"La clemenza di Tito" in Wien: Ist das Kunst oder kann das weg?
An diesem Opernabend ist nicht alles falsch. Es gibt zum Beispiel, ach wie konservativ, ein Orchester. Wie dieses spielt und warum der Dirigent akzeptiert, was sich auf der Bühne tut, ist eine andere Frage.
Es gibt auch einen Chor, sogar den Arnold Schoenberg Chor, und der singt wie gewohnt, also sehr, sehr gut.
Das war's dann auch schon mit den Versatzstücken, die eine Oper im Kern ausmachen. Aber wahrscheinlich sollte die Premiere von Mozarts "La clemenza di Tito" genau das sein: Die Zerstörung eines Meisterwerkes. Leider ist die angebotene Alternative desaströs.
Schon nach wenigen Minuten verlässt der erste Besucher die Halle E im Wiener Museumsquartier. Und man kann es ihm nicht verübeln. Es wird nicht besser im Verlauf des langen Abends.
Noch ehe der erste Ton einsetzt, stehen die Choristen als Besucher einer Vernissage oder Kunstaktion auf der Bühne, und man kann schon erahnen: Es folgt eine Abrechnung mit dem Kulturbetrieb. Wie originell.
Dann wird das Ende der Oper vorgezogen, die große Szene zwischen Titus und seinem Attentäter Sesto. Ein Herr, der früher bei der Fremdenpolizei arbeitete, erzählt seine Geschichte und muss sich bis auf die Unterhose ausziehen, dann wird ihm das Herz herausgeschnitten.
Es ist nicht der einzige Mord, der auf der Bühne passiert, später werden eine Ukrainerin (und wahrscheinlich ihr Mann) erhängt. Es gibt viele Terroristen auf der Bühne, und manches sieht aus wie der Überfall der Hamas. Wo ist der Intendant, der da Stopp ruft, wie zum Beispiel Bernard Foucroulle einmal in Aix-en-Provence, als Martin Kusej bei der "Entführung aus dem Serail" Hinrichtungen im IS-Stil zeigen wollte? Ach ja, geht ja nicht, wenn der Intendant selbst Regie führt.
Immerhin lieben diese Terroristen auf der Bühne in Wien - im Gegensatz zu Schweinefleisch - Beethoven und zwingen eine Protagonistin, dessen wunderschönes Lied "Zärtliche Liebe" zu singen. Dass es sich um eine Mozart-Premiere handeln sollte, hat man da schon vergessen.
"La clemenza di Tito" ist Milo Raus erste Operninszenierung, und er misstraut dem Genre offenkundig so sehr, dass er nur noch Ruinen übrig lässt. Auf einer Bühne (Anton Lukas), die teilweise aussieht wie eine Müllhalde. Ist diese Produktion Kunst oder kann das weg?, ist man zu fragen geneigt.
Der Ausgangspunkt dieser Abarbeitung am offenbar furchtbar verstaubten Opernfach ist dessen Ausweisung als irrelevant. Mozart, so steht in einem der unzähligen auf die Bühne projizierten Sätzchen von Milo Rau zu lesen, hat nichts anderes getan, als Machtstrukturen festzuschreiben. Ein Konservativer durch und durch. Deshalb braucht es jetzt die Revolution.
Wie revolutionär aber Mozart wirklich war, sowohl musikalisch als auch thematisch, wie sehr er sich an den Regierenden abgearbeitet hat, spielt keine Rolle, wenn eine Oper in ein Zwangskonzept und -Korsett gepresst werden muss.
Milo Rau stellt zusätzlich zum Schoenberg-Chor 19 nach Wien zugewanderte Personen auf die Bühne, von einer Schamanin bis zu einer Sexarbeiterin, von Flüchtlingen bis zu einer Wrestlerin, auch Künstler sind darunter. Alles fein. Das Problem ist nur, dass ihre Geschichten mit Videos und Einblendungen von Texten ausgerechnet dann erzählt werden, wenn sich die Sängerinnen und Sänger an den schönsten Arien abarbeiten. Das lenkt nur ab und ist eine Attacke auf die Gesangskunst par excellence. Auch dass vieles in eine Kamera gesungen und mit Mikro verstärkt wird, wirkt lächerlich bei einer Opernproduktion.
Hier wird so gut wie alles zertrümmert, was das Fach ausmacht. Auch das Werk an sich, bei dem es wilde Striche und keine konsequente Erzählung gibt. Warum inszeniert man Oper, wenn man sie offenbar nicht mag?
Es ist schon klar, worum es Milo Rau geht: Um die von Machtausübung Betroffenen, um Menschen aus dem Volk und nicht um die Herrschenden. Er schaut auf die Rückseite des Palastes. Deshalb kontrastiert er das Künstlerambiente um Titus (warum dieser ein schlechter Maler ist, erklärt sich nicht) mit einem Trailerpark.
Dort wartet man nur auf den Aufstand und will die Brutalo-Kunstwerke, die im Museum hängen und Aufstände und Morde zeigen, Realität werden lassen. Nieder mit den Unterdrückern!
Nur ist die Botschaft leider ebenso banal wie die Umsetzung. Rau setzt auf Dinge, die es seit Jahrzehnten auf der Opernbühne gibt. Frank Castorf filmt seit gefühlten Ewigkeiten seine Protagonisten und das Geschehen hinter der Bühne - man hat keine Lust, Titus aufs Klo zu folgen und ihm dabei zuzuschauen, wie er das "Brownfacing", das ihm die Schamanin zur Heilung aufgeschmiert hat, wegwäscht.
Romeo Castellucci stellt den artizifiellen Opernfiguren immer wieder "real people" als Kontrast gegenüber. Auch das keine neue Idee von Rau. Im besten Sinn ist diese Arbeit rührend-naiv. Im schlechteren kopistisch.
Oper muss sich erneuern, immer und immer wieder. Aber wenn die Zukunft so aussieht, wird es bedenklich. Was hier als altmodisch gegeißelt wird, ist in der Umsetzung noch viel konservativer als es das Original je sein kann.
Leider ist auch die musikalische Gestaltung durch Thomas Hengelbrock und die Camerata Salzburg sehr mau und undifferenziert. Aber vielleicht wird das Ohr rascher müde, wenn die Augen derart penetriert werden.
Die Besetzung dürfte eher nach Typecasting-Prinzip erfolgt sein denn nach musikalische Kriterien. Anna Goryachova ist als Sesto die Beste mit einem schönen, ausdrucksstarken Mezzo. Den Anderen - Justin Hopkins (Publio), Anna Malesza-Kutny (Vitellia), Jeremy Ovenden (Tito), Maria Warenberg (Annio) und Sarah Yang (Servilia) - wird gesanglich und darstellerisch enorm viel abverlangt, man müsste sie alle einmal außerhalb dieses revolutionären Rahmens hören.
Vier Tage zuvor war bei den Salzburger Pfingstfestspielen ebenfalls eine "Clemenza"-Produktion zu erleben. Ein Vergleich ist unzulässig, weil die beiden Aufführungen nicht einmal in einer ähnlichen Liga spielen. Das ist wie Champions League gegen eine Workshop-Gruppe in einem Protestcamp.
Und in Wien ist es offenbar opportun und modern, einem Genre in der tradierten Form vom hochsubventionierten Revolutionsross herunter die Existenzberechtigung abzusprechen. Das geht jedoch nur in Unkenntnis der unzähligen wirklichen Erneuerungsversuche, die Wien selbstverständlich dringend bräuchte.
Das Festwochen-Publikum reagierte mit "Clemenza", mit Milde. In jedem echten Opernhaus hätte es einen Aufstand gegeben.
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