Das Motto des Gastlandes Österreich lautet schließlich „mea ois wia mia“. Und als Gastgeschenk brachte Van der Bellen „ein Packerl“ mit hervorragenden Autorinnen und Autoren mit: Unter anderem wohnten Arno Geiger und Robert Seethaler, eifrig Autogramme gebend, der Eröffnung bei. Diese geriet insgesamt (nicht nur wegen dem Bundespräsidenten, der bloß „Grußworte“ sprechen sollte) viel zu lang. Aber das Gewandhausorchester brachte ja auch – wohl als Reverenz an das Gastland – die 6. Sinfonie von Franz Schubert zu Gehör. Nebenbei wachelte es mit der rechten Hand des 95-jährigen Herbert Blomstedt, der liebevoll zu seiner Dirigiersitzbank geleitet wurde.
Die Verweise auf den Krieg, dessen Ende nicht in Sicht sei, und die Frage, was er mit uns allen mache, waren natürlich wohlbegründet: Maria Stepanova erhielt für ihren Gedichtband „Mädchen ohne Kleider“, in der sie unter anderem die „Kolonialisierung des weiblichen Körpers als unendliche Geschichte männlicher Raubzüge“ anprangert, den Leipziger Buchpreis zur europäischen Verständigung 2023 überreicht.
Die in Moskauer Autorin lebt seit Ausbruch des Krieges im Berliner Exil. Und sie beeindruckte mit ihrer auf Englisch runtergeratschten, aber auf Deutsch ausgehändigten Dankesrede, in der sie über die Sprache befand: „Ich bin durch meine Geburt und meine Staatsangehörigkeit mit einem Land verbunden, das jetzt versucht, Europa zurück in die Vergangenheit zu werfen - zurück zu einem Punkt Mitte des 20. Jahrhunderts, an dem die Sprache des Hasses versucht hatte, universell zu werden.“ Und: „Die Sprache, die der russische Staat spricht“, sei „die dumpfe Sprache der ständigen Gewalt, die versucht, jede Möglichkeit einer Zukunft auszulöschen“.
Es war also nicht so einfach, den Auftakt der Leipziger Buchmesse zu feiern, die nach drei Jahren der Pandemie wiederauferstanden ist. Aber es gelang dann doch. Und zumindest Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien, fand überschwängliche Worte des Lobes für Katja Gasser, die Power-Kuratorin des Gastlandauftritts, und die österreichische Literaturszene.
Lob für das in der Tat umfangreiche Programm gab es auch zuvor, bei der ausufernden Pressekonferenz der Buchmesse. Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer, die den Auftritt bereits vor vielen Jahren, damals als Leiterin der Kunstsektion, initiiert hatte, stellte für das „Schaulaufen“ ja auch ein recht üppiges Budget in der Höhe von bis zu 2,2 Millionen Euro zur Verfügung. Zum Vergleich: Das deutsche Kulturministerium sponsert die aufgrund der Pandemie ins Straucheln geratene Buchmesse heuer mit gerade einmal drei Millionen Euro. Und nur heuer.
Man verhehlte nicht, dass sich auch eine Buchmesse rechnen muss. Aber man blickt vorsichtig optimistisch auf die nächsten Tage. Denn immerhin registriert man heuer 2.082 Aussteller aus insgesamt 40 Ländern – und kommt damit auf 82 Prozent der Zahl von 2019. Bezüglich der Besucherzahl liegt die „konservative Einschätzung“ bei nur 130.000 – gegenüber 286.000 vor Corona. Dies bedeutet, dass auch weniger Menschen am Österreich-Stand vorbeischauen werden. Katja Gasser und der Hauptverband des Österreichischen Buchhandels haben jedoch ein ehrgeiziges Ziel: Den Marktanteil heimischer Verlage in Deutschland – derzeit bloß zwei Prozent – deutlich zu heben.
Katja Gasser geht es aber um noch mehr: „Der grundemanzipatorische Geist markiert das Herzstück unseres Gastlandauftrittes“, sagte sie, Peter Handke zitierend. „Er sorgt dafür, dass wir verunsichert bleiben. Er sorgt dafür, dass wir erschütterbar bleiben.“
Josef Haslinger trug das Seine dazu bei – mit einer Rede zur Eröffnung der Schau „Jetzt & Alles“ der Österreichischen Nationalbibliothek: Der Niederösterreicher nahm kritisch Stellung zum Arbeitsübereinkommen, das jüngst Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) mit der FPÖ einging. Und er ging ausführlich auf Österreichs Asylpolitik ein: „Wie kann es sein, dass Menschen, die zu uns flüchten und bei uns ihren Lebensunterhalt verdienen wollen, wie Feinde behandelt werden, die man selbst an den EU-Binnengrenzen mit militärischen Mitteln abhalten und, falls sie durchkommen, möglichst schnell wieder aus dem Land hinausekeln muss, während gleichzeitig händeringend Arbeitskräfte gesucht werden? Warum verstehen wir es nicht, den Zukunftswillen der Flüchtenden, die dafür viel in Kauf nehmen und oft ihr Leben riskieren, für unsere Gesellschaft zu nutzen?“
Haslinger nahm zudem – hier schließt sich irgendwie der Kreis – Bezug auf den Ukraine-Krieg und die darüber entstandenen Debatten: „Die Auseinandersetzungen verschärfen sich. Auf dem Schlachtfeld und im öffentlichen Gespräch. Wer für Waffenstillstandsverhandlungen eintritt, steht im Verdacht, dem Aggressor helfen zu wollen und ist überdies mit dem moralischen Makel behaftet, das Opfer der Aggression im Stich zu lassen. Meines Erachtens nach besteht das höchste moralische Gebot immer noch darin, Menschenleben zu retten.“
"Können Sie Deutsch?"
Auch Doron Rabinovici verlor kritische Worte - am Donnerstag zu Mittag anlässlich der Eröffnung des Österreich-Standes. Der österreichische Historiker und Autor erinnerte sich eingangs an die ihm vor rund 30 Jahren gestellte Frage eines oberösterreichischen Kommunalpolitikers, in dessen Gemeinde er für eine Gedenkrede eingeladen war: „Können Sie eh Deutsch?“ - „An diesen Satz muss ich denken, wenn ich das Motto 'mea ois wia mia' höre, unter dem Österreich als Gastland auf der Leipziger Buchmesse 2023 steht. Es ist die Vielfalt an Stimmen und Sprachen, die hier erhört sein will.“
Rabinovici zeigte sich entsetzt über die Koalition in Niederösterreich, ging aber auch hart mit der österreichischen Medienpolitik ins Gericht: "Boulevard und Hetzmagazine werden gefördert und die 'Wiener Zeitung', das älteste noch erscheinende Tagesblatt der Welt, wird unterdessen eingestellt."
Er erinnerte zudem an die Ängste um Identitätsverlust, als Österreich 1994 über den Beitritt zur Europäischen Union abstimmte und plakatiert „Erdäpfelsalat bleibt Erdäpfelsalat“ wurde: „Immerhin ein Versprechen, das von der Politik nicht gebrochen wurde... Manchmal, wenn ich einige der Entwicklungen im Land beobachte, denke ich indes, die eigentliche Gefahr könnte nicht so sehr in der Europäisierung Österreichs, sondern eher in der Austrofizierung Europas liegen.“
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