Ein Kärntner Paradiesvogel in grellen Anzügen rockt die Gerichtssaal-Show

Ein Kärntner Paradiesvogel in grellen Anzügen rockt die Gerichtssaal-Show
Der erste „Wiener Prozess“ von Milo Rau als Marathonperformance für alle, die von Covid-Debatten nicht genug kriegen können.

Man tat so, als ginge es um was: Mit gleich fünf Kameras übertrug der "Standard" den Prozess – und dessen Redakteurin Anna Wielander tickerte als Gerichtsschreiberin von der Richterbank aus unaufhörlich. Irmgard Griss, einst Präsidentin des Obersten Gerichtshofes, nahm die Sache staatstragend ernst. Als Vorsitzende Richterin bat sie am Freitagabend energisch, nicht zu applaudieren. Das schicke sich nicht im Gerichtssaal.

Und doch sind die „Wiener Prozesse“ – der erste von dreien endet am Sonntag (26. Mai) ab 17.30 Uhr mit der Urteilsverkündung – nichts anderes als eine Theaterperformance. Ohne reale Personen auf der Anklagebank, aber durch die Bank mit Laiendarstellern.

Was Milo Rau, der Intendant der Festwochen, mit viel Gedöns (aber wenig Widerhall, wenn man sich den Traffic und die Zahl der Postings auf derstandard.at vor Augen hält) in Szene setzte, hat daher mit den gesellschaftspolitisch äußerst relevanten Gerichtssaal-Dramen eines Ferdinand von Schirach nur wenig zu tun.

Bitter enttäuscht

Mitte März hatte Milo Rau angekündigt, sein erstes Prozess-Wochenende der „korrupten Politik“ zu widmen: In drei exemplarischen Fällen sollte der „politisch-ökonomisch-mediale Komplex“ rund um Chats, U-Ausschüsse und Gerichtsverfahren samt „Medienhäusern, Blendern und Schlaucherln“ durchleuchtet werden. Manche Kartenkäufer waren am Freitagabend bitter enttäuscht: Thema war plötzlich der Umgang der Regierung mit der Corona-Epidemie. Der Aspekt der Korruption kann allenfalls in Zusammenhang mit „Überförderungen“ durch die COFAG auftauchen – in der Tagsatzung am Sonntag ab 14 Uhr.

Doch wer will sich schon wieder mit Covid auseinandersetzen (am Samstag Vormittag blieb ein Drittel der Plätze im Odeon leer)? Der Simulationsforscher Niki Popper verzichtete auf seine Mitwirkung – „wegen des Wunsches, dieses emotionalisierte Thema hinter sich zu lassen“. Auch Gesundheitsstadtrat Peter Hacker lehnte ab: Er wolle nicht „bei einem inszenierten Verfahren“ auftreten.

Absagen gab es auch von Mitgliedern der Bundesregierung, darunter von Außenminister Alexander Schallenberg und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer. Lediglich Rudi Anschober, grüner Gesundheitsminister der Jahre 2020/’21, ließ in einem eingespielten Video lästige Fragen über sich ergehen. 

Gehört werden wird mit Sepp Schellhorn ein Vertreter der Opposition (Neos). Und so darf man sich fragen, inwieweit Griss, Ex-Nationalratsabgeordnete eben jener Partei, vielleicht doch nicht ganz unbefangen agiert. Zudem wurde eine der sieben Geschworenen als „staatenlos“ vorgestellt; wie sie ihre Unbescholtenheit bewies, wurde nicht erklärt. Aber die „Wiener Prozesse“ sind ohnedies nur Show. Und so sprang ein ehemaliger Pressesprecher der Festwochen eben als „Cover“ für eine Schöffin ein, die kurzfristig abgesagt hat.

Die meisten der engagierten Laiendarsteller waren zumindest Experten. In den Befragungen wurde wiedergekäut, was man gar nicht mehr hören mag. Als Ankläger fungierte der Anwalt Alfred Noll, als Verteidiger sein Kollege Michael Dohr. Dass er Gottfried Küssel vertrat, ist vielleicht nicht die beste Reputation, aber der Kärntner Paradiesvogel in grellen Anzügen rockte die Show: gewitzt, schlagfertig, irre gut vorbereitet. Wenn er eine Schwurblerin ins Kreuzverhör nahm, hörte man gebannt zu. 

Zwischenresümee: Natürlich sind viele Fehler passiert, waren Maßnahmen überschießend, aber zum damaligen Zeitpunkt hat man es nicht besser gewusst oder wissen können.

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