht es Joseph Kavanagh und seiner befreundeten Kollegin auf der Mauer.
Die Mauer: Als grausame Trennlinie wird sie beschrieben. Als Monster, als Narbe in der Welt.
Wenn man stark ist, so der Autor, könne man sich im Internet die Welt ansehen, wenn es um vier Grad wärmer wird. Auch Österreich wird dann zur Wüste. „Die Anderen" sind wir.

 

John
Lanchester:
„Die Mauer
Übersetzt von
Dorothee Merkel.
Klett-Cotta.
348 Seiten.
24,70 Euro.

KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

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