Labor für die Musik: ORF musikprotokoll widmet sich "nomadic sounds"

Labor für die Musik: ORF musikprotokoll widmet sich "nomadic sounds"
Von 7. – 10. Oktober 2021 findet in Graz das 54. „musikprotokoll“ statt, das alljährliche Avantgardeprojekt des ORF im „steirischen herbst“.

Was die Ars Electronica in Linz für die Computerkunst ist, ist das ORF musikprotokoll in Graz für die Neue Musik: Ein avantgardistisches Laboratorium, das die Grenzen des Erlebens von Musik auslotet und erweitert.

In seiner 54. Ausgabe im Rahmen des Kunstfestivals "steirischer herbst" hat man sich dem Motto „nomadic sounds“ verschrieben. Das Festival versteht sich als „Bühne und Labor einer neuen Generation von Musikern und Musikerinnen und Komponisten und Komponistinnen, deren Arbeit sich im Verständnis von offenen Genregrenzen trifft und daraus ihre ästhetischen Strategien bezieht. In mehr als dreißig Ur- und österreichischen Erstaufführungen begeben sich die Interpreten und Interpretinnen auf die nomadische Suche nach einem Dazwischen.“

3-D-Klanglandschaften

Aus Klangfragmenten des Grazer Stadtraums entstehen 3-D-Klanglandschaften. Ein Ensemble spielt mit animierten Partituren, die in Echtzeit entstehen. Ein junges Streichquartett reist mit den Zuschauern durch musikalisch (re-)konstruierte Räume aus Aserbaidschan, dem Libanon und der Ukraine. Ein Aquarium wird zum Instrument und zur Unterwasserbühne (Loïc Destremau, dissonArt Ensemble, Konzert 9.10.). Mit Drone-Music und mikrotonalen Kompositionen werden musikalische Zwischenräume erforscht.

Radiohead, Steve Reich, Terry Riley, Goldfrapp, Vivienne Westwood – das London Contemporary Orchestra hat bereits mit einigen klingenden Namen genreübergreifend gearbeitet. Nun kommen sie nach Graz mit einem Programm zwischen Elektronik und Akustik (Konzert am 9.10., Konzerthalle MUMUTH).

Zu den heimischen Größen der Neuen Musik zählt Georg Friedrich Haas, der bereits 1988 ein mikrotonales Festivalprogramm für das musikprotokoll kuratiert hat. Heute kommen Komponierende am Thema Mikrotonalität nicht herum. Haas bringt Komponisten und Komponistinnen aus seinem Umfeld an der Columbia University, wo er unterrichtet, mit. Und zudem ein neues mikrotonales Werk, in Auftrag gegeben vom musikprotokoll (Konzert des Ensemble for New Music Tallinn am 8.10. MUMUTH).

 

Auf dem Rollbrett

Musiker und Musikerinnen des SHAPE-Netzwerkes (Sound, Heterogeneous Art and Performance in Europe) loten die Grenzen des räumlichen Komponierens im Grazer Dom im Berg aus.

Um eine spezielle Raumerfahrung geht es auch bei der Installation "tingles & click" im MUMUTH – jeder Besucher und jede Besucherin kann auf einem Rollbrett liegen wie ein Automechaniker. Die Bewegungen werden getrackt und die interaktiven Kompositionen reagieren auf diese Bewegungen, als "singuläres Ein-Personen-Musikerlebnis". (7.-9.10., MUMUTH)

Der Georgier Koka Nikoladze wird in mehreren Rollen in Graz präsent sein. So stellt er sein neues Kompositionsprinzip "real-time composing" vor: Via in Echtzeit generierter Projektionen "steuert" er die Klänge des Black Page Orchestra, das Publikum sieht und hört diesen Vorgang. (Konzert: 8.10., MUMUTH)

Als Performer macht er aus einem IKEA-Tisch ein Musikinstrument und seine faszinierenden analogen Beat Machines werden in einer Ausstellung in Graz präsentiert.

Die Britin Natasha Barrett gehört zu den gefragtesten Künstlerinnen im Bereich der multimedialen Kunst. Sie ist Spezialistin für die Verräumlichung von Klang. Für das musikprotokoll erarbeitet sie in Graz zwei maßgeschneiderte Arbeiten. Barrett wird mit zwei Lautsprecher-Prototypen arbeiten, die es nur in Graz gibt (entwickelt vom Institut für Elektronische Musik und Akustik). Sie erlauben es, Klänge präzise an bestimmte Stellen in den (zuvor akustisch vermessenen) Raum zu schicken – wie ein akustisches Hologramm. Dabei nutzt sie in Graz aufgenommene Klänge (7.-9.10., MUMUTH). Um Verräumlichung geht es auch bei ihrem Konzert im Dom im Berg – dort ist eine Ambisonics-Anlage mit 72 Lautsprechern eingebaut, die sie nutzen wird. (Konzert: 10.10., Dom im Berg).

Ein legendäres Musikinstrument wird für das musikprotokoll nach Graz gebracht: das Sechsteltonharmonium von Alois Hába. Damit schließt sich ein mikrotonaler Kreis zum "Most important living composer" Georg Friedrich Haas (laut dem Musikmagazin Classic Voice).

Die serbische Komponistin Svetlana Maraš wird für zwei Projekte nach Graz kommen, seit heuer ist sie Professorin für kreative Musiktechnologie und Co-Leiterin des Elektronischen Studios Basel (Konzert am 9.10.)

Maja Bosnić, ebenfalls aus Serbien, komponiert für das musikprotokoll ein Stück, das so laut sein, wird, dass man es körperlich spüren wird (Ohrschutz ist obligat) – ein Stück mit Symbolkraft.

Dynamisches Streaming und Festivalradio

Die Konzerte werden im Video-Format "dynamic streaming" gestreamt – dabei werden die Kopfbewegungen der Hörer und Hörerinnen via Webcam getrackt und auf die räumliche Verteilung des Musikfiles übertragen (mehr dazu hier).

Das musikprotokoll war von Beginn an als Medienfestival konzipiert, dessen größter „Veranstaltungsort“ das Radio sein sollte. Die Veranstaltungen und Konzerte der 54. Ausgabe des Festivals werden in ca. dreißig Musiksendungen auf Ö1 zu hören sein, unter anderem in der Sendereihe "Zeit-Ton". Am 9. Oktober wird ab 10.05 Uhr der "Ö1 Klassik-Treffpunkt" live aus Graz gesendet .

Alle Sendetermine finden Sie auf musikprotokoll.ORF.at/programm/sendungen/2021.

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