Dieses „mia“ als Ausdruck der Abschottung und Provinzialität hatte Gerhard Rühm 1992 in einem Lautgedicht thematisiert: „mia san mia / seids ia ia / ia seids ia / und ned mia ...“ Es endet ironisch mit „mia bleibm mia / owa wia“. Und Ernst Jandl fiel zu jener Zeit eine Stanze mit dem Titel „nationalliteratur“ ein: „jo seizn es kane daitschn? / no oeso des samma wiaggli ned / owa eia dichterschbrooch is do daitsch / es heazzas jo – oder ned?“
Bernhard Fetz, Direktor des Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB), wählte dieses Bonmot als Ausgangspunkt für die Ausstellung, die er zusammen mit Kerstin Putz als Ergänzung zum Gastland-Programm konzipierte. Für die „Daitschn“ gibt es die Jandeleien und alle anderen in der „Hörbox“ vorgestellten Gedichte in Mundart (von Christine Nöstlinger u. a.) zum Mitlesen ins Hochdeutsche übersetzt. Lässt sich also das Nationale an der österreichischen Literatur an der Dialektkunstsprache festmachen?
Die Schau mit dem marktschreierischen Titel „Jetzt & Alles“ (er wird mit etlichen Zitaten von Autorinnen und Autoren legitimiert) gibt darauf keine Antworten: Sie widmet sich der „Österreichischen Literatur – Die letzten 50 Jahre“. Aber auch das klingt eher hochtrabend. Denn die Ausstellung greift nur ein paar sehr spezielle Aspekte heraus: Im Mittelpunkt steht das auratische „Zeugs“ – und die Frage, wie die technischen Hilfsmittel (vom Bleistift des Peter Handke über die Hermes Baby der Friederike Mayröcker bis zur zuckenden Kugelkopfmaschine des Josef Winkler) Einfluss auf die Textproduktion nehmen.
Dieser durchaus reizvolle Zugang ist dem Ort geschuldet: Das Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek beschäftigt sich eben nicht mit der Literatur an sich, sondern mit der Materialität und Medialität, der Entwicklung „von der Keilschrift zum Binärcode“.
Der doch recht beschränkte Raum ließ ein Ausufern nicht zu. Putz und Fetz nehmen daher das Jahr 1973 als Zäsur: Damals wurde die Grazer Autorenversammlung gegründet, Peter Handke erhielt den Büchner-Preis – und Ingeborg Bachmann starb qualvoll. Sie taucht daher in der Ausstellung nicht auf, obwohl sie sich, wie die Retrospektive im Literaturmuseum der ÖNB darlegt, „allen“ Themen widmete, die auch „jetzt“ dominant sind. Zudem fehlen viele maßgebliche Autoren – etwa jene des Forums Stadtpark in Graz rund um Alfred Kolleritsch. Es fehlt auch Werner Schwab, vom dem es an sich viel haptisches Material gibt.
Mit Mut zur Lücke lässt sich das nicht entschuldigen: Fetz und Putz gewichten neu, sie integrieren die Gugginger Künstler August Walla und Ernst Herbeck, legen das Augenmerk (mit Ruth Klüger und Erich Fried, aber nicht mit Frederic Morton) auf NS-Zeit, Flucht und Vergangenheitsbewältigung. Die vom Kulturstaatssekretariat mit 130.000 Euro finanzierte Schau greift eben auf die Bestände der ÖNB zurück.
Zu sehen gibt es – geordnet nach Kapiteln wie „Wortmaschinen“, „Sprachmusik“ und „Zetteluniversum“ – ein wahres Kunterbunt mit gelben Farbtupfern: der Bauplan für „Die Hauptstadt“ von Robert Menasse; Handkes Wanderschuhe; Gert Jonkes wilde Kritzeleien, Collagen und Polaroids von Marlene Streeruwitz; Dinge von Josef Haslinger, die 2004 im Safe den Tsunami überlebten; Kluppen von Friederike Mayröcker, mit denen sie ihre Zettel fixierte etc.
Der uralte Apple jedoch gehörte nicht Elfriede Jelinek, auch wenn die Schau die Interpretation nahelegt. So manches Original hingegen ist erstmals zu sehen, etwa die Karikatur „Madame Idiotina“ von Thomas Bernhard.
Und großartig ist der Auftritt von Jandl 1965 in der Royal Albert Hall: Er zerstückelt genüsslich das Wort Napoleon. Das passt perfekt in die bis 7. Jänner 2024 laufende Ausstellung. Denn in unmittelbarer Nähe zum Buch- und Schriftmuseum wurde das gigantische Völkerschlachtdenkmal errichtet. Es erinnert an die Niederlage, die 1813 Napoleon zugefügt wurde – in der bis dahin größten Schlacht der Welt. Österreich war damals überraschenderweise auf der Seite der Sieger.
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