Ein Himmel voller Stofffetzen, die keinen Schatten spenden

Viele Fähnchen im Wind: Die Installation „Dead, I am Still Paper“ von Mariana Castillo Deball auf dem Domplatz von St. Pölten
Trenklers Tratsch: Mariana Castillo Deball erinnert auf dem Domplatz von St. Pölten mit einer Installation an das Lumpensammeln

Es sind Verzweiflungstaten. Anders kann man den Umgang der Stadt St. Pölten mit dem Domplatz nicht nennen. Einst ein Friedhof, ist er seit seiner äußerst brutalen Umgestaltung, die jede wohltuende Unregelmäßigkeit eliminierte, eine Betonwüste.

Hin und wieder missbraucht man den Platz für Großkonzerte, obwohl er für solche gar nicht geeignet ist. Denn es gibt keine geraden Zufahrtsstraßen. Daher müssen sich Sattelschlepper sonder Zahl – wie zuletzt Ende Juli rund um den Auftritt von Zucchero – Zentimeter für Zentimeter durch die enge Domgasse quälen. Ein Spektakel für die kopfschüttelnden Passanten.

Nun bespielt man die Leere wieder mit Kunst – im Rahmen der Tangente, dem Doch-nicht-Kulturhauptstadt-Ersatz-Programm, das erst kürzlich – wie kann es anders sein? – eine „positive Zwischenbilanz“ gezogen hat: Die Installation „Dead, I am Still Paper“ von Mariana Castillo Deball erforsche, so ist auf dem Platz zu lesen, „das Gedächtnis und die Materialität des Areals anhand der Geschichte der Papierherstellung“. Die Künstlerin sei von den bei den Ausgrabungen gefundenen Objekten inspiriert worden und verknüpfe die Thematik der Vergänglichkeit von handgeschöpftem Papier „mit Goran Petrovićs Roman ,Papir sa vodenim znakom‘ (,Papier mit Wasserzeichen‘), der vom Prozess der ,Demokratisierung‘ von Papier durch die Verwendung von Lumpen zu seiner Herstellung und von der Geschichte desselben Materials als Metapher für Eitelkeit und Transformation erzählt“. Luzide und in verständlicher Sprache erklärt, stellt man anerkennend fest.

Im 14. Jahrhundert begann man in Europa, alte Kleidung und Wäsche zu Büttenpapier zu verarbeiten. Dieses war ungleich billiger als das bis dahin verwendete Pergament. Lumpensammler waren für die Materialbeschaffung (nennt man heute Recycling) wichtig: „Sie gewannen Textilien sogar aus Grabstätten, was manchmal zum Ausbruch von Krankheiten führte.“ Deballs Werk rege dazu an, über das Gleichgewicht zwischen Bewahrung und Verfall nachzudenken und über die Geschichten, die alltägliche Objekte über unsere Identität und Geschichte erzählen würden. „Und nicht zuletzt spendet es willkommenen Schatten.“

Über Goran Petrović wie auch über die Künstlerin erfährt man nichts. Gehört wohl zur Allgemeinbildung. Und den versprochenen Schatten sucht man vergeblich. Denn Deball – 1975 in Mexiko Stadt geboren und Professorin für Bildhauerei in Münster – ließ zwar ein prächtiges Gerüst aufstellen: wie für eine imposante Inszenierung. Von gespannten Seilen hängen sehr viele fähnchenartige Stofffetzen herunter, die leider die Eigenschaft haben, sich herumzuwickeln. Man sieht also gar nicht, was Deball außer Totenschädeln noch gemalt hat. Wieder einer dieser traurigen Versuche, die sich zu einer positiven Bilanz summieren werden.

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