Genie und Wahnsinn

Genie und Wahnsinn
Eine Graphic Novel würdigt den exzessiven Maler, der vor 150 Jahren geboren wurde.

Im November 2005 stehen zwei nicht mehr ganz nüchterne Herren im Munch-Museum in Oslo vor Edvard Munchs „Mädchen und drei Männerköpfe“.

Sagt der eine: „Mensch! Das war radikal. Hardcore Symbolismus. Voll 1890er.“ Sagt der andere: „Psychedelische New-Age-Geistermalerei“. So beginnt Steffen Kvernekands bildgewaltige Graphic Novel über das melancholisch-exzessive Genie Edvard Munch und dessen Bohème-Leben.

Der norwegische Maler, der am 12. Dezember vor 150 Jahren zur Welt kam, bereitete mit seinen Gemälden voll psychologischer Tiefen dem Expressionismus den Weg. „Meine Bilder sind meine Tagebücher“, schrieb Munch. „Ich male nicht, was ich sehe, sondern was ich gesehen habe“– ein unheimlicher Satz, der Aufschluss über sein Seelenleben gibt.

Darüber hinaus war er ein trinkfester Sonderling und ein Getriebener, dessen wichtigste Schaffensperiode im Berlin der Belle Époque für Anekdoten gut war. Denn lauwarm war er nicht. Edvard Munch lebte im Exzess und setzte seelischen Zustände radikal in Bildsprache um: Sexualität, Eifersucht, Krankheit, Tod, Trennung. Das Saufen war dabei gleichermaßen nützlich wie schädlich.

Bilder aus der Graphic Novel

Genie und Wahnsinn

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Guter Stoff

„Munch“, befindet also Steffen Kverneland an jenem November-Tag im Museum, „ist die perfekte Comic-Figur! Fast alles,was er gemacht hat, ist autobiografisch.“ Briefe, Tagebücher, Notizen geben ebenso Auskunft über Leben und Werk wie Grafiken und Gemälde. „Guter Stoff“, sagt sich Zeichner Kverneland und beginnt – zuversichtlich, in einem Jahr fertig zu sein – seine Graphic Novel über das Leben des Malers, das trotz seiner Intensität erstaunliche 80 Jahre dauerte.

Der Mann war zäh.

Dass er der erste war, der von seinem Genie überzeugt war, blieb dabei nicht unwesentlich. Kverneland irrt mit seiner Zeiteinschätzung: Im gezeichneten Vorspann zu „Munch“ sieht man den Autor, wie er, verstaubt und gealtert, sieben Jahre später noch nicht fertig ist. Die Munch-Story geht sichtbar ans Gemüt, und ihr Verfasser hat sich ins Zeug gelegt.

Dem expressionistischem (Lebens-)Stil des Malers gleich, bemüht auch sein Biograf verschiede Zeichen- und Malstile. Der künstlerische Eklektizismus reicht von klassisch anmutenden Bleistiftzeichnungen und braun-weiß Aquarellen (etwa über die schweren Kinderkrankheiten Munchs. Trockenes Resümee: „Er ist immer noch recht mager“) – bis zu kubistischen Schattenrissen und Holzschnitten. Auch Disneys Panzerknacker kommen vor. Oft imitiert er Munch, zeichnet und malt seine eigene Sichtweise berühmter Bilder neben Abbildungen der Originalwerke.

Großartig etwa ist die Entstehungsgeschichte der symbolistischen „Madonna“ geschildert. Die Erfüllung beim Sex mit seinem Modell Millie Thaurow soll ihn dazu inspiriert haben. Ihr Gesicht im Augenblick der Empfängnis wird später Wahnvorstellungen auslösen.

Grüne Eifersucht

Konstante in diesem Prachtband sind die verrückten, starren Augen Munchs. Und eines wird es hier nie: realistisch. Schließlich hasste Munch den Realismus. Wenn schon, dann fügt der Autor Fotos ein, um seinen Arbeitsprozess zu dokumentieren. Etwa, wenn er den Åsgår-Strand entdeckt, den Much so oft malte. Und, ja, Grimassen-Fotos mit „Schrei“-Gesichtern gibt es auch. Skål!

Besonders gelungen ist die stimmungsabhängige Farbgebung. Denn man weiß das ja auch von Munch selbst: Gefühle haben Farben, die Eifersucht ist Grün.

Oslo, Berlin, Paris kommen vor. Und lebenswichtige Begleiter wie Strindberg.

Ein Großteil der Texte besteht aus Originalzitaten. Kverneland gelingt der Spagat, das Genie des mit sich selbst Ringenden zu zeigen und doch komisch zu sein. Auch in der Hölle gibt es was zu lachen. Nicht zuletzt Munchs Gigantomanie, seine Kompromisslosigkeit, und sein pathologisches Liebesleben. Frauen – sie waren für ihn Huren, Heilige, Dämoninnen. Schrecklich. Aber nicht unkomisch.

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